Wirtschaft

Der Sonne zu nah Der Aufstieg und Fall von Q-Cells

Q-Cells - zu hoch geflogen?

Q-Cells - zu hoch geflogen?

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Vom Start-up zum Weltmarktführer und Dax-Kandidaten: Q-Cells lebt jahrelang auf der wirtschaftlichen Sonnenseite der boomenden Solarindustrie. 2008 ist der Zenit erreicht - und wer hoch fliegt, kann auch tief fallen: Wie einst bei Ikarus kommt der Absturz nicht überraschend. Er ist die Folge von Selbstüberschätzung und mehreren fatalen Entscheidungen.

Silizium ist der Grundstoff der Solarzelle und wird hauptsächlich aus einfachem Sand gewonnen. Ein nahezu unbegrenzt verfügbarer Rohstoff für eine unerschöpfliche Energiequelle - und dennoch ist nicht genug für alle da. Einige haben offenbar auf Sand gebaut.

Q-Cells
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Das Solarunternehmen Q-Cells iegte deshalb seinen Jahresabschluss für 2011 ganz leise tun. Eigentlich sollte der Vorstandsvorsitzende Nedim Cen dann auf einem Podium sitzen und trotz eines horrenden Verlusts im vergangenen Jahr in Optimismus machen. Doch dazu kam es nicht. Erneut postulierte Cen ein schwieriges Jahr - für die ganze Branche und Q-Cells selbst. 

"Wir befinden uns mitten der Finanzrestrukturierung", begründete eine Sprecherin des Unternehmens die Absage der Pressekonferenz. Das Unternehmen steht vor dem Aus.

Die geplatzte Bilanzvorlage ist die vorerst letzte Fehlkalkulation des Unternehmens aus Thalheim in Sachsen-Anhalt. Mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Naivität hat sich der einst größte Solarzellenhersteller der Welt in eine Sackgasse manövriert. Eine Kehrtwende ist nicht möglich. Man hofft auf einen Rettungshubschrauber, der das Unternehmen aus der misslichen Lage befreit und nochmal neu in die Spur setzt. Doch die Chancen sind gering.

Rasantes Wachstum, große Hoffnungen

Rückblende: Die erste rot-grüne Bundesregierung ist 1999 gerade ein Jahr im Amt, da gründen die Berliner Ingenieure Holger Feist, Paul Grunow, Reiner Lemoine und der gebürtige Brite Anton Milner die Q-Cells AG. In Thalheim legen sie das Fundament für das später so genannte Solar Valley. Wie beim großen Vorbild der Computerwirtschaft sind die Hoffnungen groß und das Wachstum rasant.

Es ist die Zeit eines energiepolitischen Aufbruchs in Deutschland. Die Regierungsparteien sind mit dem Versprechen des Atomausstiegs an die Macht gekommen, sie wollen die erneuerbaren Energien fördern. Das entsprechende Gesetz, mittlerweile als EEG in aller Munde, wird im Jahr 2000 verabschiedet. Es garantiert den Erzeugern von regenerativem Strom die Abnahme ihrer Energie zu festen Preisen für einen Zeitraum von 20 Jahren. Zugleich vergibt die Kreditanstalt für Wiederaufbau über das 100.000-Dächer-Programm günstige Darlehen für Photovoltaikanlagen.

Die staatliche Förderung verfehlt ihre Wirkung nicht. In ganz Deutschland schießen Solarunternehmen aus dem Boden - vor allem in Ostdeutschland macht sich Goldgräberstimmung breit. Hier können findige Unternehmer über die Solarförderung hinaus noch weitere Subventionen einstreichen, die die Bundesregierung im Rahmen des Aufbau Ost springen lässt.

Profitabel nach einem Jahr

Dank des staatlichen Geldsegens lassen erste Erfolge nicht lange auf sich warten. Im Juli 2001 ist es bei Q-Cells soweit: Mit gerade einmal 19 Mitarbeitern produziert das Unternehmen die erste Solarzelle, das Herz jedes Solarmoduls. Schon im ersten vollen Jahr nach Produktionsaufnahme arbeitet Q-Cells profitabel, die Mitarbeiterzahl vervierfacht sich. Dass der Umsatz mit 17 Mio. Euro noch bescheiden ist, stört niemanden. Schließlich steckt der Solarmarkt noch in den Kinderschuhen, am großen Potenzial zweifelt aber niemand.

