Wirtschaft

"Sell in May ..." Ist es klug, sich von Aktien zu trennen?

Höhere Zinsen sorgen in der Regel für Druck auf die Aktienkurse.

Höhere Zinsen sorgen in der Regel für Druck auf die Aktienkurse.

(Foto: REUTERS)

Jedes Jahr erinnern sich Anleger an die Börsenregel "Sell in May and go away": Raus aus den Märkten, Aktien verkaufen. Die jüngsten Kursanstiege wiegen zwar in Sicherheit. Das könnte sich rächen.

Die Stimmung der Investoren am US-Aktienmarkt hat sich sichtlich gebessert. Nach dem Kursrutsch von Anfang Februar ist der Leitindex S&P500 wieder auf das Niveau von Ende vergangenen Jahres gestiegen. Für Erleichterung bei Investoren hat vor allem die Sitzung der US-Notenbank Fed Anfang Mai gesorgt. Das Signal der Zentralbank: Die Leitzinsen nicht stärker anheben, selbst wenn die Inflation ein paar Monate über das eigene Inflationsziel von zwei Prozent steigen sollte. Umso kräftiger haben Anleger in den vergangenen Tagen bei US-Aktien zugegriffen. Und das, obwohl die US-Unternehmen unter dem gleichzeitig gestiegenen Dollar leiden, denn dadurch werden US-Produkte im Ausland teurer, während ausländische in den USA billiger werden. 

Der jüngste Kursanstieg könnte sich als sogenannte Bullenfalle herausstellen, also als eine Falle für diejenigen Anleger, die auf steigende Kurse setzen. Der Mai könnte sich einmal mehr als der richtige Zeitpunkt erweisen, um aus dem Markt auszusteigen und abzuwarten, bis die üblicherweise saisonal schwachen Monate vorbei sind. Dafür sprechen mehrere Gründe: 

1. Saisonalität

Eine der ältesten Börsenregeln lautet "Sell in May and go away" und steht dafür, dass im fünften Monat des Jahres regelmäßig eine vergleichsweise schwache Börsenphase eingeläutet wird. Historisch gesehen hat der Dow Jones nämlich seit dem Jahr 1900 zwischen Mai und Oktober im Schnitt einen Anstieg von 1,6 Prozent verzeichnet, während zwischen November und April ein Plus von 5,5 Prozent zu Buche steht. 

Am schlechtesten war die Entwicklung dabei im zweiten Jahr eines Präsidentschaftszyklus, in dem sich die USA derzeit wieder befindet. In dieser Phase lag die Performance des Index zwischen Mai und Oktober im Schnitt sogar bei null Prozent. In all den anderen Jahren eines vierjährigen Präsidentschaftszyklusses hat der Dow Jones in dem schwachen Sechs-Monats-Zeitraum jeweils ein Plus verbucht: im ersten Jahr von 0,5 Prozent, im dritten von 1,3 Prozent und im vierten von 4,5 Prozent. Investoren erzielten also durchschnittlich zwischen Mai und Oktober im zweiten Jahr einer Präsidentschaft keinerlei Kursgewinne, hatten dafür aber umso mehr Volatilität zu ertragen. 

Für Aktien ist ein solches Umfeld schwierig, doch Zertifikate können davon profitieren, so Sebastian Bleser, Derivate-Experte der HypoVereinsbank Onemarkets. Er sagte im Gespräch mit n-tv.de: "Steigt die erwartete Volatilität, sinkt tendenziell eher der Preis für Seitwärtspapiere wie etwa Discount- oder Bonuszertifikate beziehungsweise Aktienanleihen, gleichzeitig können die Renditechancen zunehmen." Anleger sollten in den nächsten Monaten also solche Papiere im Blick behalten. 

2. US-Zinsen

Ein weiterer Risikofaktor für den Aktienmarkt sind die US-Zinsen, vor allem jene für zehnjährige Anleihen. Sie tendieren seit Ende April knapp unter der Marke von drei Prozent seitwärts und bedeuten damit aktuell zwar keinen zusätzlichen Gegenwind für den S&P500. "Das war zum Jahresanfang noch anders, als die Zinsen merklich auf dem Weg nach oben waren, woraufhin der S&P500 mit einer Dividendenrendite von lediglich knapp zwei Prozent im Vergleich zu den Zinsen weniger attraktiv geworden ist", sagt Jochen Stanzl, Chef-Analyst beim britischen Broker CMC Markets gegenüber n-tv.de.  

Allerdings könnten die Renditen in den nächsten Monaten deutlich steigen. Die Aufkündigung des Atom-Deals mit dem Iran durch US-Präsident Donald Trump dürfte den Ölpreis in den nächsten Monaten deutlich klettern lassen, weil Iran ein großer Ölförderer ist. Das wiederum dürfte zu höherer Inflation und zu steigenden Zinsen führen - und den S&P500 erneut belasten, weil Aktien durch höhere Zinsen etwa im Vergleich zu Anleihen unattraktiver werden. Ein weiterer Anstieg bei den Renditen für zehnjährige US-Anleihen wäre außerdem eine deutliche Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren, als die Renditen häufig zwischen Mai und September beziehungsweise Oktober seitwärts tendierten und damit für keinen Verkaufsdruck am Aktienmarkt gesorgt haben. 

3. Handelskrieg

Ein Handelskrieg ist ein weiterer großer Risikofaktor für die Aktienmärkte. „Nachdem die US-Delegation um Finanzminister Steven Mnuchin zu Gesprächen in China war, und es dabei zu keiner offenen Konfrontation gekommen war, hat der Aktienmarkt erleichtert reagiert", sagt CMC-Markets-Experte Stanzl. Das Thema ist aber nicht vom Tisch, zumal die USA fordern, dass China den Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA innerhalb von zwei Jahren um heftige 200 Milliarden Dollar abbaut – das wäre fast eine Halbierung. 

China dürfte im Handelsstreit kaum nachgeben, zumal Trump zusätzlich fordert, dass das Land von seinem Programm "Made in China 2025" abrückt. Es sieht vor, die dortige Industrie innerhalb weniger Jahre an die Weltspitze zu bringen. Dazu gehören Bereiche wie IT, Hightech-Maschinen und Robotik, Luftfahrt, Schiffbau, Bahnverkehr, New Energy Vehicles (Elektro-, Hybrid- und Brennstoffautos), Stromversorgung und Landmaschinen. 

Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass Chinas Präsident Xi Jinping von diesem Ziel abrückt. Sollte sich der Handelskonflikt mit China weiter verschärfen und möglicherweise weitere Länder, wie jene der Eurozone mit hineingezogen werden, würden sich die Perspektiven für die Weltwirtschaft erheblich eintrüben. Das wären schlechte Nachrichten für die US-Unternehmen und damit für den S&P500.

Zwar hat sich zuletzt durch steigende Kurse eine positive Stimmung an den Aktienmärkten in den USA aber auch in Europa wieder breit gemacht. Doch der Enthusiasmus kann schnell kippen, denn es besteht die Gefahr, dass die Kursturbulenzen schneller zurückkehren, als derzeit viele Marktteilnehmer erwarten. Sollte dieses Szenario eintreffen, könnte sich die Börsenregel "Sell in May and go away" einmal mehr als der richtige Ratschlag erwiesen haben.

Quelle: ntv.de

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