Wirtschaft

Automobile Illusionen Wie die Gesellschaft betrogen wird

Elektroautos lösen innerstädtische Verkehrs- und Umweltprobleme. Teslas Model 3 und die chinesische Autoindustrie bedrohen die deutschen Autohersteller. Zwei Aussagen, die plausibel klingen - aber deshalb noch lange nicht wahr sind.

"Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn das was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr." Diese Erkenntnis aus dem alten Griechenland von Demosthenes feiert heute in der Autoindustrie und Verkehrspolitik fröhliche Urstände. Da wurden doch in Politik und Gesellschaft verkehrs- und umweltpolitische Weichen gestellt und von der betroffenen Autoindustrie mit Milliarden an Folgeinvestitionen umgesetzt, die sich bei näherer Betrachtung als kaum zielführend erweisen. Welch böses Erwachen!

Was wird von den Machern und der Gesellschaft geglaubt? Und was ist Selbstbetrug?

Selbstbetrug 1

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Elektroautos lösen die innerstädtischen Verkehrsprobleme wie Stau, Luftverschmutzung durch Feinstaub und Abgase?

Falsch! Öffentlicher Raum in Städten und Ballungsgebieten war schon im alten Rom ein knappes Gut. Heute haben wachsende Autoflut und begrenzter Straßen- und Parkraum in den Städten die Knappheit an die Schmerzgrenze gebracht. Darauf hat aber die Umweltfreundlichkeit der Pkw-Flotte innerhalb des Stadtgebietes keinen Einfluss, mag sie noch so groß sein. Im Gegenteil: Bei einer Flotte absolut abgasfreier, sauberer Elektroautos nimmt die Verkehrsdichte vermutlich zu, nicht ab. Zusätzliche digitale Mobilitätsangebote durch neue Fahrdienste oder Car-Sharing und  Roboterautos vergrößern sogar die Verkehrsdichte und damit die innerstädtischen Stauprobleme.

Abhilfe können da nur scharfe, preisgesteuerte Zugangsbeschränkungen schaffen über elektronische City-Maut wie in London, Stockholm oder Mailand, wo sie auch für E-Autos gelten. Eine Alternative ist nur die absolute Bestandsdeckelung wie in Singapur oder Shanghai. Tesla und andere alternative Antriebe lösen keine Mobilitätsprobleme. Sie werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit schlimmer machen.

Selbstbetrug 2

Kohlenstoff- und Stickstoffdioxide sind die Gesundheits- und Umweltkiller Nummer eins? Nur durch Fahrverbote für Dieselautos oder generelle Verschärfung der Emissionsgrenzwerte bei Verbrenner-Autos wird die Abgaskonzentration in der Luft gesenkt, und das Sterbe - und Erkrankungsrisiko der innerstädtischen Bevölkerung nachhaltig verringert?

Falsch! Abhilfe schaffen nur völlig abgasfreie Verkehrsmittel. Selektive Dieselfahrverbote sind sinnlos. Durch Umleitungs- und Vermeidungsverkehr nimmt die NOx-Luftbelastung insgesamt zu, nicht ab. Aber auch hier nur partiell! Denn der wahre Gesundheitsfeind in Ballungsgebieten ist nicht Stickoxid, sondern Feinstaub. Dieser entsteht im Straßenverkehr durch Abgase, aber auch durch den Abrieb von Reifen oder Bremsbelägen, egal ob das Vehikel mit Benzin, Diesel, mit E-fuel oder elektrisch angetrieben wird. Ganz abgesehen von den übrigen Feinstaub-Emittenten. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Nationalen Akademie Leopoldina in einer Studie, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde. Konsequenz:  Die Wissenschaftler fordern eine grundlegende Verkehrswende. Wie die aussehen soll, sagen sie zwar nicht, meinen aber wohl weniger sei mehr.

Selbstbetrug 3

Die chinesische Autoindustrie macht mit ihrer Flut von Elektroautos den deutschen Herstellern mit ihren Verbrenner-Oldies den Garaus? "China ist dabei, Technologieführer in der Autoindustrie zu werden und zugleich für alle anderen die Regeln vorzugeben", wie Autopapst Ferdinand Dudenhöffer als Resümee der jüngsten Shanghai Motor Show sagte.

