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Die unerträgliche Euro-Eierei Leben oder sterben lassen

Wenn Europa nicht jetzt die Gelegenheit beim Schopfe packt und mit der Flucht nach vorne zu einer echten politischen Union findet, ist es aus mit dem Euro. Das wäre trotz aller Sehnsucht nach der guten alten D-Mark vor allem für Deutschland eine große Last.

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(Foto: REUTERS)

Aufhören, es reicht! Das Gerede über den Untergang des Euro, über die Republik der Zahlmeister, über die Sparsamkeit der Deutschen und den Südstaaten-Schlendrian, über den Austritt oder noch viel besser den Rauswurf von Staaten aus dem Euro-Raum, ja, kurzum über die geschundene deutsche D-Mark-Seele, ist unerträglich geworden. Nicht, weil die Fragen nach der Zukunft des Euro unbequem oder gar unberechtigt wären, ganz und gar nicht. Sondern, weil die Antworten längst bekannt sind, aber politisch schlicht ignoriert werden.

Der Euro ist tatsächlich in akuter Lebensgefahr. Doch statt zu erkennen, wie der Patient langfristig therapiert werden kann, wird er nach jedem Schwächeanfall wiederbelebt und darüber geredet, was bei der Geburt alles schiefgelaufen ist.

Mancher Ruhestands-Ökonom meint nun, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft auch noch ein Buch schreiben zu müssen. Das lässt sich dann wunderbar auf einer Lesereise durch die Talkshows der Republik in bester Sarrazin-Tradition unter das Volk bringen - getreu dem Motto "Was Sie schon immer über den Euro lesen wollten und ich Ihnen deshalb nun aufgeschrieben habe". Spaltet sich der Euro also künftig in einen Nord- und einen Süd-Euro? Stimmt, bei Aldi hat das ja auch funktioniert! Wenn wir schon bei prima Ideen sind: Wir Deutschen hängen doch so der D-Mark hinterher, aber unserer Wirtschaft bekommt der Euro so gut. Warum schlagen wir dann nicht zwei Fliegen mit einer Klappe und führen den Deutschland-Euro ein - also den Deuro? Das fällt gar nicht weiter auf, denn den Teuro haben wir ja auch schon, nicht wahr? Doch Zynismus beiseite.

Unbestritten muss sich etwas ändern, denn eine ständig schwelende Angst vor einer unbeherrschbaren Staatspleite hält auf Dauer keine Währungsunion aus. Es geht deshalb nun um nicht weniger als die Gretchenfrage: "Nun sag, wie hast du’s mit dem vereinten Europa?"

Jetzt oder nie

Die Politik hat genau zwei Optionen, nämlich eine echte politische Union und damit eine Chance für den Euro oder ein krachendes Ende der Währungsunion mit einem Zerbrechen in alte Nationalstaatlichkeit. Gemeinsam oder einsam, dazwischen gibt es nichts. Seriös bis auf die letzte Stelle sind beide Szenarien nicht zu kalkulieren. Klar ist aber, dass weder eine gemeinsame Zukunft noch ein Scheitern des Euro eine günstige Veranstaltung würde. An die Stelle der Kosten-Nutzen-Arithmetik muss deshalb nun politische Vernunft und Weitsicht treten. Das kann nur bedeuten: Einigung und gegenseitige Verbindlichkeit müssen mehr wert sein als Spaltung und Gegeneinander. Das gilt umso mehr für Deutschland, das wie kaum ein anderes Land von Europa und dem Euro profitiert.

Zeiten ändern sich, doch eine Ablösung des Dollar als Leitwährung bleibt ein sehr langfristiges Ziel.

Zeiten ändern sich, doch eine Ablösung des Dollar als Leitwährung bleibt ein sehr langfristiges Ziel.

(Foto: REUTERS)

Für die deutsche Industrie ist der Euro ein Export-Förderprogramm par excellence. Er nimmt nicht nur das Währungsrisiko von den Verkäufen in die wichtigsten Abnehmerländer, sondern hält die Währungsgewichte in Europa auch dann fest, wenn die heimische Produktivität noch wächst. Das zahlt sich unmittelbar aus. Und die Vorteile machen nicht an den Grenzen Europas Halt. Je stärker der Euro nicht nur in Europa, sondern darüber hinaus auch in der Welt an Einfluss gewinnt, umso besser ist das auch für die heimische Wirtschaft. Je mehr Waren nämlich in Euro abgerechnet werden, umso weniger Unwägbarkeiten und Preisrisiken bedeutet das für die hiesigen Unternehmen auch auf ihrer Einkaufseite.

An Einfluss gewinnt eine Währung jedoch gewiss nur, wenn sie auch politisch auf stabilen und starken Schultern ruht. Ein Neben- oder gar Gegeneinander in der Fiskal- und Haushaltspolitik von 16 Euro-Staaten ist jedoch das Gegenteil davon und deren dramatische Folgen sind derzeit in Europa zu beobachten. Ein starker Euro braucht ein starkes Europa, das in den wichtigen Fragen etwa der Steuerpolitik an einem Strang zieht. Das gelingt aber nicht durch Sonntagsreden und gute Vorsätze, sondern nur mit gemeinsam verantwortetem Geld. Im Klartext: Alle Euro-Staaten müssen sich künftig grünes Licht für ihre Haushalte in Europa abholen.

Angst wider die Vernunft

Dass die Zukunft in einer solchen politischen Union liegt, ist auch in Berlin angekommen, ausweislich bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Vorstöße in diese Richtung, etwa mit Eurobonds eine gemeinsame Schuldenaufnahme zu regeln, werden von Kanzlerin Angela Merkel jedoch kategorisch stur vom Tisch gewischt. Merkel bedient damit den weit verbreiteten Angstreflex vor einer Transferunion, in der Schuldensünder ihre Defizite immer weiter nach oben treiben und dauerhaft vom Musterschüler Deutschland mitfinanziert werden.

So nah und doch so fern: Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble.

So nah und doch so fern: Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble.

(Foto: picture alliance / dpa)

Diese Sorge übersieht jedoch drei wichtige Punkte: Selbst wenn Deutschland noch stärker als bisher finanziell durch Europa in Verantwortung genommen wird, wäre dies trotzdem bei weitem noch lohnender als ein Scheitern des Euro. Darüber hinaus liegt es auch in den Händen Deutschlands, die Institutionen in Europa so aufzustellen, dass ein gemeinsamer Haushalt auch von demokratisch legitimierten Volksvertretern entschieden wird. Es wird nicht reichen, dass die Staats- und Regierungschefs demnächst das finanzielle Schicksal Europas unter sich auskungeln, sondern es muss im Europaparlament entschieden werden. Zuguterletzt kommt die Angst vor einem Verlust an Fiskal-Autonomie der nationalen Parlamente schlicht zu spät. Wie wenig diese Budgethoheit noch wert ist, wurde nirgends klarer als bei der eiligen Verabschiedung immer neuer Rettungsmilliarden, erst für den Finanzsektor, dann für Euro-Sorgenstaaten. Es wird Zeit, dass die Politik wieder in die Offensive kommt - vor der eigenen Haustür wird das schwerlich möglich sein.

Die Zeit des Zögerns muss jetzt vorbei sein, sonst wird die Entscheidung über den Euro nicht von der Politik, sondern jenseits der Parlamente getroffen. Noch können wir dem Euro und damit auch Europa eine echte Chance geben. Es wird kein Zuckerschlecken, aber es lohnt sich.

Quelle: ntv.de

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