Wirtschaft

Die Digitalisierung macht's möglich Autoindustrie vor neuem Wachstumszyklus

Die Automobilwelt ist im Umbruch, dem gewaltigsten seit Erfindung der Zündkerze. Das Zauberwort heißt "Disruption". Ein neues "goldenes Zeitalter" steht an - mit Folgen.

"Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her!" Der Autor hat sich fest vorgenommen, das Ende eines turbulenten Jahres für deutsche Automobilhersteller mit einem positiven Ausblick zu beschließen. Nicht, dass das Automobiljahr 2016 schlecht verlaufen wäre. Nein, alle Unternehmen, sogar die Abgassünder, vermelden teils zweistelle Zuwächse bei Absatz, Umsätzen und Erträgen. Die Kapazitätsauslastung liegt zumindest bei den meisten Zulieferern am Limit, die Beschäftigung in der Autoindustrie hat inzwischen vorhergehende Höchststände wieder erreicht - und das bei höherem Produktionsvolumen. Nein, es geht der Branche gut! Wo also liegen die Probleme? Warum diese Ankündigung einer tröstlichen besseren Zukunft? Ganz einfach, das Autojahr 2016 ist Vergangenheit. Es geht um die Zukunftsperspektive der Branche.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Eine kurze Bestandsaufnahme: Der japanische Automarkt schrumpft, in Europa hat der Erholungsaufschwung seinen Höhepunkt erreicht, der US-Markt hat den Zenit überschritten und befindet sich im Abschwung und auf dem weltgrößten Markt China folgt auf den steuerlich angefeuerten Absatzboom 2016 mit großer Sicherheit ein ebenso großer Markteinbruch nach Auslaufen der Fördermaßnahmen.

Tristesse also, wohin man blickt? Mitnichten, denn justament im Augenblick der größten Gefahr, ist - nach Friedrich Hölderlin - " … das Rettende auch"! Das Rettende kann ein Ökonom jedoch nur dann erkennen, wenn er sich neben einigen Vorlesungen in Wirtschaftsgeschichte auch noch einige über die Theorie von Wirtschaftszyklen samt deren regelmäßigen Aufs und Abs in der Wirtschaft angehört hat. Gemeint sind hier nicht jene "normalen" Konjunkturzyklen, die die deutsche Nachkriegszeit geprägt haben und die Pate standen bei der Geburt des Sachverständigenrates ("Fünf Weise"). Deren Aufgabe ist es seit 1965, darüber nachzudenken, wie man eben diese kurzfristigen "mormalen" Zyklen glätten und destabilisierende wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen vermeiden kann.

Im Mittelpunkt dieser staatlichen Globalsteuerung standen dabei stets kurzfristige Nachfrage-Zyklen von etwa vier Jahren Dauer, die sich um einen insgesamt stetig steigenden Wachstumstrend bewegten, wie die Schlange um den Äskulapstab. Der langfristige Wachstumstrend wurde als gegeben unterstellt, um den kümmerte man sich kaum. Der war einfach da.

Sättigung nach 50 Jahren

Was ein Fehler war, denn spätestens seit Ende der 1990er-Jahre stellt man eine deutliche Verlangsamung im globalen Wachstumstrend fest - bis hin zur Stagnation ab Mitte der 2000er-Jahre. Zwar kam es im Anschluss an die Welt-Finanzkrise 2008 und deren Überwinden mit Billionen Euro an globalen Ausgabenprogrammen zu einer allgemeinen Wirtschaftserholung - in China sofort, in den USA später, in Europa noch später und in Japan nie - doch echtes Wirtschaftswachstum war das nicht.

Der Grund für die hartnäckige Stagnation war ein ganz einfacher, obwohl die Wachstumsfetischisten jeglichen Alters, Branche und Couleur das einfach nicht wahrhaben wollten: Wichtige Konsumgütermärkte, die über Jahrzehnte über ständige Nachfragesteigerungen als Wachstums- und Wohlstandsmotoren gedient hatten, kamen ins Stottern und fielen schließlich ganz aus. Kurz: Die Märkte waren nach 50 Jahren Wachstum und Wohlstandsmehrung gesättigt.

