Wirtschaft

U-Boote gegen Chinas Flugzeugträger? Singapur bestellt bei ThyssenKrupp

Hier inspizieren Offiziere der singapurischen Marine noch maßstabsgetreue Messemodelle des französischen HDW-Rivalen Direction des Constructions Navales Services: Am Ende fiel die Entscheidung anders aus.

Hier inspizieren Offiziere der singapurischen Marine noch maßstabsgetreue Messemodelle des französischen HDW-Rivalen Direction des Constructions Navales Services: Am Ende fiel die Entscheidung anders aus.

(Foto: REUTERS)

Das Wettrüsten im Pazifik beschert der deutschen Rüstungsindustrie einen Milliardenauftrag. Ein kleiner Stadtstaat aus Südostasien strebt nach militärischer Geltung und kauft Hightech-U-Boote made in Germany. Das Geschäft liegt voll im Trend.

Ausnahmsweise über Wasser: In der U-Bootflotte der deutschen Marine ist U 31 eines von vier Einheiten der Klasse 212A.

Ausnahmsweise über Wasser: In der U-Bootflotte der deutschen Marine ist U 31 eines von vier Einheiten der Klasse 212A.

(Foto: REUTERS)

Der Inselstreit im Ostchinesischen Meer spült dem größten deutschen Stahlkonzern einen Großauftrag in die Hände: Kurz nach der Bilanzvorlage und der eilig umgesetzten Kapitalerhöhung kann ThyssenKrupp eine milliardenschwere U-Boot-Bestellung aus einem der aufstrebenden Tigerstaaten Südostasiens verbuchen. Wie eine Konzernsprecherin bestätigte, hat ThyssenKrupp aus Singapur den Auftrag über den Bau von zwei U-Booten erhalten.

Die speziell entwickelten Marineeinheiten sollen auf der Kieler Werft Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) gebaut werden, teilte ThyssenKrupp weiter mit. Der Vertrag sichere nicht nur die Beschäftigung in der deutschen Werftindustrie, sondern schaffe auch zusätzlich mehrere hundert Stellen bei Lieferanten, hieß es.

Für Konzernchef Heinrich Hiesinger kommt die Order aus Singapur gerade rechtzeitig. Das Schiffbaugeschäft hatte der Konzern erst im vergangenen Jahr unter dem Sammelbegriff "Marine Systems" innerhalb der Konzernsparte "Industrial Solutions" zusammengefasst. Doch am vergangenen Wochenende musste er nach überaus zähen und dann auch nur teilweise erfolgreichen Verhandlungen um den Verkauf der Übersee-Stahlwerke einen bereinigten Vorsteuerverlust aus dem abgelaufenen Geschäftsjahr von knapp einer halben Milliarde Euro bekanntgeben. Die kurzfristig umgesetzte Kapitalmaßnahme trug anschließend wenig dazu bei, die Stimmung unter den Anteilseignern zu beruhigen.

Gärende Konflikte in Südostasien

ThyssenKrupp
Thyssenkrupp 4,73

Der Verkaufserfolg im U-Bootbau dürfte Analysten und Großaktionären dagegen sehr viel besser gefallen. Denn das Geschäft bestätigt die strategische Neuausrichtung, die Hiesinger seit Monaten verspricht. Nach den folgenschweren Fehlinvestitionen in den USA und Brasilien will er den kriselnden Konzern stärker als bisher auf das Technologie-Geschäft ausrichten. Der militärische Schiffbau gehört offenbar dazu. Dort locken nicht nur große Summen und - im günstigsten Fall - eine Kundenbindung über Jahrzehnte. ThyssenKrupp kann hier auch mit reichlich Erfahrung und technologischen Alleinstellungsmerkmalen punkten. Problematisch erscheint dabei nur, dass der Verkauf in eine Zeit wachsender Spannungen im gesamten asiatischen Raum fällt.

Aus der Sicht der beteiligten Unternehmen geht es beim Verkauf von U-Booten zunächst um erfolgreiche Hochtechnologie und sehr viel Geld: Zum Kaufpreis der beiden U-Boote wollte sich ThyssenKrupp zwar zunächst nicht äußern. Doch Branchenexperten gehen davon aus, dass sich der Auftragswert auf gut eine Milliarde Euro beläuft. Singapur bekommt dafür insgesamt zwei Boote der neu eingeführten HDW-Klasse "218SG". Der Auftrag umfasst asiatischen Medienberichten zufolge neben dem eigentlichen Bootsbau auch ein umfangreiches "Logistik-Paket" und die Ausbildung der künftigen Besatzung in Deutschland. Am Bau beteiligt sind der Spezialausrüster Atlas Elektronik aus Bremen und der singapurische Rüstungskonzern ST Engineering. Die Auslieferung der Boote ist für 2020 geplant.

