Wirtschaft

Autokonzerne in Schwierigkeiten "Der Abschwung ist im Gang"

Audi-Chef in U-Haft, Rückrufe bei Daimler und BMW, Auslieferungsverzögerungen und Vier-Tage-Woche bei VW: Negativschlagzeilen satt für die deutsche Automobilindustrie. Und das ganz dicke Ende kommt erst noch. n-tv-de sprach darüber mit dem Autoexperten Helmut Becker.

n-tv.de: Das erste Halbjahr 2018 ist zu Ende und der Dieselskandal noch immer nicht ad acta gelegt. Im Gegenteil: In Hamburg gibt es die ersten Fahrverbote, in Bayern sitzt Audi-Chef Rupert Stadler in Untersuchungshaft. Dazu Rückrufe bei Daimler und BMW. Hat die ganze Thematik damit eine neue Dimension erreicht?

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre als Chefvolkswirt bei BMW tätig und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre als Chefvolkswirt bei BMW tätig und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker: Ganz klar - wenn man den Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Automobilkonzerns in Haft nimmt, muss man von einer neuen Dimension sprechen. So etwas gab es bisher nicht. Es zeigt auch, dass die deutsche Justiz sich nun verstärkt dem Thema widmet. Ich gehe fest davon aus, dass damit auch noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Muss Stadler als Audi-Chef zurücktreten?

Das bestimmen ganz allein die Eigentümer. Audi ist eine VW-Konzerntochter und da entscheiden allein die Familien Piëch und Porsche. Eine Verhaftung ist natürlich nicht ganz ohne. Selbst wenn er jetzt, wegen welcher Umstände auch immer, aus der Haft entlassen wird - ich denke, für ihn ist der Audi-Chefposten Geschichte.

Welche Konsequenzen sollte der Konzern ziehen?

Es sind nicht Audi oder VW allein. Die gesamte deutsche Autoindustrie hat in den vergangenen drei Jahren, seitdem der Dieselskandal bekannt ist, es versäumt, alle Karten auf den Tisch zu legen. Man hat Dutzende Untersuchungen angekündigt, wollte mit dem Kraftfahrtbundesamt kooperieren, mit der Politik - hinten herum hat man aber stattdessen quasi eine Wagenburg gebildet und gehofft, dass der Ärger sich legt. Das hat er aber nicht. Nun ist die Justiz am Zug und die Branche muss sehen, wie sie damit klarkommt. Ich rechne noch mit weiteren personellen Konsequenzen bei den Herstellern.

Wackeln die Chefstühle von Dieter Zetsche bei Daimler sowie Harald Krüger bei BMW?

Das ist Spekulation. Ich wünsche das keinem der beiden. Bisher stand immer die Unschuldsvermutung im Vordergrund. Aber diese Zeiten könnten nun vorbei sein, speziell bei Daimler, wo die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen andauern.

VW muss in Deutschland ein Bußgeld von einer Milliarde Euro zahlen. Könnte das, gemeinsam mit der noch kommenden Musterfeststellungsklage, noch weitere Milliardenzahlungen hierzulande nach sich ziehen wie in den USA?

Mich hat überrascht, wie schnell die Milliarde geflossen ist: Bildlich war das Geld gestern bereits auf dem Konto, obwohl heute erst das Urteil gesprochen wurde. Das zeigt allerdings auch, wie finanziell stabil der gesamte VW-Konzern aufgestellt ist. So gesehen: Selbst wenn es weitere Milliardenzahlungen geben sollte, wie hierzulande vielleicht an betrogene Kunden, wird das den Konzern nicht aus dem Tritt bringen. In den USA sind bereits mehr als 25 Milliarden geflossen - und VW scheint darüber nur müde zu lächeln. Der Konzern ist kerngesund.

Trotz der nicht enden wollenden Diesel-Querelen, die Absatzzahlen der deutschen Hersteller stimmen bisher. Allerdings droht nun die Eskalation im Handelsstreit mit den USA und damit auch eine Steuer von bis zu 25 Prozent auf in die USA exportierte europäische und damit auch deutsche Autos ...

