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Markus Zschaber Die rosarote Börsenbrille

Am vergangenen Mittwoch war es soweit, die Berichtssaison für das dritte Quartal wurde in den USA traditionell durch den Aluminiumhersteller Alcoa, welcher als Frühindikator für den gesamten Verlauf der Berichtssaison gilt, eröffnet. Während der Bilanzkonferenz, an der ich teilnahm, war ich offen gestanden irritiert. Nicht vom Zahlenwerk des Unternehmens, sondern von der Reaktion des Marktes auf die Bilanzdokumentation. Ehrlich gesagt war ich sogar kurzzeitig nicht mehr ganz sicher, ob mir die richtige Bilanz vorlag, aber nach erneuter Prüfung war eindeutig klar, dass die Daten und Zahlen, die mir vorlagen, die korrekten Daten waren.

Der Markt feierte bereits kurz nach Veröffentlichung der Bilanzdaten die Aktie und sich selbst in fast identischer Weise, wie bereits vor der Bilanzpräsentation. Dies war schon sehr irritierend und untermauerte meines Erachtens die hohe Irrationalität des Gesamtmarktes und seiner Marktteilnehmer. Fakt ist: Die Umsätze von Alcoa haben sich um 34 Prozent reduziert, das ist weniger als erwartet, "OK", aber eine Stabilisation sieht nach meinem Ermessen immer noch anders aus. Auch die Gewinnentwicklung betrachte ich nicht euphorisch. Aber auch hier wurden die Erwartungen des Marktes, welcher mit einem leichten Verlust rechnete, durch einen leichten Gewinn von 0,07 Cent je Aktie regelrecht "hinweggefegt". Der Markt vergaß, dass ein Gewinnausweis von 0,07 Cent ein Niveau markiert, welches 80 Prozent niedriger ist, als dieses noch vor einem Jahr der Fall war - und das trotz der sogar noch deutlich höher ausgefallenen Kostenreduzierungen des gesamten Geschäftsmodells.

Liebe Leserinnen und Leser, ich möchte dies nochmals kurz zusammenfassen. Punkt 1: die Umsätze sind um 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen. Punkt 2: die Gewinne sind über 80 Prozent niedriger als vor einem Jahr und Punkt 3: die Kosten wurden massiv reduziert, und weitere hohe Sparmaßnahmen wurden bereits angekündigt - trotzdem steigen die Kurse wie ein Feuerwerk? Verzeihen Sie mir bitte meinen Sarkasmus, aber wenn ich diese Zahlen rational bewerte, erkenne ich bisher noch kein nachhaltig positives Potenzial für das Unternehmen. Auch als ich mir die anderen Zahlenergebnisse im Detail anschaute, konnte ich keine Verbesserung erkennen. Der Umsatz wurde seitens der Geschäftsführung auf etwas mehr als 4,6 Mrd. US-Dollar beziffert, diesbezüglich konnten allerdings lediglich 184 Mio. US-Dollar als operativer Mittelzufluss, welcher als Indikator für die Finanzkraft, die aus der normalen Geschäftstätigkeit resultiert bzw. für die Selbstfinanzierungsfähigkeit eines Unternehmens steht, deklariert werden. Der Hauptanteil hiervon, nämlich 100 Mio. US-Dollar, wurden alleine durch das Nettoumlaufvermögen zugesteuert. Reduziert man dieses Ergebnis um die Investitionen, welche Alcoa im letzten Quartal realisierte, müsste sich das Unternehmen sogar Mittelabflüsse eingestehen.