Auch bei Q-Cells ist für Skepsis kein Platz: 2005 - das Unternehmen erwirtschaftet inzwischen mit 750 Angestellten einen Jahresumsatz von 300 Mio. Euro und einen ansehnlichen Überschuss - folgt der nächste Meilenstein. Im Oktober geht Q-Cells an die Börse. Für 38 Euro können sich Anleger an dem Aufsteiger beteiligen, dem damit ein Wert von 1,4 Mrd. Euro beigemessen wurde. Zudem erhalten die Thalheimer die Anerkennung des Establishments: Die Unternehmensberatung Ernst & Young zeichnet Milner als Entrepeneur des Jahres aus.

Weltmarktführer und Dax-Kandidat

2007 - acht Jahre nach der Gründung - krönt Q-Cells seine Erfolgsgeschichte und steigt zum weltgrößten Hersteller von Solarzellen auf. Über 1700 Mitarbeiter erzielen einen Umsatz von 860 Mio. Euro und einen Gewinn von 150 Mio. Euro. Mit seiner Produktionsmenge könnte Q-Cells knapp ein Drittel des seit 2001 mehr als verzehnfachten deutschen Marktes abdecken. Dieser boomt, weil hierzulande die günstigsten Förderbedingungen herrschten, wenn auch anderswo mehr Sonne scheint.

Auch die Anleger sind voller Erwartungen. An der Börse werden die Aktien knapp unter 100 Euro gehandelt. Das Unternehmen hat einen Wert von rund acht Milliarden Euro, die Aufnahme in den Dax scheint nur noch eine Frage von Monaten.

Vom Highflyer zum Zocker-Papier

Heute kosten Q-Cells-Aktien gerade noch 26 Cent. Und selbst das ist nach Meinung von Analysten noch zu teuer. Große Investoren haben die Aktie längst fallen gelassen, dafür haben die Zocker das Kommando übernommen. Keine deutsche Aktie ist bei Leerverkäufern, die auf fallende Kurse wetten, so beliebt wie das Papier von Q-Cells. Kein Wunder: In den letzten Jahren war die Wette sehr ertragreich. Wenn der Kurs - wie im vergangenen November - doch mal plötzlich nach oben schießt, dann deshalb, weil einige Spekulanten das Rad überdrehen und Eindeckungskäufe kurzfristig für Nachfrage sorgen.

Q-Cells ist nicht das erste Unternehmen und es wird nicht das letzte sein, dass viel zu früh von allen Seiten als Erfolgsmodell betrachtet wird. Aber die Geschwindigkeit, in der es für die Thalheimer erst nach oben und dann nach unten ging, ist außergewöhnlich.

Wie konnte es so weit kommen?

Der entscheidende Wendepunkt war das Jahr 2008. Bis dahin trug das Solargeschäft paradiesische Züge: Die Nachfrage wuchs rasant, das Angebot hielt nicht Schritt. Es herrschte Knappheit. Doch das weckte Begehrlichkeiten. "Die Eintrittsbarrieren waren niedrig und in Asien wurden riesige Kapazitäten aufgebaut", erinnert sich ein Frankfurter Analyst.

Diesen Preisdruck aus China - und das war die grundlegende Fehlkalkulation - hatte man bei Q-Cells nicht erwartet. "Man hat zu spät erkannt, wie sich der Markt entwickeln wird", sagt der Analyst. Die Produktionslinien in Thalheim erwiesen sich bei der schnellen Entwicklung der Technologie als zu teuer. Auf der einen Seite bezog Q-Cells über langfristige Lieferverträge das Silizium zu überhöhten Preisen, auf der anderen Seite zahlten die Modulbauer immer weniger für die Zellen.

Zum Druck von außen kamen Entscheidungen, die zusätzliche Mittel und Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, und heute von dem Analysten, der lieber anonym bleiben will, als "gewisser Größenwahn" bezeichnet werden. Dass Photovoltaik eine Zukunft haben wird, war allen klar, aber die Branche stritt viel zu lange darum, welche Technologie sich einmal durchsetzen würde. Q-Cells wollte nichts riskieren - und mischte überall mit. Ein verheerender Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Den Expansionsbogen überspannt

Um den richtigen Zug auf keinen Fall zu verpassen, beginnt Q-Cells also Mitte des vergangenen Jahrzehnts wie wild zu investieren. Am Stammsitz weitet der Konzern die Kapazitäten kontinuierlich aus, mittlerweile ist hier die vierte Produktionslinie in Betrieb. Daneben beginnt man, das Geschäftsfeld zu erweitern.

