Wirtschaft

Urbane Arroganz Auf dem Land geht es nicht ohne Auto

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Das Auto an sich steht in der Kritik, aber auf dem Land geht es nicht ohne, sagt Autoexperte Helmut Becker.

Das Auto an sich steht in der Kritik, aber auf dem Land geht es nicht ohne, sagt Autoexperte Helmut Becker.

(Foto: picture alliance / dpa)

Staus, Fahrverbote, NOx, CO2, Elektroroller, City-Maut, Car Sharing: All das sind Schlagworte in den automobilen Debatten, die Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen hart führen. Die Diskussion hat aber einen Haken.

Verkehrspolitik und Öffentlichkeit führen in Deutschland eine Scheindebatte, mit Verve und Hinterlist. Vordergründig geht es um die Vermeidung von Abgasen und Lärm, um den Schutz der Umwelt und der Gesundheit. In Wirklichkeit geht es in letzter Konsequenz aber um die Abschaffung des Autos.

Die Positionen beider Lager sind klar. Die einen sagen: "Das Auto muss weg!", die anderen halten dagegen: "Nie wieder ohne Auto!" Oder frei nach Loriot: " Ein Leben ohne Auto ist möglich, aber sinnlos!"

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK). Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK). Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Auslöser für die öffentliche Diskussion war der Diesel-Skandal und der missionarische Eifer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) um die strikte Einhaltung der gesetzlich verordneten Emissionsgrenzwerte zur Sicherung der Luftqualität in den Städten. Nach und nach geriet die ganze Branche in Generalverdacht. Die Debatte über Dieselmotoren, Schadstoffemissionen bei allen Verbrennern, über absolute Fahrverbote für Dieselmotoren-Nachrüstungen, Kostenübernahmen bis hin zu alternativen Antriebsenergien und Präferenzierung von Elektroautos griff um sich.

Der Instrumentenkasten der "Auto-weg-Fraktion" wurde von Monat zu Monat größer und breitete sich wie Saharasand über ganz Europa aus. In fast allen deutschen Großstädten wurden Fahrverbote verhängt oder angedroht, in europäischen Metropolen wie Paris, Mailand, Stockholm wurden Fahrverbote für jedwede Verbrennerautos für die Zukunft festgelegt. Die EU-Kommission verschärfte die Abgasgrenzwerte für Diesel- und Benzin-Autos für 2030 in einem Ausmaß, welches von keinem Verbrennermotor im singulären Antrieb mehr erreichbar scheint. Alles unter dem Anspruch zur Rettung des Weltklimas und zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung.

Offene Frage

Damit wird nicht nur der Tod des Verbrennermotors eingeläutet. Damit wird auch der Einstieg in die Abschaffung des Autos als individuelles Verkehrsmittel vorbereitet. Denn von vorneherein war klar, dass es zu den gesetzten Fristen nicht möglich sein wird, Automobile gleich welcher Antriebstechnik in ausreichenden Stückzahlen auf die Straße zu bringen.

17 Millionen abgasarme oder -freie Autos in Europa zu produzieren und zu verkaufen - aus welchen Fabriken sollen die denn kommen? Und selbst wenn das alles nachhaltig produzierte Elektroautos wären - wo sollen die Batterien für diese Fahrzeuge herkommen? Notwendig wären allein für den europäischen Automobilbedarf rund 35 Gigafactorys. Wer soll die wo aufbauen?

Was kommt da um die Kurve?

Wehret den Anfängen! Der Einstieg in den Ausstieg aus dem individuellen Autoverkehr ist mit der Umweltdebatte gemacht. Wer nicht in der Stadt, sondern auf dem Land groß geworden ist, kann sich noch an ein damals unter Jungs beliebtes Ratespiel erinnern: Man saß am Straßenrand an einer uneinsehbaren Kurve und wartete auf ein vorbeifahrendes Auto. Was nicht sehr häufig war. Noch bevor es dann in Sicht kam, musste am Motorgeräusch erraten, welche Marke da auftauchen würde. Wer die meisten Autos erriet, hatte gewonnen.

Die Auswahl an Automodellen war Anfang der 1950er sehr überschaubar, die Trefferquote dennoch auch. Und heute? Wie sich die Zeiten geändert haben: Heute steht man im gleichen Dorf an der Hauptstraße und wartet, bis man diese gefahrlos überqueren kann. Was wegen der zunehmenden Verkehrsdichte auch auf dem Land erheblich schwieriger geworden ist.

Schlagwort-Debatten

Von dieser Art täglicher Mobilitätsbewältigung scheint man in Verkehrsministerien und Zeitungsredaktionen nicht zu wissen. Hier beschäftigen sich Medien und Politik mit großem Fleiß fast ausschließlich mit Verkehrs- und Umweltproblemen in Städten und Ballungsgebieten. Um nur ein paar Themen-Schlagworte zu nennen:  Staus, Dieselfahrverbote, NOx, CO2, Grenzwerte, Gesundheitsprobleme, Elektroroller, City-Maut und, und, und.

O sancta simplicitas! In Deutschland gibt es 76 Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern, darunter vier Millionenstädte. Aber mindestens die Hälfte der Gesamtbevölkerung lebt auf dem Land oder in der ländlichen Peripherie von Ballungsräumen. Dass die gesamte heutige verkehrspolitische Diskussion über Abgase, Staus, Dieselverbote et cetera völlig an den Problemen der Landbevölkerung vorbeigeht, scheint niemanden zu interessieren.

Dort wird das Auto aber zum Broterwerb gebraucht, für den Weg zur Ausbildung oder aus kulturellen und sozialen Gründen. Der Tante-Emma-Laden, der Bäcker oder Metzger sind verschwunden, der nächstgelegene Supermarkt oder Discounter mit dem Fahrrad oder fußläufig nicht zu erreichen. Was bleibt, ist das eigen Auto. Und gesunde Luft und reichlich Parkplätze, staufrei erreichbar, gibt es ohnehin. Das sind nicht die Probleme der ländlichen Mitbürger. Teilnahme an der Zivilisation und gleiche Lebensqualität wie die "Städter" - das sind die Ansprüche.

Und die Moral von der Geschicht' ...

Was folgt daraus? Das eigene Auto und eine bezahlbare Mobilität, vielfach mit günstigem Sprit, ist für mindestens die Hälfte der Bevölkerung lebensnotwenig. Natürlich gibt es Gründe für die vorherrschende, völlig einseitige Konzentration auf städtische Mobilitätsprobleme. Der wichtigste ist wohl dem Umstand geschuldet, dass sich sämtliche relevanten Institutionen in Politik, Wirtschaft und Medien in den Zentren der großen Millionenstädte befinden, angefangen von Berlin, über Hamburg und Köln bis München. Dort also, wo Verkehrschaos täglich erlebbar ist und wo sich verantwortliche Politiker medienwirksam und Verbandsvertreter und Zeitungsleute leicht mit Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr von A nach B bewegen können. Und nicht verstehen können, warum andere noch mit dem Auto und nicht mit alternativen Verkehrsmitteln fahren. Vor allem dann, wenn sie sich selber noch wie junge Olympioniken fühlen, keinen Büro-Dress brauchen und noch nicht in das wachsende Segment der alternden und zum Teil gehbehinderten Bevölkerung hineingewachsen sind. Doch warte, warte nur, bald …

Höchste Zeit, dass all die gutmeinenden Umweltschützer und Autogegner ihre city-zentrierte Betrachtung überdenken: Es gibt auch Mobilitätserfordernisse außerhalb der Stadt, die nur mit dem Auto gedeckt werden können.

Quelle: ntv.de

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