Wirtschaft

So paradox es klingt Ein Plädoyer für den Diesel

Der Diesel ist tot. Lang lebe der Diesel! Von Umweltschützern, Politikern und einem immer größeren Teil der Öffentlichkeit verteufelt, sorgt gerade der moderne Diesel für saubere Luft in den Innenstädten. Das sind die Gründe.

"Getretner Quark wird breit, nicht stark." Das wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. Und diese Erkenntnis gilt heute hinsichtlich der seit Monaten politischen und medialen Verdammung des Dieselantriebs als Umweltsünder und Gesundheitsgefährder Nummer eins im Verkehrssektor. Zigtausend Umwelttote werden Dieselabgasen jährlich in Deutschland zugeschrieben. Eine wissenschaftliche Glaubensangelegenheit, denn allein die Feinstaubbelastung aus dem Silvesterfeuerwerk über Deutschland entspricht nach Aussagen des Umweltbundesamtes 17 Prozent des gesamten Straßenverkehrs. Allerdings findet Silvester nur einmal im Jahr statt, Verkehr auf der Straße jeden Tag - und jeder möchte dabei sein und macht mit Freuden mit: bei der Gesundheitsgefährdung.  

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Aber wenn der Quark zu Unrecht einmal breitgetreten ist, fällt es schwer, ihn mit Vernunft-Argumenten wieder in Form zu bringen. Zum einen, weil man die Betrugs-Abgasmanipulationen an der Software dem Dieselmotor selbst anrechnet. Zum anderen, weil die ideologisch "Umweltbewegten und chronischen Mahner", wie Nikolaus Doll von der "Welt" sie bezeichnet, eigentlich die autofreie Stadt und der innerstädtischen individuellen Mobilität den Garaus machen wollen. Sie sehen nunmehr eine reale Chance und im Diesel einen Sündenbock.

Beispiel: München

Allerdings sind sie blind für die Tatsache, dass es nicht das einzelne (Diesel-)Auto ist, das die Umweltprobleme bereitet, sondern die schiere Menge an Autos schlechthin, die sich täglich auf engstem innerstädtischem Raum bewegt. Beispiel München: Hatte die Stadt 1957 erstmals eine Million Einwohner, wuchs deren Anzahl über die nachfolgenden 60 Jahre um rund 50 Prozent auf 1,52 Millionen. Gleichzeitig nahm allein der Pkw-Bestand im Zeitraum von 1960 bis Anfang 2017 um das Fünffache von 138.000 auf 701.131 Einheiten zu - und davon allein 90.000 seit 2014.

Anschuldigungen gegen das Automobil mit Verbrennungsmotor im Allgemeinen und gegen den Diesel im Besonderen werden nunmehr von einschlägigen Umweltverbänden und so mancher Medien immer und immer wieder aufgegriffen: Die EU droht mit Klagen gegen die Bundesregierung wegen laxer Durchsetzung bestehender Abgas-Umweltvorschriften; deutsche Verwaltungsgerichte drohen mit einschlägigen Diesel-Fahrverboten.

Ja, das Auto ...

Und schon hat sich im Bewusstsein der Bürger, zumindest jener, die als Fußgänger, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV unterwegs sind, die Überzeugung festgesetzt: Ja, das Auto mit Verbrennungsmotor gehört verboten - allen voran der das Dieselauto. In England wird auf Autos mit alten Verbrennungsmotoren, die nicht der Euro-4-Abgasnorm genügen, seit Oktober 2017 eine "Gift-Gebühr" von 10 Pfund pro Tag erhoben, zusätzlich zu der ohnehin bestehenden City-Maut von 11,50 Pfund.

Und wenn dann auch noch VW-Chef Matthias Müller höchstselbst quasi als "Diesel-Judas" (so FDP-Generalsekretärin Nicola Beer) öffentlich der Politik vorschlägt, die "Subvention" von Dieselkraftstoff schrittweise abzuschaffen und das Geld in die Förderung umweltschonender Antriebstechniken, sprich Elektroautos zu investieren, dann kommt das einem Todesurteil für den Selbstzünder schon ziemlich nahe. Zur Erinnerung: Der VW-Konzern, dessen Marken-Absatz bis vor einem Jahr noch zu 52 Prozent aus Dieselfahrzeugen bestand, hat mit seinen perfiden Diesel-Abgastricks die ganze Diskussion erst ausgelöst. Ja, dann läuft Deutschland Gefahr, etwas Bewährtes mit einzigartiger Weltmarktstellung - die Dieseltechnologie - abzuschalten. Und das zudem, ohne etwas auch nur annähernd Gleichwertiges dafür anzuschalten.

Es fehlt an allem

Das alltags- und massentaugliche Elektroauto, von dem viele Menschen träumen, ist noch nicht erfunden. Auch nicht von Tesla: Die Batterien sind unzureichend, das Rohstoffangebot an Seltenen Erden zu ihrer Herstellung limitiert und politisch extrem unsicher und die Herstellung der Batterien eine ökologische Katastrophe.

In Deutschland wird zudem ein erheblicher Teil der elektrischen Energie mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Auch die Strom- und Leitungskapazität ist überall, aber eben vor allem in Städten und Wohnanlagen für einen plötzlichen Bedarfsanstieg von E-Tankstellen völlig unzureichend. Kurz: Es fehlt an allem. Nur wagt das die Politik der Öffentlichkeit nicht zu sagen.

So paradox es klingt ...

In der Zwischenzeit zeigt das Diesel-Bashing Wirkung: In Deutschland ging der Dieselabsatz bis Jahresende 2017 auf nur noch ein Drittel der Neuverkäufe zurück. Im Jahresdurchschnitt sank der Marktanteil auf unter 38,8 Prozent. Zwei Jahre zuvor waren es noch etwa 50 Prozent. Das Paradoxe: Mit einem sinkenden Anteil an Dieselautos erreicht man das genaue Gegenteil von dem, was man eigentlich will: möglichst rasch saubere Luft in den Innenstädten.

Höchste Zeit, den Versuch zu wagen, den guten alten Selbstzünder als Prunkstück deutscher Ingenieurkunst wieder auf den Sockel zu stellen, von dem ihn Politik und Öffentlichkeit gestoßen haben - mit der unsinnigen Erwartung: Wenn man kurzfristig alle Diesel ausrangiert, würde die Luft schlagartig besser.

Um nicht missverstanden zu werden: An der Elektrizität als Antriebsmedium für Automotoren führt auf Dauer kein Weg vorbei. Nur ist die Art und Weise dabei völlig offen, wie Elektrizität erzeugt und vor allem, in welcher Form sie motorisch "verarbeitet" wird. Kurz: Es ist nicht die Absicht des Autors, den Elektroantrieb zu diskreditieren. Die Absicht besteht vielmehr darin, den Dieselmotor als das effizienteste und sauberste Antriebsaggregat für Autos zu rehabilitieren! Was also bewegt die Menschen mit einem Auto künftig am sinnvollsten und umweltfreundlichsten?  

Das spricht für den Diesel:

  • Der Dieselmotor der neuesten Generation, wie ihn alle deutsche Premiumhersteller im Angebot haben, ist sowohl hinsichtlich Feinstaubbelastung wie CO2- und Stickoxid-Emissionen das effizienteste Verbrenner-Antriebsaggregat, das die Weltautomobilindustrie zu bieten hat. Der moderne Diesel ist in der Abgasbilanz sowohl jedem Benziner als auch jedem Elektroauto auf Batteriebasis überlegen - unter Einbeziehung der gesamten Umweltschadstoffbilanz.
     
  • Die Belastungen der Stadtbewohner durch den hochkonzentrierten innerstädtischen Autoverkehr durch etwa Staus lassen sich grundsätzlich nicht über die Verringerung von Abgasemissionen lösen. Selbst wenn alle Verbrennerautos- gleich ob Diesel oder Benziner - über Nacht durch E-Autos ersetzt würden, bliebe die Verkehrsbelastung durch die Menge an Fahrzeugen gleich. Abhilfe kann da nur eine rigorose innerstädtische Zugangsbeschränkung für alle Individualfahrzeuge à la London schaffen.
     
  • Der umweltpolitische Nachteil, den der Diesel heute in der innerstädtischen Stickoxid-Diskussion gegenüber dem E-Auto aufweist, hat zwei mögliche Ursachen: Sofern der Strom für das E-Auto aus fossiler Erzeugung stammt, finden die Abgasemissionen regional nicht in der Stadt, sondern woanders statt. Zum anderen belastet der Altbestand an Dieselautos. Den nahezu abgasfreien Dieselmotor gibt es seit 2016/17. Momentan gibt es daher (noch) zu wenige davon auf der Straße. Die heutigen Emissionsbelastungen sind Altlasten aus dem Altbestand an Dieselfahrzeugen der Euro-5- und noch früherer Normen. Wir sprechen in Deutschland etwa von 15 Millionen Altdieseln. Nachrüstungen sind dabei nur bedingt zielführend. Die Wirtschaftlichkeit von technisch sinnvollen Nachrüstungen verhält sich umgekehrt proportional zum Alter des Dieselautos - ist daher also keine echte Lösung, Gelöst werden kann das Problem nur durch E-Fuel, also synergetisch hergestellten Dieseltreibstoff - zunächst als Beimischung, später als vollwertiges Substitut. Die Rezeptur dafür gibt es. Es fehlt die Initialzündung durch die Politik. Aber auch die Autobauer selbst sind gefordert.
Helmut Becker: Kurzporträt

Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet seit 1998 das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München. Er berät Industrieunternehmen und Dienstleister in strategischen sowie wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen.

Quelle: ntv.de

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