Mit der norwegischen REC und der amerikanischen Evergreen Solar gründet Q-Cells das Gemeinschaftsunternehmen Sovello, das Solarzellen auf alternative Weise herstellen soll. 2006 dann wagt sich das Unternehmen noch weiter. Zwei Töchter werden gegründet für verschiedene Arten für Dünnschichtmodule, einer Technologie, die das aufwändige Schneiden von Siliziumblöcken vermeidet. Ein Jahr später kommt noch eine Unternehmung in diesem Bereich dazu. Sovello allerdings gehört inzwischen nicht mehr zu Q-Cells.

Aufs falsche Pferd gesetzt

Das Geld für die Expansion leiht sich der Konzern am Kapitalmarkt. Gerade einmal 1,4 Prozent Zinsen zahlt Q-Cells im Februar 2007 für den 500 Mio. Euro schweren Bond. Viel ist das nicht - und doch wird die Mittelaufnahme Folgen haben.

"Das Unternehmen hat in so ziemlich alle Dünnschichttechnologien investiert, die es gibt und sich dabei total verzettelt. Man dachte dort wohl, wenn man auf alle Pferde setzt, dann kann nichts schief gehen", sagt der Analyst.

In Wahrheit ging so ziemlich alles schief: Die Töchter wurden 2009 dichtgemacht oder verschenkt, heute produziert Q-Cells Dünnschichtmodule nur noch nach einem technischen Verfahren, und das auf kleiner Flamme.

Ein Unternehmen hat zwei Möglichkeiten der Diversifizierung, in die Breite oder in die Tiefe. Q-Cells entschied sich für die erste Variante, die sich als falsch herausstellte. "Die Integration der Wertschöpfungskette wurde zu spät begonnen", sagt der Analyst.

Den Zenit erreicht

Erst 2007 steigt das Unternehmen ins Projektgeschäft ein, also den Bau großer Solarparks. Noch viel später, nämlich 2011, beginnt man mit der Herstellung kristalliner Module, in denen die eigenen Zellen verbaut werden können. Und auch den Weg ins Ausland geht Q-Cells zu spät. 2008 baut das Unternehmen eine Fertigung in Malaysia. Zu dieser Zeit bereiteten die Chinesen längst den Großangriff auf den Solarmarkt vor.

Es sind nicht zuletzt die eigenen Zahlen, die Q-Cells den Blick auf die Realität verbauen. 2008 schreibt das Unternehmen bei einem Umsatz von 1,25 Mrd. Euro 190 Mio. Euro Gewinn. Besser ging es Q-Cells nie zuvor. Dass der Abstieg nahe ist, ahnt in Thalheim zu dieser Zeit niemand.

Preisverfall als Anfang vom Ende

Doch die internationale Wirtschaftskrise macht auch vor der Solarbranche nicht Halt. 2009 trifft Q-Cells eine unselige Kombination aus Finanzkrise, Nachfrageschwäche und dem bei gleichzeitig massiv ausgebauten Kapazitäten unweigerlichen verschärften Preisverfall.

Antworten auf die bedrohliche Situation bleibt Vorstandschef Milner schuldig. Als sich der Absturz beschleunigt, wird ihm der auf Sanierungsfälle spezialisierte Finanzvorstand Nedim Cen zur Seite gestellt. Der räumt erst mal auf: Die Beteiligung an REC wird verkauft, die wertlosen Töchter abgeschrieben, von den mittlerweile fast 3000 Beschäftigten muss jeder Sechste gehen.

Doch auch Cens Sanierungsprogramm mit dem Namen "Q-Cells Reloaded" entwickelt sich zum Rohrkrepierer. Das Jahr 2009 beendet das Unternehmen mit einem Verlust von 1,4 Mrd. Euro bei einem Umsatz von nur noch 800 Mio. Euro. Weil sich das Eigenkapital binnen weniger Monate halbiert hat, muss Q-Cells erneut die Investoren anpumpen. Diese zeichnen Anleihen für 250 Mio. Euro - diesmal allerdings zu einem Zins von 5,8 Prozent.

Der Gründer muss gehen

Q-Cells-Chef Cen blickt auf ein weiteres schwieriges Jahr.

Q-Cells-Chef Cen blickt auf ein weiteres schwieriges Jahr.

(Foto: picture alliance / dpa)

Den Geschäftsbericht für das Jahr stellt schon nicht mehr Milner vor, der sich auf Anfrage nicht zur Lage von Q-Cells äußern möchte. Im März 2010 muss der Gründer seinen Hut nehmen. Cen dagegen traut der Aufsichtsrat den Umbau des Konzerns zu. Der Finanzvorstand rückt an die Unternehmensspitze. Das proklamierte Ziel: Vom Zellhersteller zum Komplettanbieter.

Doch den Niedergang kann auch Cen nicht stoppen. Zwar verdoppelt sich der Absatz auf dem deutschen Solarmarkt 2010 noch einmal. Doch das Ende des Booms ist da bereits ausgemacht, weil die mittlerweile regierende schwarz-gelbe Bundesregierung die Förderung von Solarenergie immer weiter zurückführt. Auch das nach wie vor stürmische Wachstum in anderen Teilen der Welt kann den Abwärtstrend nicht aufhalten, da die Preise gleichzeitig schnell sinken - für Q-Cells viel zu schnell.

Trotz eines Rekordumsatzes von 1,35 Mrd. Euro steht Ende 2010 nur noch ein schmaler Gewinn von weniger als 20 Mio. Euro zu Buche. Noch einmal pumpt das Unternehmen den Kapitalmarkt an. Dieses Mal liegen die Zinsen für eine Anleihe in Höhe von 130 Mio. Euro schon bei fast 6,8 Prozent. Dafür kostet die Aktie am Jahresende nur noch 2,50 Euro, das ganze Unternehmen weniger als fünf Prozent des einstmaligen Höchstwertes.

2011: Die Kapitulation

2011 - die Preise sinken weiter - kapituliert Q-Cells vor den zu hohen Kosten. Die alten Produktionslinien am Stammsitz erweisen sich als unprofitabel. Sie werden geschlossen, abgeschrieben, die Mitarbeiter müssen gehen. Zum Jahresende steht erneut ein Verlust von 850 Mio. Euro in den Büchern. Schlimmer noch, bis ins Jahr 2014 sieht das Unternehmen keine Gewinne.

Findet Q-Cells den Weg zurück in die Erfolgsspur?

Findet Q-Cells den Weg zurück in die Erfolgsspur?

(Foto: picture alliance / dpa)

So weit schauen wenige Unternehmen voraus. Q-Cells ist dazu gezwungen, denn die Gläubiger wollen wissen, wie es weiter geht. Ende Februar stand eigentlich die erste der großen Anleihen zur Rückzahlung an. Zwar hatte das Unternehmen mit dem Geld aus den späteren Anleiheemissionen schon Teile der ersten zurückgezahlt, aber 200 Millionen Euro sind nach wie vor offen. Zum jetzigen Zeitpunkt würde das dem Unternehmen das Genick brechen.

Am Ende bleibt Verzweiflung

Mit einer Stundung bis zum Jahresende soll Zeit gewonnen werden. Die Gläubiger stimmten diesem Plan nach langen Verhandlungen zu. Doch ein Gericht untersagte den Aufschub Ende Januar.

Was bleibt, ist pure Verzweiflung. Um den drohenden Kollaps doch noch abzuwenden, will sich Q-Cells den Gläubigern ausliefern. Diese sollen statt ihrer Forderungen das Unternehmen erhalten. Der Anteil der Altaktionäre würde sich auf fünf Prozent belaufen. Viel ist ihnen ohnehin nicht geblieben. Beim aktuellen Aktienkurs ist Q-Cells gerade noch 50 Mio. Euro wert.

"Das Unternehmen ist praktisch kollabiert", kommentiert der Branchenanalyst die Lage. Die Aktionäre haben die Wahl der Enteignung oder der Zahlungsunfähigkeit, was für ihr Vermögen das Gleiche bedeutet. Und die neuen Eigentümer? Die müssen auf die Besserung hoffen, die Q-Cells mit der Prognose unter der Annahme einer Entschuldung gibt.

Der Analyst ist skeptisch. "Ich weiß nicht, ob man den Planzahlen glauben kann", sagt er. Es sei "überhaupt nicht absehbar", wie sich der Markt weiter entwickelt, "weil die Politik immer verrückter spielt", weist er auf die neuerlichen Kürzungspläne für die Solarförderung in Deutschland hin. Selbst ohne Schulden würde Q-Cells seiner Meinung nach das Kapital für den Wettbewerb fehlen. "Die Banken geben einen Regenschirm, wenn die Sonne scheint und nicht, wenn es regnet", sagt er.

Auch Stephan Wulf von Warburg Research mag nicht mehr so recht an eine Zukunft für das Unternehmen glauben. Für ihn steht infrage, "ob Q-Cells die Insolvenz abwendet und danach noch Platz im globalen Photovoltaikmarkt findet. Angesichts der starken Konkurrenz aus China habe ich erhebliche Zweifel, ob Q-Cells überlebensfähig ist", zeigt sich der Analyst pessimistisch.

Quelle: ntv.de, Martin Rapp, DJ

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