Wirtschaft

"Negativ", aber nicht "tödlich"? Schwellenländer fürchten Dollar-Sog

Franklin-Porträt auf der 100-Dollar-Note: Die Krisenpolitik der Fed wirkt bei weitem nicht nur auf den Dollar-Raum.

Franklin-Porträt auf der 100-Dollar-Note: Die Krisenpolitik der Fed wirkt bei weitem nicht nur auf den Dollar-Raum.

(Foto: REUTERS)

Die Nebenwirkungen der US-Geldpolitik zwingen Brics-Staaten neuartige Bündnisse auf: Bis zuletzt konnten die früheren Hoffnungsträger massenhaft billiges Geld anziehen. Mit der drohenden Dollar-Wende fließen Mittel ab. Ein Fonds und eine Bank sollen den Absturz bremsen.

Bei einem Treffen der Brics-Gruppe 2012 in Mexiko waren die Aussichten noch deutlich besser.

Bei einem Treffen der Brics-Gruppe 2012 in Mexiko waren die Aussichten noch deutlich besser.

(Foto: picture alliance / dpa)

Droht den Schwellenländern eine neue Finanzkrise? Die Währungen in Indien, Brasilien, Indonesien und anderen Staaten haben in den vergangenen Wochen dramatisch an Wert verloren. Die Aktienmärkte gehen auf Talfahrt. Massenhaft ziehen ausländische Investoren ihr Geld ab. Alarmiert fordert die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, "weitere Verteidigungslinien", die eine Ausbreitung der Gefahren verhindern sollen und die gegenseitige Abhängigkeiten der Volkswirtschaften widerspiegeln müssten.

Die Turbulenzen in den Schwellenländern rücken zu einem der Hauptthemen auf dem Gipfel der 20 Industrie- und Schwellenländer auf. Die Staats- und Regierungschefs aus den 20 einflussreichsten Wirtschaftsmächten kommen diese Woche im russischen St. Petersburg zusammen. Die Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen über einen neuen Rettungsfonds in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar sprechen. Er soll kurzfristige Liquiditätsengpässe überbrücken und für Stabilität sorgen. Der Fonds werde in "absehbarer Zeit" gestartet, kündigte der Vizegouverneur der chinesischen Zentralbank, Yi Gang, in Peking an.

Dass die Schwellenländer mit ihren größten Problemen seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 konfrontiert sind, hat die schon im März ins Auge gefassten Pläne für den Brics-Fonds beschleunigt.

Ursache der Turbulenzen sind die Signale der USA, ihre lockere Geldpolitik auslaufen zu lassen und die Zinsen anheben zu wollen. Nach der Finanzkrise 2008 hatte die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) den Geldhahn aufgedreht, um Rezessionsgefahren vorzubeugen. Billiges Geld floss in die Schwellenländer, wo stärkeres Wachstum und höhere Zinsen lockten. Doch jetzt, wo es der US-Wirtschaft langsam wieder besser zu gehen scheint, könnte die Fed die große Dollar-Wende einleiten und die großzügige Liquiditätsversorgung der US-Wirtschaft im Rahmen des viel diskutierten "Fed-Exits" wieder drosseln, um zu einer Art 'neuen Normalität' zurückzukehren.

Die fetten Jahre sind vorbei

Dieses Szenario führt zu massiven Veränderungen in den einstigen Boomländern: Nervös fragen sich Experten, ob den aufstrebenden Schwellenstaaten nun ohne diese Kapitalzuflüsse die Luft auszugehen droht? "Ich glaube nicht, dass alles nur eine Blase ist", sagt Professor Shi Yinhong von der Volksuniversität in Peking. Mit Blick auf das verlangsamte Wachstum in Indien und Brasilien spricht der Experte allerdings von mehreren, kleineren Blasen. Die knappere Geldpolitik werde zwar "negative", aber nicht "tödliche" Auswirkungen haben, glaubt Shi Yinhong.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sei ohnehin nicht so stark betroffen wie andere Schwellenländer. Das hat offensichtliche Gründe: Der Yuan ist nicht konvertibel und der Kapitalverkehr nach China wird stark reglementiert. "China ist besser geschützt", sagt der Experte. Aus seiner Sicht ist Chinas Wirtschaft auch robuster, auch wenn sich das chinesische Wachstum durch geringere Exportnachfrage und Kreditvergabe auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahrzehnten verlangsamt hat.

Euro / Rupie
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Aber kein Zweifel: Die fetten Jahre sind überall vorbei. Besonders betroffen sind Länder wie Indien, die den bisherigen Boom nicht für dringend erforderliche Reformen genutzt haben. Die indische Rupie ist bereits auf ein neues Rekordtief gefallen. Auch der brasilianische Real hat stark an Wert verloren - ähnlich die Währungen in Indonesien, Südafrika, Russland, der Türkei, Thailand und Malaysia. So verteuern sich ihre Importe, was die Wirtschaften zusätzlich belastet, auch wenn die Exporte auf dem Weltmarkt billiger und damit wettbewerbsfähiger werden.

Alternativen zu Weltbank und IWF

Der Aufruhr an den Devisen- und Aktienmärkten weckt das Gespenst einer neuen Asienkrise wie 1997/98. Doch glauben Beobachter, dass die Schwellenländer heute besser gewappnet seien. Angesichts der Krise rückt auch die höchst ungleiche Gruppe der Brics-Staaten zusammen. Es gab auf einem Treffen Anfang August in Neu Delhi nicht nur die Einigung bei dem 100-Milliarden-Krisenfonds, sondern endlich auch Fortschritte bei den Plänen für eine Brics-Entwicklungsbank, die Projekte in ärmeren Ländern finanzieren soll.

Das Bankkapital in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar (rund 38 Milliarden Euro) bringen die fünf Staaten zu gleichen Teilen auf, sind damit auch gleich stimmberechtigt. Anteile bis 40 oder 45 Prozent sollen reiche Industrienationen angeboten werden, damit die Bank kreditwürdiger wird und billiger Kapital aufnehmen kann. In den 100-Milliarden-Fonds hingegen soll China als größte Brics-Volkswirtschaft 41 Milliarden einzahlen, während Russland, Brasilien und Indien jeweils 18 Milliarden und Südafrika 5 Milliarden beitragen dürften, wie indische Medien berichteten.

Neue Finanzweltordnung

Der Brics-Fonds und die Entwicklungsbank gelten offiziell als Ergänzungen zu Weltbank und Währungsfonds (IWF). In Fachkreisen sorgen die Pläne allerdings für hochgezogene Augenbrauen. Ein weitgehend autonomer Schutzfonds der Brics-Staaten und eine eigenständige Entwicklungsbank nach europäischem Vorbild dürften die internationale Finanzarchitektur langfristig von Grund auf verändern.

Schon jetzt machen chinesische Experten keinen Hehl daraus, dass ihnen die Entscheidungsmechanismen in den - von den USA dominierten - traditionellen internationalen Finanzinstitutionen ohnehin viel zu kompliziert sind. Mit einem chinesisch dominierten Schutzfonds könnte schon bald ein konkurrierendes Handlungsorgan abseits der IWF-Systematik entstehen.

Quelle: ntv.de, dpa

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