Am besten lässt sich das am Automobilmarkt festmachen. Die wichtigsten Märkte in den Industrieländern wachsen seit Mitte der 2000er-Jahre nicht mehr. Der Verdrängungswettbewerb zwischen den Autoherstellern wurde ab 2000 messerscharf - Unternehmen wie Saab, Lancia, Volvo fielen ihm zum Opfer.

Dieses Sättigungsphänomen langfristiger Wachstumszyklen in kapitalistischen Volkswirtschaften hat erstmals ein junger russischer Wissenschaftler in den 1920er-Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieben, Nikolaj Kontradieff. Er fand heraus, dass das kapitalistische System, wenn es am Ende scheint, sich periodisch etwa alle 50 Jahre durch fundamentale Innovationen immer wieder neu erfindet und auf Wachstumskurs katapultiert.

Autonom, elektrifiziert, vernetzt

Mittlerweile sind wir in der ersten Hälfte im 6. Kontradieff-Zyklus angelangt. Die fundamentale Innovation, die auf die Elektronik folgte, heißt Digitalisierung. Mit nachhaltigen Aus- , Ein- und Rückwirkungen auf die Automobilindustrie, dem bisherigen Wachstumsmotor in den westlichen Volkswirtschaften - neudeutsch "Disruption".

Die Folgen lassen sich beschreiben im Produkt Automobil als neue Produktmerkmale: autonom, elektrifiziert, vernetzt. Mit diesen Produkteigenschaften der selbstfahrenden, elektrisch angetriebenen und untereinander und mit der Welt vernetzten Autos wird mit allem gebrochen, was bisher mit "Freude am Fahren" oder "Fortschritt durch Technik" der mit Verbrennungsmotoren angetriebenen Fahrzeugen verstanden wurde.

Autos werden zum ersten Mal "Auto-mobil" und fahren selber. Der Antrieb erfolgt ökologisch nachhaltig mit "grünem" Strom. Der Verkehr kontrolliert sich via Vernetzung selber. Das Auto wird zum fahrbaren Büro.

Innovationen sind nicht aufzuhalten

Der Gegenargumente gegen diese Art von Mobilität der Zukunft sind viele, auf die Dauer überzeugen sie nicht. Klar ist, dass sich wie bei anderen Fundamental-Innovationen in der Wirtschaftsgeschichte die Implementationszeit solcher Innovationen 20 bis 30 Jahre hinziehen wird. Vom ersten Rechencomputer von Zuse bis zum PC und Laptop vergingen auch Jahrzehnte. Aber aufzuhalten war die Innovation nicht mehr.

Genauso wird es der Mobilität von morgen gehen. Die heute weltweit betriebene Fahrzeugflotte von rund einer Milliarde Automobilen wird nicht über Nacht, jedoch langsam aber sicher durch Autos der neuen Generation ersetzt werden. Heute können weltweit etwa 80 Millionen Automobile mit konventionellem Antrieb gebaut werden. Bereits an die Kapazitätsbegrenzung kann abgelesen werden, dass der Automobilindustrie über Jahrzehnte hinaus Vollbeschäftigung allein durch das Umstellen der Verbrennerflotte auf E-Antrieb garantiert ist. Ganz abgesehen davon, dass einzelne Märkte zusätzlich ohnehin noch bedarfsbedingt weiterwachsen, so beispielsweise China, Indien, Russland oder auch Brasilien.

Was folgt daraus? Die globale Automobilindustrie steht vor einem neuen Wachstumszyklus. Ein neues "goldenes Zeitalter" kündigt sich an - das zweite für die Branche. Und die deutschen Hersteller lassen allesamt erkennen, dass sie dabei kräftig mitmischen wollen. Kein Grund also für Pessimismus, wohl aber für Geduld und Ausdauer!

Am 28. Dezember erscheint Teil 2 dieser Kolumne. Nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Markt befasst diese sich mit den Folgen für die Wertschöpfungskette.

Quelle: ntv.de

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