Wirtschaft

Salzburger Nockerl Wie Piëch bei VW stärker die Fäden zieht

Ferdinand Piëch im Jahr 2010.

Ferdinand Piëch im Jahr 2010.

(Foto: picture alliance / dpa)

Abgasskandal, Betrug, Milliardenstrafen, Imageprobleme: Kein Wunder, dass mancher das Ende des VW-Konzerns bereits gekommen sah. Doch dann schlägt das Auto-Imperium zurück - mit einem neuen Feindbild.

"Ende eines Imperiums", so lautete die Überschrift eines Artikels, mit der die "Süddeutsche Zeitung" den spektakulären personellen wie strukturellen Umbau sowie die Erneuerungspläne des Volkswagen-Konzerns Mitte April kritisch kommentierte. Der Multi-Marken-Konzern sei unregierbar geworden, der Einfluss des Patriarchen Ferdinand Piëch am Ende und der eingeleitete personelle und funktionale Umbau sehr riskant.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

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Diese kritische Einstellung gegenüber dem VW-Konzern ist nicht neu. Seit den drohenden Fahrverboten für Alt-Diesel wegen der hohen Stickoxid-Emissionen hat sie sich auf breiter Front verstärkt und auf die gesamte Autoindustrie ausgedehnt. Nur eines passte nicht ins kritische Bild: die Pleite-Resistenz des VW-Konzerns.

Eine Nacht- und Nebel-Aktion

Das gleiche Spiel wiederholte sich bei der jüngsten, quasi überfallartigen Umstrukturierung des Volkswagen-Konzerns. Völlig ohne Vorwarnung, aber offensichtlich von langer Hand und im stillen Kämmerlein in den abgeschiedenen Salzburger Alpen vorbereitet, vollzog sich vor den Augen einer verblüfften Öffentlichkeit sowie des VW-Vorstands nebst Belegschaft der größte strukturelle und personelle Konzernumbau der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte - quasi eine unblutige Revolution: Der bisherige Vorstandsvorsitzende Matthias Müller wurde über Nacht abgelöst, an seine Stelle trat Herbert Diess, erst im Sommer 2015 und damit kurz vor Ausbruch des Diesel-Skandals auf Lockruf von Patriarch Piëch in den VW-Konzern gewechselt.

Diess ist Österreicher wie der VW-Adel Ferdinand Porsche, Anton Piëch und Ferdinand Piëch. Diess ließ sich gerne locken, hatte er wenige Monate zuvor bereits BMW freiwillig, aber im Zorn verlassen, da ihm die Familien Klatten/Quandt als BMW-Eigentümer Harald Krüger als Vorstandsvorsitzenden vorgezogen hatten. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für beide Konzerne.

Frisches Blut

Mit Müller verloren auch der "Einkaufskönig" Javier Garcia Sanz, seit 1993 im Unternehmen, und Personalvorstand Karlheinz Blessing ihre Posten. An dessen Stelle trat Gunnar Kilian, früher Pressesprecher, dann Generalsekretär des Betriebsrates und damit engster Vertrauter von  Betriebsratschef Bernd Osterloh. Gleichzeitig ist Kilian enger verbandelt mit Patriarch Ferdinand Piëch, dessen Aufsichtsratsbüro er in den Jahren 2012 und 2013 in Salzburg geleitet hatte. Kilian saß damit, obwohl reiner Gewerkschaftsmann, direkt im Allerheiligsten der "kapitalistischen Macht".

Ein absolutes Novum in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Kilian genießt trotz seiner Rückkehr an die Aller als Vorstand der Salzach Privatstiftung, die einen Teil der Stammaktien der Familienstämme Piëch und Porsche verwaltet, weiterhin deren Vertrauen und bleibt in Salzburg präsent - nicht nur, weil es da so schön ist. Enger als in der Person Kilian kann die Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital kaum sein. Karl Marx würde im Grab rotieren, die Väter der betrieblichen Mitbestimmung vor Neid erblassen.

Dreh- und Angelpunkt Diess

Im Mittelpunkt des Konzernumbaus steht aber eindeutig Herbert Diess, Ferdinand Piëchs Testamentsvollstrecker. Um ihn herum vollzieht sich der gesamte strukturelle und personelle Prozess des Umbaus und der Neuausrichtung des Konzerns. Diess löst nicht nur Müller als Konzernchef ab, er leitet auch die neue Markengruppe "Volumen" (VW, Skoda, Seat). Und er übernimmt zusätzlich die Verantwortung für den Zukunftsbereich Fahrzeug-IT (Vernetzung/Connected Car/Cloud) sowie die strategische Konzernentwicklung und die Forschung.

Alle Bereiche also, wo der Wettbewerb künftig entschieden wird. Um Diess im Tagesgeschäft den Rücken freizuhalten, wird zu seiner Unterstützung die neue Funktion des COO (Chief Operating Officer) geschaffen. Zusätzlich erhält er mit dem Aufsichtsratsvorsitz bei Audi die VW-Speerspitze im Premium-Segment - und die zeigt nach Süden. Diess hat damit als Konzernchef mehr Kompetenzen denn je, eine Machtfülle nicht gekannten Ausmaßes.