Ersatz für alte Schweden-Boote

Für die Seestreitkräfte des kleinen Stadtstaates an der Südspitze der malaiischen Halbinsel ist der Kauf ein absolutes Novum: Zum ersten Mal überhaupt darf sich die knapp 5000 Mann starke Marine Singapurs mit werksneuen U-Booten ausstatten. Bislang besteht der ganze Stolz der örtlichen U-Bootflotte aus zwei Booten der "Archer"-Klasse und vier Modellen der weitaus älteren "Challenger"-Klasse - allesamt ausgemusterte U-Boot-Modelle aus Schweden, deren Stärken eher in den flachen Gewässern vor der eigenen Küste liegen. Die neuen Bedrohungsszenarien sehen offenbar ganz anders aus. Mit den brandneuen 218SG-Modellen kann sich Singapur künftig auch weit auf den offenen Ozean hinauswagen.

Bei den neuen U-Booten aus Deutschland dürfte es sich Branchenexperten zufolge im Kern um eine Weiterentwicklung der hochseefähigen Jagd-U-Boote der Klasse 212 handeln, die derzeit unter anderem bei der Marine des Bundeswehr im Einsatz sind. International gelten diese Bootstypen als die aktuell besten, leistungsstärksten und zugleich leisesten Unterwassereinheiten ihrer Art.

Das Besondere: Die Boote verfügen über einen Brennstoffzellenantrieb, der den Konstrukteuren eine vergleichsweise kompakte Bauweise erlaubt und die Bootsbesatzung zugleich weitgehend unabhängig von der Außenluft macht. Im Unterschied zu den aufwändigen Steuer-, Abschirm- und Versorgungsanlagen rund um die Bordreaktoren in nuklear betriebenen Booten benötigt die Brennstoffzellentechnik nicht nur weniger Platz im Rumpf, sie kommt zugleich auch mit deutlich weniger Wartungsaufwand und Bedienpersonal aus. Und: Die verräterische Wärmeschleppe, die selbst hochmoderne Atom-U-Boote in der Regel hinter sich herziehen, entfällt.

Katz und Maus mit einem US-Träger

Wie gut die Flüsterantriebe funktionieren, hat die deutsche Marine schon mehrfach bei internationalen Flottenmanövern bewiesen. Legendär zum Beispiel ist jenes Sehrohrfoto, dass der Kommandant von U 24 aus nächster Nähe und unbemerkt vom US-Flugzeugträger "USS Enterprise" geschossen haben soll. Und erst vergangenen Sommer demonstrierte U 32 die militärische Ausdauer der U-Bootklasse. Bei einem Langstreckenmanöver im Nordatlantik war das Boot ein gutes halbes Jahr auf Reise und verharrte dabei mindestens einmal volle 18 Tage am Stück untergetaucht unter Wasser.

Mit einer Besatzung von weniger als 30 Mann können diese lautlos schleichenden Waffenträger nahezu unabhängig über weite Distanzen operieren, ihre hochsensible Überwachungselektronik ins Zielgebiet tragen und dabei bei Bedarf auch mehrere Wochen am Stück komplett unsichtbar bleiben. Brennstoffzellen-Boote sind kleiner, wendiger und leiser als die Konkurrenz. Und zum Leidwesen der US-Rüstungsindustrie selbst für die US Navy kaum aufzuspüren.

Strategischer Schachzug unter Wasser

Warum interessiert sich Singapur für deutsche U-Boote? Die Fähigkeiten dieser Hightech-Unterwassereinheiten ermöglichen zum Beispiel weitreichende Aufklärungseinsätze aus dem Verborgenen. Denkbar wäre auch die verdeckte Überwachung von Schifffahrtsbewegungen auf vielbefahrenen Handelsrouten und anderen Engstellen des internationalen Seeverkehrs. Je nach Auftrag könnten die 218SG-Modelle auch Spionageeinsätze unter der fremden Küste fahren, unbemerkt Spezialeinsatzkräfte absetzen oder zur Abwehr feindlich gesinnter Großkampfschiffe ausrücken.

Der verlängerte Arm der Außenpolitik: Seestreitkräfte können nicht nur Handelswege schützen.

Der verlängerte Arm der Außenpolitik: Seestreitkräfte können nicht nur Handelswege schützen.

(Foto: REUTERS)

Kurz, die U-Boote leisten genau das, was sich jeder Flottenkommandeur wünscht: Den präzisen Schutz militärischer Schlagkraft auf nahezu jedem beliebigen Punkt der Seekarte. Wenn es um U-Boote geht, sind deutsche Werften damit international erste Wahl.

Grünes Licht im Geheimgremium

Das "auf die Kundenwünsche zugeschnittenes Design" soll die neuen Boote zudem in die Lage versetzen, "zusätzliches Equipment für gegenwärtige und zukünftige operationelle Anforderungen aufzunehmen". Demnach liefern die deutschen Werftspezialisten zunächst nur eine einsatzfähige Hülle, die vor Ort womöglich noch mit hochgeheimer Waffen- und Sensortechnik aus heimischen Rüstungsbetrieben aufgerüstet werden kann.

Politische Widerstände bei der Ausfuhr nach Singapur erwartet ThyssenKrupp offenbar nicht. Wie die Chancen für eine Genehmigung im Bundessicherheitsrat liegen, testen Industrievertreter in der Regel bereits in frühen Verhandlungsphasen aus. Anscheinend hatte das geheim und unter der Leitung der Bundeskanzlerin tagende Gremium bislang nichts einzuwenden.

Rüstungsexporte zur Standortförderung?

Wenn das Geschäft ohne Beanstandungen durchkommt, dann dürfte dieser Großauftrag die Geschäftsbeziehungen der deutschen Rüstungsindustrie in diese Region weiter beflügeln. Denn mit dem U-Boot-Auftrag aus Singapur liegt ThyssenKrupp voll im Trend. Während die Verteidigungsetats in den Industriestaaten unter dem Spardiktat der Schuldenkrise immer weiter schrumpfen, rüsten die Schwellenländer derzeit mit aller Macht auf. Militärtechnologie aus Deutschland ist dabei heiß begehrt, und das nicht nur in Israel, Ägypten oder Saudi-Arabien.

Angesichts des chinesischen Großmachtsstrebens und der wachsenden militärischen Übermacht in Asien, bleibt den kleineren Staaten dort letztlich nichts anderes übrig, als auf Qualität statt auf Quantität zu setzen - und damit auf überlegene Hochtechnologie. Wie die künftigen Konfliktszenarien aussehen könnten, machte zuletzt China inmitten der hitzig geführten Territorialstreitigkeiten im Ostchinesischen Meer deutlich. Peking ist offenbar fest entschlossen, seine geopolitischen Interessen künftig auch mit neugewonnenen militärischen Drohpotenzialen durchzusetzen.

Chinas neuer Machtanspruch

Der demonstrative Auftritt des neuen chinesischen Flugzeugträgers "Liaoning" im Inselstreit mit Taiwan und Japan ist ein starkes Signal, das in der Region und darüber hinaus jeder Stratege versteht. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die chinesische Marine das neue Flaggschiff tatsächlich so schnell wie behauptet bereits zur vollen Einsatzfähigkeit gebracht hat oder nicht. Die Machtdemonstration mit einem immerhin seefesten Flugzeugträger zeigt deutlich: Bei den Spannungen um unbewohnte Felsinseln im Ostchinesischen Meer geht es Peking im Grunde um nichts anderes als um die Neuordnung der Machtverhältnisse im gesamten pazifischen Raum - und damit um Vorherrschaft auf hoher See.

Vereinfacht gesagt: Wer die Handelswege kontrolliert, kann seinen Nachbarn die Bedingungen diktieren. Und nicht nur in China, sondern auch in so unterschiedlichen Staaten wie Thailand, Indonesien, die Philippinen, Taiwan, Vietnam, Südkorea, Indien, Japan oder eben auch Singapur steht und fällt das wirtschaftliche Wohlergehen mit dem freien und ungehinderten Zugang zu den Weltmeeren.

Lebensader Seehandel

Damit könnte die Marine-Nachfrage aus Asien tatsächlich die Geschäftsaussichten der gesamten deutschen Rüstungsindustrie auf Jahrzehnte hinaus verbessern - und ganz nebenbei auch die sogenannte maritime Wirtschaft Deutschlands stärken. Womöglich erklärt genau dieser Effekt auch den überraschend geringen Widerstand im Bundessicherheitsrat. Denn die Förderung der deutschen Werften zählt zu den erklärten Zielen der Großen Koalition.

Unter der Überschrift "Deutschlands Zukunft gestalten" heißt es im Koalitionsvertrag auf Seite 20: "Wir werden die maritime Wirtschaft stärken, Deutschland weiter zu einem maritimen Hightech-Standort ausbauen." Wie das angesichts der dramatischen Überkapazitäten in der weltweiten Handelsschifffahrt anders gelingen soll als über den Marineschiffbau, bleibt unklar. Die Bundeswehr jedenfalls fällt als Auftraggeber für weitere Kriegsschiffe über oder unter Wasser bis auf weiteres aus.

Quelle: ntv.de

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