Wirtschaft

Der Maßstab für Erfolg? Die Gier nach Wachstum

Klein, aber oho? In der automobilen Welt ist Wachstum und schiere Größe meist erfolgreicher.

Klein, aber oho? In der automobilen Welt ist Wachstum und schiere Größe meist erfolgreicher.

(Foto: REUTERS)

Die Bundesregierung verspricht 2014 einen Wirtschaftsaufschwung. Unter den Industrieländern ist das allerdings die Ausnahme. Die deutschen Autobauer wuchern aber weiter mit enormen Zielvorgaben, erhöhen sie zum Teil sogar. Zu Recht.

Bereits vor knapp 100 Jahren hat Emmerich Kalman in seiner Operette "Die Csardasfürstin" auf eine existenzielle Notwendigkeit hingewiesen, ohne die das menschliche Leben nur schwer erträglich, ja zu Ende gedacht, sogar unmöglich wäre. Diese Erkenntnis ließ er musikalisch leicht beschwingt in den auch heute noch gelegentlich intonierten Gassenhauer münden: "Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht ... "

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

So weit, so gut. Inzwischen hat die Kalmansche Erkenntnis auch in Politik und Wirtschaft Einzug gefunden. Nicht gemeint ist damit an dieser Stelle die Einführung einer Frauenquote in Führungspositionen der Wirtschaft. Nein, gemeint ist der Rekurs auf das Bruttoinlandsprodukt und dessen seit fünfzig Jahren gewohnheitsmäßige Vergrößerung, allgemein als Wirtschaftswachstum bezeichnet. So war vor kurzem ein Gastbeitrag etwa betitelt: "Ohne Wachstum geht es nicht".

Kein Wachstum seit 2008

Was hat zu dieser Erkenntnis geführt? Schlicht die Tatsache, dass mit Ausbruch der Finanz- und Verschuldungskrise 2008 dieses Wirtschaftswachstum plötzlich und unerwartet ausblieb. Sehr zum Leidwesen der Grünen, deren wesentlicher Parteiinhalt es war, die traditionelle Wachstumsberechnung ob ihrer betriebswirtschaftlichen Eindimensionalität an den Pranger zu stellen und mantrahaft eine ökologische BIP-Berechnung unter Einschluss der ökologischen Schäden des Wirtschaftswachstums - den sogenannten social costs - anzumahnen. Nun, wo das Bruttoinlandsprodukt aber nicht mehr wächst, werden solche Forderungen überflüssig.

Fakt ist, dass in den hochentwickelten Industriestaaten seit 2008 kein Wachstum mehr stattgefunden hat. Zwar kam es nach dem drastischen Einbruch der Weltwirtschaft 2009 - der weltweit mit einem Konjunkturprogramm von kumuliert über 4 Billionen Euro bekämpft wurde - zu einer schwachen Wachstumserholung. Der Stand des Bruttoinlandsprodukts des Jahre 2008 wurde aber bis 2013 nicht wieder erreicht. Das heißt, dass es seit 2008 in den westlichen Industriestaaten kein Wachstum mehr gegeben hat, der Wachstumstrend verläuft bei null. Experten zufolge auch über 2014 hinaus.

Wachstum als Maßstab für Erfolg?

Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich! Mit einer normalen konjunkturellen Rezession, wie sie Deutschland in der Nachkriegszeit seit der Erhard-Rezession 1967 bislang fünf Mal erlebt hat, hat dieser Wachstumsstillstand nichts mehr zu tun. Da sind andere Kräfte am Werk, die eine nachhaltige Erholung der westlichen Volkswirtschaften verhindern.

Nach den Gründen für den Wachstumsstillstand wird aber selbst von den Fachleuten nicht gefragt, geschweige denn von den Laien. Erheblich leichter ist es festzustellen: "Ohne Wachstum geht es nicht", als dazulegen, wie denn dieses Wachstum erreicht werden kann in einer Welt der Sättigung. Als Argumente werden stattdessen angeführt, auch Deutschland müsse wachsen, weil Wachstum der Maßstab für Erfolg und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens und für die Leistungsfähigkeit des Staates ist. Nur quantitatives Wachstum erlaube eine objektive Messung von Erfolg. Qualitatives Wachstum sei eine Grundvoraussetzung, um nachhaltig quantitatives Wachstum zu erreichen.