Starker Mann Stadler

Des Weiteren rückt Porsche-Vorstand Oliver Blume in den Konzernvorstand auf, wo er neben der ebenfalls neu geschaffenen Markengruppe "Super Premium" (Porsche, Bugatti, Bentley, Lamborghini) den Bereich Konzernproduktion leitet. Bei so viel Rochade kann natürlich Rupert Stadler als Audi-Chef und ebenfalls ehemaliger Piëch-Büroleiter - und damit wie Kilian enger Piëch-Vertrauter - nicht leer ausgehen: Stadler, unter Müller fast geschasst und bis dato nur VW-Marken-, aber kein Konzernvorstand, rückt ebenfalls in das Konzernspitzengremium auf. Er leitet die dritte Markengruppe "Premium" (Audi) und ist zusätzlich markenübergreifend für den gesamten Konzernvertrieb verantwortlich. Und zwar diesmal inklusive der mächtigen, nahezu unbekannten Salzburg Holding, von der aus Piëch in der Vergangenheit die Strippen im Konzern gezogen hat.

Zudem wird zur Erhöhung von Schlagkraft und Schlagzahl das gesamte Lkw- und Bus-Geschäft in einer deutschen AG verselbstständigt und soll später zu einer europäischen SE zusammengefasst werden (MAN, Scania, VW-Brasilien). Es wird in München bei MAN angesiedelt. Eine Neustrukturierung der globalen Absatzregionen und viele andere Strukturveränderungen kommen hinzu – zu viel, um hier im Einzelnen ausgebreitet zu werden.

"Onkel Herbert" macht das schon

Oberste Zielsetzung dieses Maßmahmenbündels ist es, "Gulliver zu entfesseln", Hierarchien zu verflachen, die Konzernsteuerung zu verschlanken, Entscheidungsprozesse in dem riesigen Autoimperium mit 642.000 Mitarbeitern, 12 Marken und mehr als 120 Produktionsstandorten zu beschleunigen - und: die Marken zu stärken. Kurz: Den gesamten Konzern trotz seiner Größe effizienter und rentabler zu machen und "das Unternehmen mit seinen Marken zukunftsfähig auszurichten", wie AR-Chef Hans Dieter Pötsch sagte. Basisdemokratisch ist ein solcher Konzern nicht zu führen.

Dafür ist "Onkel Herbert" (wie ihn ein VW-Insider nennt) der richtige Mann, ein harter Hund, laut Osterloh ein Machtmensch.  Diess habe, so Pötsch, bei der Neuausrichtung der Marke VW bewiesen, "mit welchem Tempo und mit welcher Konsequenz er tiefgreifende Transformationsprozesse umsetzen kann": Diess war es 2016 mit dem "Zukunftspakt" nach hartem Ringen mit dem allmächtigen Betriebsratschef Osterloh gelungen, die Personalkosten der Marke Volkswagen erheblich zu drücken und die Gewinnmarge binnen kürzester Zeit zu verdoppeln. 

Das war für Diess der Ritterschlag, denn das war bis dato keinem seiner Vorgänger gegen die Macht des Betriebsrates gelungen. Ein grundsätzlicher Kulturwandel, eine fundamentale Verschiebung der Machttektur zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung. Zum ersten Mal machte es sich bemerkbar, dass der VW-Konzern seit der gescheiterten Porsche-Übernahme kein anonymer Aktionärskonzern mehr ist, sondern ein familiengeführtes Unternehmen, das sich nunmehr nach der Umorganisation fest in der Hand einiger weniger Vertrauter der beiden Familien-Eigentümer Porsche und Piëch befindet.

Ein Stachel zum Stechen

Herbert Diess trauten die Eigentümer die Führung dieses "schlafenden" Imperiums, in dem die Sonne nie unterging, zu. Sein Lastenheft: mehr Härte, mehr Verantwortung, mehr Arbeit, mehr Motivation im Kampf gegen Wettbewerber - und dem Management die alleinige Entscheidungsmacht vor dem zuvor allmächtigen Betriebsrat. Damit, so Wolfgang Porsche, "der Schwanz nicht mehr mit dem Hund wackelt!"  

Diess hat mit der personellen und strukturellen Neuorganisation des VW-Konzerns einen wirkungsvollen Stachel erhalten, einen zum Stechen. Nach Übernahme des AR-Vorsitzes bei Audi sogar mit einem so mächtigen Stachel ausgestattet, der weit über das Potenzial Martin Winterkorns hinausreicht. Von Ferdinand Piëch wird berichtet, er habe Ende der 1970er auf das Ansinnen des jungen Vorstandschefs von BMW, Eberhard von Kuenheim, er möge als Entwicklungsvorstand von Audi zu BMW wechseln, lapidar geantwortet: "Ich entwickle lieber gegen BMW als für!" Diese Einstellung hat ihn auf seinem ganzen Berufsweg begleitet.

Sollte Diess dieses Piëch-Gen im Lastenheft übernommen haben, verheißt das einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb im Premium-Segment. Diess hat nicht nur die heutige Macht- und Entwicklungs-Power des gesamten VW-Konzerns im Rücken, sondern auch die volle Unterstützung der Eigentümer - wie auch zum ersten Mal des Betriebsrates. Und er hat den persönlichen Drive, denn wie die Lebenserfahrung lehrt: Der Stachel verschmähter Liebe sitzt besonders tief. Der Wettbewerb muss sich warm anziehen!  

Quelle: ntv.de

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