Wirtschaft

Boom oder Beule Sind die fetten Autojahre vorbei?

Über das Jahr 2016 kann sich die Autoindustrie nicht beschweren. Vor allem die deutschen Hersteller profitieren vom Boom diverser Absatzmärkte. Aber wie sieht es 2017 aus? Erste Daten geben Aufschluss.

Zu Beginn eines neuen Jahres steht traditionell der Ausblick auf das laufende Jahr im Vordergrund. Das gilt insbesondere für 2017. Nicht, weil US-Präsident Donald Trump Automobilimporte mit Strafzöllen belegen will oder weil der Brexit droht. Nein, weil die deutschen Autobauer mit 2016 ein besonders "fettes Jahr" einfahren konnten: Boom von Januar bis Dezember - und das auf (fast) allen wichtigen Absatzmärkten. Deshalb stellt sich nun die Frage: Wie wird 2017? Hält der Aufschwung an?

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Auch wenn die Wirtschaft immer sorgenvoll in die Zukunft schaut - bekanntlich ist "Die Klage …des Kaufmanns Lied" -, diesmal scheinen die Sorgen und Unsicherheiten besonders groß zu sein. Aber nicht nur in der Autobranche, nein, in der gesamten deutschen Wirtschaft, die doch zu fast 50 Prozent vom Export abhängt. Trump, Brexit, Präsidentschaftswahlen in Frankreich samt "Frexit"-Debatte: Unsicherheiten dieses Ausmaßes hat die jetzige Manager-Generation noch nicht erlebt.

Gleichzeitig wissen die Manager aber auch, wem man die gute Entwicklung verdankt. Denn die exportgetriebene automobile Hochkonjunktur kam der gesamten deutschen Volkswirtschaft bei Wachstum, Beschäftigung und Einkommen zugute: Die gesamtwirtschaftliche Produktion wies 2016 mit 1,9 Prozent die höchste Wachstumsrate seit einem Jahrzehnt auf, die Realeinkommen und der Konsum erreichten mit Raten von über 2,5 Prozent Werte wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und das alles auf der Grundlage von 5.7 Millionen in Deutschland produzierten und 4,3 Millionen exportierten Automobilen.

Die Autoindustrie muss florieren

Im Inland stehen in der Jahresbilanz 2016 insgesamt 3,35 Millionen Neuwagen. Das sind 4,5 Prozent mehr als 2015, (fast) alle ausgestattet mit Benzin- und Dieselmotoren. Der Anteil der Neuwagen mit alternativen Antriebsarten lag bei 2,0 Prozent. Diesen Zahlen sollten Gegnern jeglicher Verbrennungsmotoren zu denken geben.

Was von Gegnern der automobilen urbanen Mobilität in der Regel völlig außer Acht gelassen wird, ist der Fakt, dass die deutsche Volkswirtschaft mit rund 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und mit über drei Millionen Beschäftigten beim Einkommen und Wachstum von einer florierenden Automobilindustrie abhängt. Und die produziert nun mal zu 99 Prozent Automobile mit Verbrennungsmotoren. Die werden zwar von Jahr zu Jahr "sauberer", hinken damit aber immer noch deutlich hinter den scharfen Brüsseler Abgasnormen für 2020 her. Hinzu kommt: Über 70 Prozent der im Inland erzeugten automobilen Wertschöpfung wird exportiert - zum Glück das meiste davon nach Europa. In den USA sind die Premium-Hersteller BMW und Daimler sogar Netto-Exporteure.

Was lehrt uns das? Die deutsche Automobilindustrie respektive die gesamte Volkswirtschaft hängt heute, morgen und übermorgen auch voll noch am Tropf der traditionellen Verbrennungstechnologie und an einem ungestörten Export.

Von Fakten und Trendprognosen

Von daher ist verständlich, dass eine renommierte automobile Wochenzeitschrift in ihrer ersten Ausgabe 2017 die Frage stellte: "Wie lange gehen die fetten Jahre noch?" Und für die Branche die Empfehlung aussprach, die guten Zeiten zu genießen, solange es noch möglich sei.

Ist solcher Defätismus gerechtfertigt? Was sagen die Fakten und die Trendprognosen über die Entwicklung dieser so wichtigen Branche? Wollen die Kunden überhaupt noch Auto fahren? Und wenn ja, welche und wie viele? Autos mit klassischem Benzin-oder Dieselmotor, Verbrenner also, oder solche, die elektrisch und voll vernetzt als Computer auf Rädern unterwegs sind?

Überschaubare Risiken?

Es gibt zwei Gefahrenquellen: Zum einen können Gefahren kurzfristig von der Automobilkonjunktur 2017 und einer deutlichen Abkühlung der Automobilmärkte sowie einer Störung des freien Welthandels drohen. Und zum anderen - das wäre schlimmer - von einer langfristigen, trendmäßigen Verschlechterung der Absatz- und Exportbedingungen für die deutschen Hersteller.

