Wirtschaft

Volvo, China und Big Brother Wie entmündigend ist autonomes Fahren?

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Auf dem Genfer Autosalon liefert Bugatti zwar den Hingucker. Das Aufregerthema steuert aber Volvo bei: Tempolimit und Alkoholtester als Beginn einer "Verbesserung" des Fahrers durch sein immer autonomer werdendes Automobil. Ist in Zukunft der Kunde noch König?

Bei den deutschen Autoherstellern geht es im Moment hoch her: Erst bauen sie Autos, die durch Elektrifizierung und Automatisierung so übertechnisiert und teuer sind, dass kein normaler Fahrer sie mehr beherrscht und sich leisten kann. Dann zerfleischen sich die Bosse verbal im Streit über die richtige Antriebsstrategie. Und in dieser explosiven Situation setzt ein chinesischer Hersteller namens Volvo noch einen drauf: Im März, einen Tag vor Eröffnung des Genfer Automobilsalons, erregte Volvo-Chef Hakan Samuelson Aufsehen, als er verkündete, dass Volvo-Automobile ab 2020 nicht mehr schneller als 180 Kilometer pro Stunde fahren können, dann werden sie automatisch abgeregelt. Zudem will Volvo den Bau von Verbrennerautos völlig einstellen und künftig nur noch Elektroautos bauen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Die Autowelt stand Kopf, welch eine Wendung, kolossal. Und das in einer Zeit, in der die Branche unter Dieselskandal, Milliardeninvestitionen in Elektromobilität und Roboterautos massiv unter Druck steht. Und jetzt auch noch ein selbstverordnetes Tempolimit! Als ob massive Gewinnrückgänge und Kostensenkungsprogramme sowie erheblicher Personalabbau nicht schon genug wären.

"Höher, schneller, weiter"

Für die alteingesessenen Autohersteller war dieser Vorstoß von Volvo ein absoluter Überraschungscoup. Denn die europäischen Hersteller, vor allem im Premium-Bereich, handelten bisher nach der olympischen Maxime, nach denen neue Automobile immer noch "höher, schneller, weiter" fahren und mehr PS und mehr Leistung haben müssen als ihre Vorgängermodelle. Und, folgend dem 4.0-Zeitgeist, das Ganze vernetzt als rollender Computer mit angehängter Karosse und möglichst autonom fahrend.

Kein Wunder also, dass es auf der diesjährigen Automesse am Genfer See nur so von Elektro- oder Hybridautos in allen Schattierungen wimmelte. Und allen E-Modellen gemeinsam waren hohe Preise, niedrige Reichweiten der Lithium-Ionen-Akkus, kombiniert mit unzureichend hohen Ladezeiten an der Steckdose - die bekannten Absatzkiller in den Augen der Kunden. Aber ob die Kunden das alles überhaupt wollen, hat keiner gefragt.

Ist der Kunde noch König?

Und genau danach sieht es aus: Die Messebesucher am Lac Leman gaben eine eindeutige Antwort. Die Hingucker für das Publikum waren nicht die vernetzten und autonomen Design-Monster oder langweiligen Elektroautos, sondern die "Klassiker" mit Verbrennermotoren und viel PS unter der Motorhaube.

Der diesjährige Auto-Star war ein Bugatti namens La Voiture Noire, ein pechschwarzes Einzelstück der Traditionsmarke aus Molsheim im Elsass anlässlich ihres 110-jährigen Geburtstages. Bugatti ist heute Teil des VW-Konzerns, der übrigens 2026 die letzte Verbrennerplattform auflegen will. Dieses karbonschwarze Unikat mit über 1500 PS und 1600 Newtonmetern Drehmoment ist für schlappe elf Millionen Euro zu haben. Er wird seinen Käufer finden, so wie das Publikum ihn in Genf gefunden und fast schon belagert hat.

Zurück zu Volvo-Chef Samuelsson. Der begründete die Tempo-Enthaltsamkeit seines Hauses mit Fürsorgeaspekten für die Verkehrsteilnehmer. Doch die wohlmeinende Absicht geht noch weiter: Volvo Cars wolle einen Meinungsaustausch darüber in Gang bringen, ob Autohersteller nicht sogar die Pflicht hätten, "... mit der Technik in den Autos das Verhalten ihrer Fahrer zu ändern".

