Wirtschaft

Aktionäre treffen Konzernspitze Ist Steinhoff das Enron der Gegenwart?

In Amsterdam findet die Hauptversammlung von Steinhoff statt.

In Amsterdam findet die Hauptversammlung von Steinhoff statt.

(Foto: picture alliance / Mohssen Assan)

Auch Monate nach Bekanntwerden des Bilanzskandals beim Möbelkonzern Steinhoff sind dessen Aktionäre nicht viel schlauer. Sicher ist, dass ihre Aktien kaum noch was wert sind. Spannend dürfte daher die diesjährige Hauptversammlung werden.

Das skandalgeplagte Unternehmen Steinhoff ist schwer zu fassen. Der deutsche Name kommt einem irgendwie bekannt vor. Dabei heißen die deutschen Filialen des Möbelkonzerns gar nicht Steinhoff, sondern Poco. Seine Geschäfte betreibt das Unternehmen zudem aus Südafrika, denn dorthin zog es Ende der 90er Jahre den deutschen Gründer Bruno Steinhoff. Und, als wäre das nicht kompliziert genug: Seinen Hauptsitz unterhält der Konzern in Amsterdam.

Schwer zu fassen ist auch der Skandal, der das Unternehmen seit Dezember vergangen Jahres erschüttert. Wenig ist bisher darüber bekannt. Es soll um zu hoch ausgewiesene Umsätze und falsche Bewertungen in Milliardenhöhe gehen. Mehrere Topmanager und Aufsichtsratsmitglieder haben daraufhin ihre Posten geräumt. Ein Sonderausschuss wurde gebildet, mehrere Unternehmensberatungen durchforsten Zahlen und Verträge, um das Ausmaß der Misere zu erfassen. Eine Bilanz für das vor einem halben Jahr abgelaufene Geschäftsjahr 2016/2017 steht bis heute aus. Auch die beiden Jahre davor müssen neu berechnet werden.

Wenn am Freitag die Steinhoff-Aktionäre unter dem Eindruck dieser Gemengelage zu einer Hauptversammlung zusammen kommen, soll Aufbruchsstimmung vermittelt werden. Neue Aufsichtsratsmitglieder sollen bestimmt, Chefkontrolleurin Heather Sonn, die den im Zuge des Skandals zurückgetretenen Milliardär und Großaktionär Christo Wiese abgelöst hatte, im Amt bestätigt werden. Doch die immer noch fehlende Bilanz verleitet den südafrikanischen Ökonomen Jannie Rossouw jüngst zur rhetorischen Frage: "Wie viel Sinn macht ein Hauptversammlung ohne finanzielle Fakten?"

Immerhin wollen Management und Aufsichtsrat den Aktionären Rede und Antwort stehen. Auch sollen die Anteilseigner erfahren, welche Schritte unternommen werden, um das Bilanz-Chaos in den Griff zu bekommen. Aus Sicht vieler Anleger dürfte das nur ein schwacher Trost sein: Seit Anfang Dezember ist der Kurs der Steinhoff-Aktie um rund 95 Prozent eingebrochen.

Ex-Chef nach Erfolgen in Ungnade gefallen

Ob das Aktionärstreffen wirklich Licht ins Dunkel bringen kann, ist fraglich. Was über den Bilanzskandals bekannt ist, ist bisher maximal Stückwert. Eine düstere Rolle soll der Anfang Dezember zurückgetretene Vorstandschef Markus Jooste gespielt haben. Gegen ihn hat das Unternehmen mittlerweile Anzeige erstattet. Es besteht der Verdacht auf Korruption.

Jooste hatte Steinhoff fast zwei Jahrzehnte geführt. Mit ihm wuchs der Möbelhändler in den 2000er Jahren zu einem weltweit agierenden Konzern. Wie das ablief, offenbarte Jooste im vergangenen Oktober in einem Interview mit "Financial Mail". Da man im Unterschied zum Platzhirsch Ikea keine Marke aufbauen konnte, habe man die Strategie verfolgt, "in jedem Land den nach Ikea größten oder zweitgrößten Händler zu kaufen".

So verleibte sich Steinhoff unter anderem den französischen Möbelhändler Conforama, die britische Billigwarenkette Poundland und den Matratzen-Verkäufer Mattress Firm aus den USA ein. Mittlerweile umfasst der Konzern über 12.000 Geschäfte in mehr als 30 Ländern weltweit. Zunächst waren die Anleger von dieser Strategie begeistert. Der Wert der Steinhoff-Aktie verdreifachte sich zwischen Ende 2012 und Anfang 2016. Im Jahr 2015 ließ sich Steinhoff an der Frankfurter Börse listen. Allerdings hatte es kurz zuvor bereits eine Razzia in der Europa-Zentrale des Konzerns wegen mutmaßlich gefälschter Umsätze gegeben - aus heutiger Sicht die ersten Warnzeichen.

Die Zeiten der Erfolge sind nun vollkommen passé. Zuletzt bestimmen fast nur noch Negativschlagzeilen das öffentliche Bild des Konzerns. Einen Schuldenberg von rund 10,7 Milliarden Euro schiebt Steinhoff Finanzkreisen zufolge vor sich her, rund zwei Milliarden davon werden dieses Jahr fällig. Mit Gläubigern werden Stillhalteabkommen geschlossen, Anteile von Tochterunternehmen verkauft, um sich liquide und über Wasser zu halten.

Parallelen zum Enron-Skandal?

Der Spielraum dafür scheint jedoch begrenzt, wie am Beispiel der Tochter Hemisphere deutlich wird: Das in dem Unternehmen gebündelte Immobilienportfolio war laut Gutachtern doppelt so hoch angegeben, wie es in Wirklichkeit war. Leerstände waren nicht berücksichtigt worden und Mieten, die Steinhoff-Gesellschaften untereinander bezahlt hatten, wurden behandelt wie Mieten von Dritten.

Der Wert der Immobilien schrumpfte so von 2,2 Milliarden auf 1,1 Milliarden Euro. Laut dem Magazin "Finance" muss Hemisphere zudem im August einen Kredit über 750 Millionen Euro refinanzieren. Ein Verkauf dieser Tochter würde Steinhoff also nur einen Bruchteil des Wertes einbringen. Aufsichtsratschefin Sonn versicherte Ende Februar allerdings, dass die größten Lücken gestopft seien.

Dennoch bleibt unklar, ob Steinhoff noch zu retten ist. Manche ziehen bereits Parallelen zum Enron-Skandal Anfang des Jahrtausends – einen der größten Fälle von Bilanzfälschung in der Geschichte. An seinem Ende verloren Aktionäre, Banken und Pensionsfonds rund 60 Milliarden Dollar, 20.000 Mitarbeiter waren ihre Jobs los. Ob es bei Steinhoff so weit kommt, wird sich wohl erst sagen lassen, wenn das volle Ausmaß des Skandals bekannt ist. Bei Anlegern ist dafür noch Geduld gefragt: Die Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr soll erst Ende 2018 vorliegen. So viel steht zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls fest.

Quelle: ntv.de

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