Aber an den Börsen werden gerne Erwartungen gehandelt, und die Erwartungen des Marktes wurden zumindest leicht übertroffen, das steht fest. Es gilt aber zu hinterfragen, welche Konsistenz die Erwartungen haben. Der Kurs der Aktie hat seit Anfang März um über 172 Prozent bis auf ein Kursniveau von über 14 US-Dollar zugelegt. Die Ergebnisse sind aber weiter geschrumpft bzw. haben sich merklich reduziert. Ich frage mich also: Was erwartet der Markt? Der Markt erwartet in den kommenden Monaten eine starke Erholung, das beweisen die Kursentwicklungen. Fakt ist aber, dass Alcoa die bereits um 60 Prozent gekürzten Kapitalausgaben bis Ende des kommenden Jahres weiter drastisch senken wird. Eigentlich sieht eine zuversichtliche Einschätzung des geschäftsführenden Managements definitiv anders aus. Übrigens wurden im Jahr 2008 noch 3,4 Mrd. US-Dollar in Anlagen investiert. Für dieses Jahr sind insgesamt 1,8 Mrd. US-Dollar geplant und für das kommende Jahr nur noch 850 Mio. US-Dollar. Ich möchte nochmals erinnern, dass die Umsätze trotz dieser deutlich reduzierten Investitionstätigkeit und der deutlich reduzierten Kosten, über 30 Prozent niedriger ausgefallen sind als vor einem Jahr. Ich bin davon überzeugt, dass noch viele Quartale, womöglich sogar Jahre ins Land gehen werden, bis das Unternehmen wieder einen Gewinn je Aktie von über 1 US-Dollar ausweisen kann. Dennoch ist der Kurs der Aktie bereits heute wieder bei über 14 US-Dollar.

Daraus abgeleitet kann vor dem Hintergrund eines, wie angesprochen, in weiter Ferne liegenden Gewinns je Aktie von z.B. 1 US-Dollar ein Kursgewinnverhältnis (KGV) von ca.14 berechnet werden, was als faire Bewertung des Unternehmens eingestuft werden könnte. Bezüglich des aktuellen tatsächlichen Gewinns von 0,07 Cent kann aber ein aktuelles Kursgewinnverhältnis von über 200 berechnet werden. Setzt man also den aktuellen Gewinn je Aktie von 0,07 Cent in Relation mit einem fairen Kursgewinnverhältnis von 14 würde das bedeuten, dass der Kurs um über 90 Prozent fallen müsste, um eine faire Bewertung zu erhalten. Selbst bei einer Verfünffachung des Gewinns je Aktie müsste der Kurs immer noch um 65 Prozent fallen, um ein faires Kursgewinnverhältnis von 14 zu erreichen.

Außerdem kann für jedermann erkannt werden, dass die Lagerbestände der Unternehmen, die Aluminium nachfragen, immer noch sehr hoch sind. Darüber hinaus könnte auch bei einer ansteigenden Industrieproduktion und damit einer steigenden Aluminiumnachfrage das Ergebnis des größten Aluminiumherstellers belastet werden, da in diesem Zusammenhang ebenfalls von steigenden Energiekosten ausgegangen werden kann.

Also frage ich mich ernsthaft, welche Erwartungen der Markt haben kann. Welche Potenziale sieht der Markt, und woher sollen diese kommen, um eine Kursentwicklung von 178 Prozent in gerade einmal acht Monaten zu rechtfertigen - bei sich weiter reduzierenden Umsätzen und Gewinnen? Wenn Sie mich fragen, welche Hinweise der Quartalsauftakt in den USA gibt, dann nur einen, nämlich dass die Aktienmärkte wohl durchaus überbewertet sind und hohe Rückschlagsgefahren bergen.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass dieses meine persönliche Einschätzung ist und weder als Kauf- noch Verkaufsempfehlung gesehen werden darf.

Ihr Markus Zschaber

Markus C. Zschaber ist leitender Fondsmanager der V.M.Z. Vermögensverwaltungsgesellschaft (www.zschaber.de) in Köln. Nach seinem BWL-Studium ließ er sich in den USA bei der Chase Manhattan Bank zum Fondsmanager ausbilden und kehrte danach wieder zurück in seine Wahlstadt Köln. Bereits mehrfach ausgezeichnet für sein Portfoliomanagement, zuletzt als "Bester Fondsverwalter 2008"durch den "Handelsblatt-Elite-Report", kennen ihn die n-tv-Zuschauer seit 1997 als Experte unter anderem in der Telebörse, dem Investment-Check, Börse@n-tv oder dem Geldanlagecheck. Zwei seiner Fachbücher konnten Leser bereits in den Bestseller-Listen finden, zuletzt das Buch "Der Börse voraus" als Gemeinschaftsproduktion mit dem Nachrichtensender n-tv.

Quelle: ntv.de

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