Die kurzfristigen konjunkturellen Risiken für 2017 sind nach unserer Meinung sehr überschaubar. Der US-Markt für "Light Vehicles" hat 2016 mit 17,5 Millionen verkauften Einheiten ein neues Rekordniveau erreicht, ebenso China mit 23,7 Millionen Pkw. Westeuropa legte 6 Prozent auf 14 Millionen Neuwagen zu. Der Pkw-Markt wächst im Jahr 2017 weiter auf 84 Millionen Automobile (plus 3 Prozent), wobei die Märkte in China und Europa weiter maßvoll wachsen. In den USA dürfte sich der Absatz in etwa auf dem hohen Niveau halten. In Deutschland könnte er knapp 4,5 Prozent auf 3,50 Millionen zulegen, auf einen neuen Höchststand bei den Neuzulassungen.

Allen Furchtsamen sei gesagt: Die Position der deutschen Konzernmarken ist stark. In Westeuropa haben sie einen Marktanteil von rund 50 Prozent, in China, dem weltgrößten Pkw-Markt, von etwa einem Fünftel, in den USA wegen der Schwäche von VW (3,7 Prozent) lediglich 7,8 Prozent, mit viel Luft nach oben also - wenn der Marktzugang offen bleibt.

Fazit: Die konjunkturellen Sorgen für 2017 halten sich also in Grenzen. Märkte sind wie Containerriesen auf dem Meer: So schnell ändern sie ihren Kurs nicht. Die einzige Unsicherheit ist die Handelspolitik der neuen US-Administration mit dem Slogan: "America first!"

Langfristige Verwerfungen sind möglich

Unbestritten sind die langfristigen Risiken vom Branchen- und politischen Umfeld erheblich größer als in der Vergangenheit. Hier kann es für die deutschen Autobauer, die zu 70 Prozent auf den Export angewiesen sind, durchaus zu Verwerfungen kommen. Zum einen als Folge der Digitalisierung sämtlicher Produktions- und Produktstrukturen in der eigenen Branche. Zum anderen vom politischem Umfeld her, Trump, Brexit, Grexit, Frexit, Ukraine, Türkei et cetera lassen grüßen.

Da die politischen Risiken alle Hersteller gleichermaßen treffen und überdies von einzelnen Unternehmen und Branchen strategisch wenig beeinflusst werden können, konzentrieren wir uns auf eine mögliche Trendveränderung im Käuferverhalten. Was wollen die Kunden morgen? Denn allein auf sie kommt es an.

Wollen die Menschen in gesättigten Märkten überhaupt noch Auto fahren? Wollen sie noch ein eigenes Auto oder will man den Besitz mit anderen teilen? Was für ein Auto soll es sein: elektrisch und autonom oder will man noch selber hinters Steuer? Diese Fragen treiben die Autohersteller um. Nach welchen Kriterien erfolgt heute ein Neuwagenkauf? Kurz gefasst, kommen der sogenannte Dat-Report und VDA-Chef Wissmann zu drei wichtigen Ergebnissen:

  1. Das Hauptkriterium beim Neuwagenkauf ist die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs. Danach folgen Aussehen und Design und an dritter Stelle der Anschaffungspreis. Das heißt, die Autokäufer wollen ein qualitativ hochwertiges Auto - und es muss zudem noch attraktiv aussehen. Elektrische und automatisierte Autos kamen bei den repräsentativen Antworten nicht vor.
  2. Das eigene Auto ist und bleibt für die Menschen weiterhin sehr wichtig. Klartext: Und sie wollen das Auto selber besitzen, so wie ihr eigenes Haus oder Wohnung. Von wegen car sharing oder Abschied vom eigenen Automobil: Davon kann keine Rede sein.
  3. Die Vorstellung, die Menschen wollten in Zukunft nur noch mit automatisierten Autos fahren, erweist sich ebenfalls als Mär. So räumt der Dat-Report mit dem Vorurteil  auf, die Menschen würden nur notgedrungen Autos kaufen, eigentlich sei Autofahren eher lästig: "Wenn 92 Prozent der Neuwagenkäufer sagen 'mir macht Autofahren Spaß' und eine ebenso große Mehrheit der Auffassung ist, ohne Auto sei die eigene Mobilität 'deutlich eingeschränkt', dann sind das 'Wahlergebnisse', von denen zumindest in Demokratien die meisten Parteien nur träumen können." (Wissmann) Nur die Branche scheint das bisher etwas anders zu sehen.

Aus all dem folgt, dass die deutschen Autobauer auch 2017 nicht nur in der Heimat Europa, sondern weltweit auf dem Weltmarkt mit ihrem Produktportfolio gut aufgestellt sind. Fakt ist: In den gehobenen Marktsegmenten wollen die Kunden deutsche Autos, nicht ohne Grund ist das Premium-Segment global mit 80 Prozent fest in deutscher Hand. Daran haben vor allem auch die deutschen Zulieferer einen hohen Anteil. Sie sind in allen Kriterien die Benchmark - nie zuvor in der Automobilgeschichte waren drei deutsche Zulieferer in der Spitzengruppe der zehn Größten der Welt. Jetzt sind sie es.

Also doch Entwarnung? Nein. Fakt ist auch, dass der internationale Wettbewerb an Schärfe zunimmt. Die Herausforderungen werden größer, weil neuer branchenfremde Player auf das Spielfeld kommen. Die verstehen zwar nichts von Automobiltechnik, wohl aber von Vernetzung. IT-Technik und Digitalisierung. Keine Frage, wir leben in "disruptiven Zeiten". Aber ich bin mir sicher: Die deutsche Automobilindustrie schafft das.

Quelle: ntv.de

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