Wirtschaft

"Dollar wird sieben Lira kosten" Türkische Presse nutzt Tweet für USA-Hetze

Die Lira hat seit Jahresanfang 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt.

Die Lira hat seit Jahresanfang 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt.

(Foto: REUTERS)

Die Lira rutscht ab, die Zinsen für Staatsanleihen explodieren, die Schulden steigen: Die Wirtschaftsprobleme der Türkei werden immer mehr zur Währungskrise. Wie groß die Panik ist, beweist ein Tweet und die Überreaktion der Medien am Bosporus.

In der Türkei liegen die Nerven blank. Wie sehr, zeigt die Reaktion türkischer Medien auf einen eigentlich unscheinbaren Tweet: Der Leiter des Forschungsinstituts Rusya Araştırmaları Enstitüsü (RUSEN), Salih Yilmaz, veröffentlichte am Mittwoch vergangener Woche die Zusammenfassung eines angeblichen Gesprächs mit Angehörigen der US-Botschaft in Ankara.

Der Inhalt war angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den Nato-Partnern Türkei und USA sowie der bevorstehenden Reise einer türkischen Delegation nach Washington hochbrisant: Yilmaz schrieb, die US-Vertreter hätten zugegeben, dass die USA mit ihren Sanktionen gegen das Land im Zuge des Streits um den Pastor Andrew Brunson einen Verfall der türkischen Währung auf sieben Lira pro Dollar provozieren wollten.

Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Netz. Die Zugriffe auf Yilmaz' privaten Account wie den seines Instituts waren so hoch wie nie. Binnen weniger Stunden wurde sein Eintrag über 1000 Mal retweetet und geliked. Die überwiegend staatlich gelenkte Presse griff die Äußerung dankbar auf.

Artikel bei Akit

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Die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Akit veröffentlichte noch am selben Abend im Netz einen Bericht mit der Überschrift: "US-Botschaftsbedienstete drohen: Dollar wird 7 türkische Lira kosten". Oda TV, eines der größten Nachrichtenportale der Türkei, schrieb ebenfalls: "Präsident des russischen Forschungsinstituts Dr. Salih Yilmaz hat bei Twitter beeindruckende Aussagen über US-Sanktionen geteilt."

Der Tweet zog so große Kreise, dass die US-Botschaft nach einer Woche reagierte. Die Äußerung sei "bedauerlich und unangenehm", twitterten die Diplomaten am Dienstag zurück. Die Behauptung, die USA würden die türkische Währung auf sieben Lira je Dollar schwächen wollen, sei "eine erfundene und grundlose Lüge". Die USA seien - trotz anhaltender Spannungen - "weiterhin ein fester Freund und Verbündeter der Türkei". Und: Die Länder hätten "eine lebhafte wirtschaftliche Beziehung".

Fällt die Lira, crashen die Banken

Yilmaz hatte bei Twitter behauptet, die US-Vertreter hätten auf die Frage, was die USA mit ihren Sanktionen gegen die Türkei bezweckten, geantwortet: "Wir prognostizieren, dass der Dollar bald sieben türkische Lira kostet." Am Donnerstag fiel die Währung zu Dollar und Euro um mehr als drei Prozent auf 5,47 bzw. 6,33 Lira.

Laut Yilmaz waren die Botschafts-Angehörigen in der Sache überdeutlich: Er habe in dem Gespräch nachgehakt: "Wenn Sie das tun, verlieren Sie die Türkei." Die Antwort darauf habe gelautet: "Vielleicht wollen wir das", schreibt Yilmaz. In einem zweiten Eintrag kommentiert er: Dass die USA die Türkei vor den Kommunalwahlen so angreifen würden, sei klar.

Bislang ist Yilmaz weder in der Türkei noch anderswo als Politik- oder Wirtschaftsexperte öffentlich groß in Erscheinung getreten. Bekannt ist lediglich, dass der Russland-Experte neben seiner Institutsarbeit bei Rusen an der Yildirim-Beyazit-Universität in Ankara im Fachbereich Geschichte doziert. Yilmaz' Institut Rusen steht voll hinter Ankaras Politik.

Noch aus einem anderen Grund hätten die Alarmglocken schrillen müssen: Mit seinem Tweet hat Yilmaz nicht nur Ankara gefallen, sondern sich auch um die türkischen Beziehungen zu Moskau verdient gemacht. Die beiden Nationen sind sich in den vergangenen Jahren politisch deutlich näher gekommen. Russland versucht die Türkei aus ihren Verbindungen zum Westen herauszulösen und stärker an sich zu binden.

Für die türkischen Medien war der Tweet aber ein gefundenes Fressen. Sie überprüften weder die Quelle noch bemühten sie sich um eine zweite Stellungnahme. Trotz der Wellen, die Yilmaz' Tweet schlug, wäre er dennoch fast eine Anekdote geblieben - hätte Goldman Sachs nicht noch Öl ins Feuer gegossen.

Ebenfalls eine Woche nach Yilmaz' Tweet warnten die Experten der US-Investmentbank, dass ein weiterer Absturz der türkischen Lira verheerend werden würde. Sieben Lira pro Dollar würde die Banken des Landes kollabieren lassen. Der Wechselkurs stimmte überraschend mit dem Kurs überein, mit dem Yilmaz eine Woche zuvor US-Vertreter zitiert hatte.

Goldman tritt nach

Die Prognose der Goldman-Sachs-Analysten machte passenderweise die Runde kurz nachdem klar war, dass eine türkische Delegation unter Vize-Außenminister Sedat Önal zu einer Reise nach Washington aufbrechen würde, um den Streit mit der US-Regierung um den Pastor Brunson zu entschärfen.

Das Säbelrasseln von beiden Seiten ist damit unüberhörbar. Der Tweet aus der Türkei, die Welle, die er in den türkischen Medien geschlagen hat, und Goldman Sachs' Berechnungen haben die Beziehungen zwischen beiden Nationen kurz hintereinander jetzt mehrfach hart auf die Probe gestellt. Einer Lösung sind so weder Washington noch Ankara nähergekommen.

Jeder auch noch so kleine Verdacht, die Beziehungen könnten sich weiter verschlechtern, schürt die Nervosität an den Finanzmärkten nur noch weiter. Es beschleunigt die Talfahrt der Lira und bringt die Türkei dem Absturz näher. Die Landeswährung hat seit Jahresanfang bereits 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt.

Nachdem Gespräche zur Beilegung des Streits über die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen US-Geistlichen Brunson keine Ergebnisse gebracht haben, fiel die türkische Lira am Donnerstag auf ein neues Rekordtief. Parallel dazu trieben verstärkte Spekulationen auf Zahlungsausfälle in der Türkei die Kosten für Kreditausfall-Versicherungen auf den höchsten Stand seit neun Jahren. Weitere Provokationen werden den Absturz nicht stoppen.

Quelle: ntv.de

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