Das ist Strom auf die Elektromühlen der Öffentlichkeit, die nach wie vor der Ansicht huldigt, die deutsche Autoindustrie habe den elektrischen Antriebs-Anschluss verpasst. Batterien würden alle im Ausland gebaut. Akku-Autos seien in China beinahe schon Standard: Jede zweite nationale Automarke habe gar keinen Verbrenner mehr im Angebot.

Falsch! In China kehrt bei den Elektro-Startups nach der Euphorie Ernüchterung ein. Die meisten der in den Vorjahren mit großem Brimborium wie Pilze aus dem Boden geschossenen 500 automobilen Elektro-Neulinge sind über Nacht verschwunden. Nio, Byton, Weltmeister oder Lynk und Co. haben unisono ihre ehrgeizigen Expansions- und Investitionspläne eingedampft, obwohl die deutschen Hersteller in China noch nicht einmal mit ihrer Elektro-Offensive angefangen haben.

Kurzum: Die einstige Euphorie über die drohende chinesische Elektro-Übermacht auf dem Weltmarkt hat in dem Maße ab-, wie die Anzahl der gestrandeten und ausgepowerten E- Autos auf den chinesischen Ring-Roads in Shanghai oder Beijing zugenommen hat.

Selbstbetrug 4

Elektro-Pionier Elon Musk mit der Marke Tesla gräbt den deutschen Verbrenner-Herstellern mit seinen Elektroautos das Wasser ab? Das Model 3 rollt den Markt auf?

Falsch: Tesla-Chef Musk gaukelt sich und seinen Aktionären vollmundig immer wieder güldene Zeiten vor. So will er 2019 rund 500.000 Autos bauen und verkaufen, und 2020 sogar eine Million selbstfahrende Roboter-Taxis auf die Straße bringen, damit deren Besitzer durch Vermietung damit Geld verdienen können. Und das wird auch noch geglaubt. Dabei rollen 2019 selbst die bestellten Autos vom Model 3 nicht von den Bändern, die Absatzzahlen der S- und X-Modelle gehen zurück. Vertriebs- und Servicenetze werden aus Kostengründen eingedampft, die Preise werden angehoben. Verkaufsförderung sieht anders aus!

Auch die geplante Giga-Batteriefabrik in Shanghai fand mangels Finanzierung ein ruhmloses Ende. Die Muster-Giga-Fabrik in Nevada wird nicht weiter ausgebaut, Investor Panasonic drehte den Finanzhahn zu. Kein Wunder:  Seit 2016 hat Tesla fast 6 Milliarden Dollar Verlust erwirtschaftet.

Selbstbetrug 5

Opas Geschäftsmodell, mit einem eigenen Auto zu fahren, ist tot? Uber, Moia und Co. fegen mit neuen digitalen Mobilitätsangeboten die klassischen Autohersteller, die seit 125 Jahren vom Verkauf ihrer Autos gelebt haben, vom Markt?

Falsch! Das wird nämlich nicht passieren. Aus ähnlichen Gründen wie bei Tesla, nur etwas subtiler. Um als Privatmann via App Uber-Fahrdienste anbieten zu können, müssen erst einmal Autos vorhanden sein. Und die fallen nicht vom Himmel, sondern kommen aus irdischen Fabriken. Bevor die Selbstausbeutung beginnt, muss erst ein Auto angeschafft werden oder vorhanden sein. Im Endergebnis nimmt mit Uber, Lynk und Co. die Anzahl der Autos in der Stadt zu, nicht ab. Zur Freude der Autohersteller. Dass dabei die Durchschnittseinkommen aller aktiv und passiv Involvierten sinken, interessiert Uber wenig, die Hersteller gar nicht.

Zudem: Uber-Low-Cost-Fahrdienste verursachen gesellschaftliche Kosten - sie substituieren normale Taxidienstleistungen, in voller Analogie zum Oldie der Spyder Murphy Gang: " … und die Taxler in der großen Stadt, stehen sich die Reifen platt ..." Uber und Co. ziehen Nutzer vom Fuß- oder öffentlichen Nahverkehr ab. Von wegen die Menschen lassen ihr privates Auto stehen: Sie nehmen nur ein anderes! Sie generieren in Summe mehr innerstädtischen Verkehr als vorher. Einschlägige Untersuchungen aus US-Städten belegen das. Damit schlägt die Stunde für Verbote oder regulative Begrenzung und Eindämmung solcher Dienste. U-Bahn statt Uber ist angesagt! Wer macht den Anfang?

Quelle: ntv.de

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