Das Gieren nach Wachstum - im Autosektor

Dabei wollen wir es belassen. Fakt ist, dass eine solch apodiktische Feststellung wie "Ohne Wachstum geht es nicht" für einen Politiker wegen seiner begrenzten ökonomischen Einsichten noch angehen mag, für einen Ökonomen dagegen nicht. Der Politiker darf nämlich argumentiert nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Ökonom muss die Wirklichkeit im Blick haben und sich Wunschdenken versagen. Um nochmals im Analogieschluss eine Volksweisheit zu bemühen, ist aus ökonomischer Sicht für die 2010er Jahre die Aussage charakteristisch: "Wachstum wollen, ist nicht schwer, Wachstum kriegen dagegen sehr!" Alle Schuldenstaaten gieren nach Wachstum, nur es kommt leider nicht - eben wegen der weiter wachsenden Schulden.

Die Entwicklung auf den großen Automobilmärkten des Westens seit 2005 liefert ein gutes Beispiel für die unbarmherzige wirtschaftliche Realität, dass nämlich tatsächlich ist, was nicht sein darf: Seit Mitte der 2000er Jahre wachsen die Märkte nicht mehr, schrumpfen die Neuzulassungen im Trend, befinden sich alle großen westlichen Hersteller in einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Rover, Chrysler, Saab, Volvo, Lancia sind dem Auslesewettbewerb schon zum Opfer gefallen. Andere wie Opel und PSA Peugeot Citroen stehen in der Diskussion.

Höchststände weit entfernt

Auch wenn in Westeuropa die Verschuldungs- und Wachstumskrisen in einzelnen Ländern den Zulassungsrückgang temporär drastisch überzeichnen, bleibt festzuhalten, dass 2013 in Westeuropa mit knapp 11,5 Millionen Pkw der Autoabsatz den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht. Auch in den USA wird 2013 trotz kräftiger Erholung mit 15,5 Millionen "Light Vehicles" der Höchststand vor der Krise noch immer um 2,5 Millionen verfehlt.

Und ob der neuerliche US-amerikanische Öl- und Energieboom tatsächlich die Goldenen Zeiten der "Gasguzzler" von früher wieder zurückbringt, muss angesichts der Einkommensdisparität und Verschuldungsprobleme des Landes bezweifelt werden.

Das Gerangel um die Spitze

Mit dieser Welt ohne Wachstum müssen die westlichen Autoproduzenten fertig werden. Angesichts dieser Wachstumsmalaise im Westen nimmt der Ökonom mit großer Verwunderung die Expansionspläne der deutschen Premiumhersteller zur Kenntnis. Audi-Chef Rupert Stadler schraubte jüngst die Ziele des Autobauers nach oben: 2020 wollen die Ingolstädter jetzt 2,4 Millionen Fahrzeuge verkaufen. Dafür müssen natürlich auch die Produktionskapazitäten ausgebaut werden. Die nötigen Werke sollen bis dahin auch stehen: Audi wird die Produktionskapazität bis 2016 auf etwa 2,2 Millionen Autos pro Jahr erweitern.

Selbstredend schaut die Konkurrenz den Plänen nicht untätig zu, auch die beiden anderen deutschen Premiumhersteller planen intern mit stark steigenden Absatzzahlen. BMW-Chef Norbert Reithofer geht laut Unternehmenskreisen davon aus, dass die Münchener bis 2020 rund 2,8 Millionen Fahrzeuge verkaufen werden.

Daimler hat sich vorgenommen, den Mercedes-Absatz inklusive der Kleinwagenmarke Smart bis 2020 auf 2,6 Millionen zu steigern, um damit wieder die Nummer eins im reinen Premiumsegment zu werden. Leider muss Zetsche  die Siegerkrone dann seinem Nachfolger überlassen - wenn es denn so kommt.

Fest steht, dass der Automobil-Weltmarkt trotz der Wachstumsflaute im Westen, dank China, Brasilien, Indien und Osteuropa weiter wachsen wird. Bis 2020 auf über 100 Millionen Neuzulassungen im Jahr. Von daher sind die ehrgeizigen Wachstumspläne der deutschen Nobelhersteller durchaus realisierbar - allerdings unter großen regionalen und politischen Risiken. Strategisch fataler noch, als überzogene Wachstumspläne zu haben, wäre es allerdings, keine Wachstumspläne zu haben. Da heißt es mit den Wölfen heulen!

Quelle: ntv.de

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