Die "Nanny" fährt immer mit

Ja, heiliges Blechle! Wenn dem so ist, warum dann nicht gleich Tempolimit 130 statt 180? Oder zwangsweise elektronische Abriegelung bei Tempo 50 oder 30 beim Passieren einer Stadt- oder Ortsgrenze? Technisch alles möglich - allerdings mit großen Einnahme-Kollateralschäden bei den Stadtkämmerern verbunden.

Aber das ist noch nicht alles, Volvo setzte jüngst noch einen drauf: Es soll einen Alkohol- und Drogen-Schnüffler in jedem Volvo ab 2020 geben. Ein komplexes System aus Kameras und Sensoren soll den Fahrer ständig überwachen und notfalls eingreifen, falls dieser übermüdet ist, unter Alkohol oder unter Drogen steht. Bei fehlenden Lenkbewegungen, geschlossenen Augen, von der Straße abschweifenden Blicken über einen längeren Zeitraum, Schlangenlinienfahren oder extrem langen Reaktionszeiten greift das System dann ein und durch: Das Auto reduziert selbsttätig die Geschwindigkeit und bremst ab, bis hin zum Einparken am Straßenrand, falls ein Parkplatz frei ist. Und die EU-Kommission hat diesen Vorschlag flugs in die Gesetzgebung eingespeist. Aus der Traum, sich alkoholisiert von seinem Auto autonom nach Hause fahren zu lassen! 

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die heutigen Assistenzsysteme im Auto (Navi, Regen- und Licht-Sensor, Stop-and-Go-Fahrt, Abstands- und Auffahrwarnung) sind nützlich und gut. Sie machen das Fahren sicherer für den Fahrer und sein Umfeld und vor allem bequemer. Das ist alles sinnvoll - wenn man es denn will. Aber man muss sie durch den berühmten Umlegeschalter auch einschalten! Wenn einen das ganze Gebimmel, Geblinke und Gerüttel stört, kann man die Systeme somit auch ausschalten. Und man hat dann einfach nur wieder Freude am Fahren.

Big Brother is watching you

Der Rubikon hin zum technologischen Irrsinn ist meiner Ansicht nach längst überschritten: Das Auto der Zukunft kann massieren und durch Blicke, Sprechen und Gesten des Fahrers gesteuert werden. Eine unachtsame Geste und das Fenster öffnet sich, oder gar die Tür, ungewollt. Oder: Bei einem bösen Blick auf ein Wahlplakat der Regierungspartei meldet das Auto das sofort "nach oben" und es gibt einen Minuspunkt auf dem Sozialkonto - wie in China teilweise heute schon Realität.

Nach Meinung der Hersteller soll das Computersystem "on board" mit dem Handy des Fahrers und dessen Funktionen in Wettbewerb treten. So kann es etwa in Echtzeit die Umgebung nach freien Parkplätzen abscannen oder die Speisekarten von Restaurants im Vorbeifahren auf den Bildschirm spiegeln. Schöne neue Welt, wenn man Hunger hat. Sonst heißt es klar und deutlich: Wehret den Anfängen! Hier geht es nicht mehr nur um technischen Fortschritt oder um echte Kundenwünsche. Der Autokunde soll stattdessen mittels seines Autos bevormundet werden - beginnend beim Hersteller und endend möglicherweise dann bei der Politik.

Um nicht missverstanden zu werden: Das ist keine Absage an ein Tempolimit oder ein Alkohol-und Drogenverbot, wenn Wählerwille und die Sicherheit der Mitmenschen es erfordern. Aber das sollte dann vom Gesetzgeber im demokratischen Auftrag der Wähler verhängt werden und nicht vom Auto seinem Fahrer verordnet. Regulative Vorschriften im Verkehr - und anderswo - sollten dem demokratischen Staat und seinen Institutionen vorbehalten bleiben und nicht der Willkür eines Autoherstellers überlassen werden! Es geht um eine Absage an eine schleichende Entmündigung vormals mündiger Bürger und Autofahrer mittels Automobiltechnik. Wollen wir das wirklich?

Quelle: ntv.de

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