Ja, dieses Damoklesschwert hängt über der Autoindustrie. Eine Strafsteuer würde in erster Linie die Premiumhersteller treffen: BMW, Daimler, Audi, dazu den Sportwagenbauer Porsche. In den Bilanzen würde man die Folgen sehen, wobei man sie auch nicht zu hoch hängen sollte. Sollten die Strafzölle kommen, wird ein Teil von den Herstellern selbst übernommen, der andere wird auf die Kunden übergewälzt.

Laut US-Branchenverband Alliance of Automobile Manufacturers könnten das 5800 Dollar pro Fahrzeug bedeuten. Das dürfte Wirkung zeigen ...

Das klingt erst einmal viel. Aber betroffen wären wie gesagt in erster Linie Premiumautos, die natürlich auch mehr kosten. Dadurch relativieren sich diese besagten 5800 Dollar zum einen etwas. Zum anderen sind die Käufer von Premiummodellen auch preisunabhängiger. Die wollen einen Mercedes, einen BMW, einen Audi oder einen Porsche - und da schauen sie nicht auf den Preis. Das Geld sitzt bei denen etwas lockerer.

Wenn die Strafzölle auf EU-Autos kommen, werden die Folgen auch auf die deutsche Gesamtwirtschaft durchschlagen?

Das wird zwangsläufig der Fall sein. Schwerwiegender schlägt aber zu Buche, dass die deutsche Automobilkonjunktur ihren Höhepunkt bereits überschritten hat. Momentan ist es hierzulande so, wie bei dem Bauern, der seiner Kuh das Fressen abgewöhnen will, bei gleicher Milchleistung - am Ende ist die Kuh tot. Für die deutsche Autoindustrie kommt es derzeit knüppeldick: Dieselskandal, neue Abgasbestimmungen, Auslieferungsverzögerungen, Vier-Tage-Woche bei VW, Handelsstreit, Sanktionen gegen Russland und den Iran. Das belastet die Branche. Die fetten Jahre sind definitiv vorbei. Kurzum: Der Kuh wurde das Futter entzogen und so gibt es nun weniger Milch. Das darf dann auch nicht wundern.

Das zweite Halbjahr dürfte also merklich unruhiger werden. Daimler hat bereits eine Gewinnwarnung veröffentlich ...

Und ich denke, es werden andere folgen. Die Auftragslage gibt etwas anderes nicht her. Der Abschwung ist im Gang.

Damit gerät der weltgrößte Absatzmarkt China noch stärker in den Fokus ...

Definitiv. Der Absatzmarkt China expandiert weiterhin. Er ist bei Weitem nicht so gesättigt wie in den USA oder in Europa. Wir haben in diesem Jahr wohl rund 26 Millionen Neuzulassungen im Reich der Mitte, und die Nachfrage wächst immer noch um drei, vier, fünf Prozent jährlich. In einer Dekade sprechen wir dann von einem Absatz von knapp 50 Millionen Autos im Jahr - das ist fast die Hälfte des Weltmarktes. China wird künftig eine noch größere Rolle spielen als bisher.

Wird Chinas Autoindustrie also der große Gewinner eines US-EU-Handelsstreits sein?

Jein (lacht). Der Handelsstreit betrifft die chinesische Autoindustrie zwar nicht. Allerdings exportiert das Land bisher auch kaum eigene Fahrzeuge. Was im Ausland Absatz findet, sind Aufkäufe á la Volvo. Die werden zwar in China produziert, die Qualität ist aber weiterhin europäisch. Es ist also beispielsweise wie bei den in Südafrika hergestellten BMW. Chinas Eigenmarken dagegen bleiben nahezu vollständig im Land - auch weil sie international nicht wettbewerbsfähig sind. Zudem ist der Heimatmarkt noch nicht gesättigt, wächst und muss bedient werden. Der Druck, zu exportieren, ist einfach nicht da - auch wenn die Regierung in Peking es sehr gern sehen würde. Aber: China allein wird die deutsche und europäische Autoindustrie nicht retten.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen