Wirtschaft

Prügelknabe Autoindustrie Der Skandal beim Klimaschutz

Der Abgasskandal kratzt am Image der deutschen Dieseltechnik. Ist die Autoindustrie gar schuld am Klimawandel? Aus der Politik kommen Forderungen, Verbrennungsmotoren zu verbieten. Doch das wäre der falsche Weg.

"Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage": Das ist keine Parole aus dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, sondern trifft genau den Kern der jüngsten Forderung nach einem Verbot des Diesel- und Benzinmotors ab 2030 in Deutschland -  zur Rettung des Weltklimas. Dass diese Forderung von durchaus ernsthaften Politikern erhoben wird und sicherlich auch gut gemeint ist, macht sie nicht besser. Denn dass der durch fossile Emissionen bedingten Erderwärmung in demokratisch organisierten Marktwirtschaften mit selbstbewussten Bürgern durch Produktions- und Nutzungsverbote nicht beizukommen ist, sollte eigentlich in der Politik bekannt sein.

Helmut Becker

Helmut Becker

Wieso das? In einer Marktwirtschaft erfolgt die Lenkung von Angebot und Nachfrage seit Adam Smith über den Preis, nicht nach staatlich-dirigistischen Vorgaben. Der Staat kann seinen Willen und seine Gestaltungsmacht für das öffentliche Interesse in der Realwirtschaft durchsetzen - durch Gebote oder Gestaltung der Rahmenbedingungen in Form von positiven (Prämien) oder negativen Incentives (Bußgelder/Steuern). Ob das wirkt, entscheiden die Bürger.

Mehr dirigistische Eingriffe in das Treiben der Produzenten (was, wann, wo und wie viel sie produzieren wollen) und der Konsumenten (was, wann, wo und wie viel sie nachfragen wollen) sind in unserem freiheitlichen Wirtschaftssystem nicht zulässig. Insofern ist ein Verbot der Produktion und des Kaufs von neuen Benzin- und Dieselautos in Deutschland ab 2030 schlichter marktwirtschaftlicher Unsinn. Selbst wenn die jährlichen Neuzulassungen in Deutschland von rund drei Millionen Fahrzeugen völlig fossilfrei angetrieben würde, bliebe immer noch ein Altbestand von rund 40 Millionen Autos.

Muss man die dann stehen lassen? Und was machen wir mit den Lkw und vor allem mit den Flotten aus den Weiten Osteuropas? Ganz abgesehen davon, dass ein nationales Produktions- und Kaufverbot bei Neufahrzeugen angesichts einer Pkw-Importquote von heute rund 30 Prozent gegen alle WTO-Diskriminierungsverbote von Importfahrzeugen verstoßen würde.

Der Staat hat andere, bessere Mittel

Nein, was der Staat machen kann, um den CO2- und NoX-Ausstoß auf ein klima- und gesundheitsfreundliches Niveau zu verringern, ist: Scharfe Emissionsgesetze erlassen und deren Einhaltung durchsetzen. Er kann lokale oder regionale Zugangsbeschränkungen für Pkw erlassen, die bestimmte Abgas- und Schadstoffgrenzwerte überschreiten - etwa über die Vergabe der Blauen Plakette für Dieselfahrzeuge, die die Euro 6 Norm erfüllen. Dann liegt es an den Herstellern, solche Autos anzubieten und an den Autofahrern, diese auch zu kaufen, wenn sie denn Zugang zu den schadstoffkritischen Innenstädten haben wollen.

Oder er könnte die Mineralölsteuer auf Benzin und Diesel so anheben, dass die Autokäufer von sich aus auf alternative Antriebe umsteigen würden. Das nennt man pretiale Wirtschaftslenkung und wäre völlig systemkonform - aber gegen jegliche politische Vernunft, wenn man wiedergewählt werden wollte. Im Übrigen müsste die Steuerspreizung schon so kräftig sein, dass die Kunden tatsächlich Verbrennerautos aus Kostengründen meiden würden. Selbst bei einem Benzinpreis von 1,50 Euro, wie vor wenigen Jahren die Norm, fand keine Verkehrsvermeidung statt. Zudem käme diese Verbrenner-Diskriminierungs-Strategie einer kalten Enteignung von Altauto-Besitzern gleich, die drastische Wertverluste zu erleiden hätten

Die Lenkung der Nachfrage über feste Emissionsgrenzwerte oder die Mineralölsteuer setzt allerdings voraus, dass der Autokäufer tatsächlich eine echte Alternative zu anderen Autos hat, die entweder mit synthetischem, fossilfreiem Kraftstoff oder elektrisch via Batterie betrieben werden. Über ersteren ist wenig bekannt, auch wenn VDA Präsident Wissmann davon schwärmt, und vom elektrischen Antrieb weiß man heute nur, dass die Kunden ihn trotz staatlicher Förderung von bis zu 4000 Euro auf breiter Front verschmähen.

Das aber nicht, weil die Autofahrer nicht gerne elektrisch fahren würden - die Leistungseigenschaften von Elektroautos sind überragend -, sondern weil die heutigen Elektroautos sowohl in den Anschaffungskosten und in der Reichweite im Vergleich zur Verbrennerkonkurrenz nicht wettbewerbsfähig sind. Der US-amerikanische Hersteller Tesla verspricht zwar Reichweiten bis zu 400 Kilometer in seinem Luxusmodell, dies aber bei Anschaffungskosten von im Minimum 80.000 Euro und im Durchschnitt von 120.000. Das ist also nichts für den Normalkäufer. Und im deutschen Angebot vor E-Autos lassen solche mit Reichweiten von mickrigen 30 bis 150 Kilometern keine Freude am Fahren aufkommen. Kurz: Das heutige Angebot an E-Autos ist zu teuer für den Massenmarkt und/oder nicht wettbewerbsfähig in der Nutzung/Reichweite gegenüber den Verbrennerautos.

Tipps für die Politik

Was kann man der Politik also raten, wenn sie den Verkehr umweltfreundlicher gestalten und dessen Schadstoffausstoß entsprechend dem Weltklima-Schutzabkommen von Paris reduzieren will? Zum einen schärfere und effektive Kontrolle der Emissionsgrenzwerte bei neuen Verbrennerautos. Zum anderen Durchsetzung regionaler und lokaler Zugangsbeschränkungen für Verbrennerautos mit angemessenen Umstellungsfristen für den Altauto-Bestand, keine Verbote einer bestimmten Technologie.

Wenn die Autofahrer keine Wahl haben, werden sie in Scharen in abgasarme Autos steigen. Die gibt es in Form von Hybridautos. Diese sind, solange die Reichweite und die Ladezeit bei reinen Elektroautos nicht dem gewohnten Komfort bei Verbrennerautos entspricht, auf absehbare Zeit der Königsweg zur Lösung der regionalen Abgasprobleme. Und die Lösung kommt vom Land, nicht vornehmlich von den eigentlichen Stadtbewohnern, da diese aus anderen Gründen ohnehin keine eigenen Autos mehr kaufen, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren - oder mit Hybridtaxis wie dem Toyota Prius.

Es werden die zigtausenden Pendler vom Land sein, die jeden Morgen in die Städte fluten, die auf abgasarme Verbrenner oder Hybridautos umsteigen werden, sowie die Autovermieter und Taxibetreiber. Und die Autoindustrie wird diese Fahrzeuge in Windeseile entwickeln und anbieten.

Ein Problem bleibt: Die Autoindustrie steht immer allein in der Abgas-Schmuddelecke - und das zu Unrecht. Wenn die Politik es mit dem Umweltschutz ernst meint, muss sie dringend die 90.000 Handels- und Touristik-Schiffe, die heute mit Schweröl als Treibstoff auf den Meeren kreuzen und völlig unbehelligt die Umwelt belasten können, einbeziehen und dort die Abgaswerte erheblich verschärfen.

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Die 15 größten Seeschiffe der Welt stoßen jährlich mehr schädliche Schwefeloxide aus als die ganze Pkw-Flotte der Welt. Und: Laut Naturschutzbund (Nabu) schafft kein einziges der luxuriösen Kreuzfahrtschiffe die Abgasnormen, die für Autos oder Lastwagen schon lange gelten. Ein einziger Ozeanriese auf einer Kreuzfahrt stößt so viele Schadstoffe aus wie fünf Millionen Pkw auf gleicher Strecke, 200 Kreuzfahrtschiffe nehmen es also mit der gesamten Pkw-Flotte der Welt auf. Laut Weltenergiekonferenz emittieren die 400 größten Containerschiffe der Welt so viel C02 wie alle Pkw der Welt zusammengenommen. Es gibt also viel zu tun, aber eben nicht nur für die Autoindustrie.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen