Wirtschaft

Sanktionen wegen US-Pastor Türkei kommt Crash gefährlich nahe

Die Türkei ist weit davon entfernt, bald "eine der zehn größten Wirtschaftsmächte der Welt" zu sein, wie der türkische Präsident Erdogan verspricht.

Die Türkei ist weit davon entfernt, bald "eine der zehn größten Wirtschaftsmächte der Welt" zu sein, wie der türkische Präsident Erdogan verspricht.

(Foto: REUTERS)

Präsident Erdogan kommt in Bedrängnis. Weil die Türkei einen US-Pastor festhält, droht Washington mit "umfangreichen" Strafen. Das Timing könnte kaum schlechter sein. Die Wirtschaft des Landes ist bereits schwer angeschlagen.

Der türkische Präsident hat mehr als genug Probleme am Hals: Die Unternehmen sind hoch verschuldet, die Inflation galoppiert davon und Investoren suchen scharenweise das Weite. Die wirtschaftliche Bilanz seiner Amtszeit ist verheerend. Die Muskelspiele von Recep Tayyip Erdogan und Donald Trump im Fall des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson helfen da nicht. Die finanzielle Schieflage droht für die Türkei brenzlig zu werden.

US-Vizepräsident Mike Pence ließ am Mittwoch in Washington deutlich wissen, wo der Hammer hängt: "Lassen Sie Andrew Brunson sofort frei oder machen Sie sich auf Konsequenzen gefasst." Brunson hatte an dem Tag zwar seine Gefängniszelle in der Türkei verlassen, durfte aber nicht ausreisen. Er wurde unter Hausarrest gestellt. Die Amerikaner hatten sich das anders vorgestellt.

Annähernd zwei Jahre hat der protestantische Pastor in Untersuchungshaft zugebracht. Wegen angeblicher Spionage und Terrorismus drohen dem 50-Jährigen bis zu 35 Jahre Haft. Brunson weist alle Vorwürfe zurück. Hinter den Kulissen hatte Washington seit Monaten über seine Freilassung verhandelt. Dass der Pastor nicht ausreisen durfte, war nicht hinnehmbar. US-Präsident Trump platzte der Kragen: "Die USA werden weitreichende Sanktionen gegen die Türkei verhängen." Für das angeschlagene Verhältnis zwischen Washington und Ankara bedeutet das nichts Gutes. Und auch für die angeschlagene türkische Wirtschaft ist das kein gutes Omen.

Unklar ist bislang, was genau die USA planen. Spekuliert wird, dass Washington möglicherweise Lieferungen des Kampfjets F-35 absagt. Pence und Trump äußerten sich nicht dazu. Die Drohung reichte aber aus, um binnen weniger Tage die Finanzmärkte ein zweites Mal beben zu lassen. Die ohnehin unter Druck stehende türkische Lira fiel auf einen neuen Tiefstand. Und auch die türkische Börse legte einen Sturzflug hin. Inzwischen haben sich Lira und Aktienmarkt wieder etwas erholt.

Spirale aus Lira-Abwertung und Kapitalflucht

Entwarnung bedeutet das nicht. Die Türkei kämpft mit enormen wirtschaftlichen Problemen. Die Lage ist so schlecht wie seit Jahren nicht. Investoren fliehen in Scharen aus Lira, Aktien und Anleihen. Seit Jahresbeginn hat die Landeswährung mehr als ein Fünftel an Wert zu Dollar und Euro verloren, die Inflation liegt mit 15 Prozent auf Rekordniveau. Die US-Ratingagentur Fitch stufte die Kreditwürdigkeit der Türkei zuletzt noch tiefer in den Ramschbereich runter. Mit "BB" rangiert die Türkei nun auf einer Stufe mit Ländern wie Guatemala oder Costa Rica.

Die heftige Lira-Reaktion auf die Sanktionsankündigung führt der Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leuchtmann vor allem darauf zurück, dass die Währung sowieso schon angeschlagen ist. Der Devisenmarkt hatte diese Woche noch nicht einmal Zeit, die überraschende Zentralbankentscheidung, die Zinsen nicht zu erhöhen, zu verarbeiten. In so einem Umfeld wirken negative Nachrichten noch mal stärker, sagt Leuchtmann. US-Sanktionen - auch temporäre - seien deshalb gefährlich, denn sie würden die Gefahr einer Spirale aus Lira-Abwertung und Kapitalflucht noch vergrößern.

Bei seiner Vereidigung im Juli hat Erdogan erneut versprochen, die Türkei zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt zu machen. Wie das funktionieren soll, ist unklar. Ökonomen sprechen eher davon, dass die türkische Wirtschaft kurz vor dem Kollaps steht. "In Zeiten wie diesen braucht man erfahrene Piloten am Steuer", zitiert die Deutsche Welle den türkischen Ökonomen Attila Yesilada. Der neue Finanz- und Schatzminister Berat Albayrak müsse jetzt liefern, sonst drohe der Türkei ein Wirtschaftscrash und das Land müsse beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe bitten, warnt Yesilada. Albayrak ist Erdogans Schwiegersohn. Mit seinen 40 Jahren gilt er als relativ unerfahrener Politiker.

Sorgen bereiten den Beobachtern vor allem, dass die Türkei sich massiv in Auslandswährungen wie Euro und Dollar verschuldet hat. In den kommenden zwölf Monaten werden Schulden in diesen Währungen in Höhe von 182 Milliarden Dollar fällig. Aber sind die Devisenreserven sind mittlerweile auf knapp 80 Milliarden Dollar geschrumpft. Vor allem für die verschuldeten Unternehmen des Landes, die ihr Geld in der stark abgewerteten Lira verdienen, dürfte es schwer werden, diese Summe zu bedienen.

Die Geduld der Amerikaner ist erschöpft

Der Fall Brunson macht die Lage noch mal brenzliger. Auch aus einem anderen Grund: Erdogan wollte den Konflikt mit den USA durch den Hausarrest wohl eigentlich entschärfen - hat Washington dabei aber offensichtlich unterschätzt. Die Umsiedelung des kranken Pastors aus dem Gefängnis erfolgte nur wenige Stunden vor einer wichtigen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Senats in Washington. Auf der Tagesordnung: die Annahme eines Gesetzesentwurfs über Finanzsanktionen gegen die Türkei.

Der Gesetzentwurf wurde angenommen.

Der Gesetzentwurf wurde angenommen.

Sechs einflussreiche republikanische und demokratische Mitglieder des US-Senats hatten sich im "Turkey International Financial Institutions Act" dafür stark gemacht, dass nicht länger die "willkürliche Festnahme" von US-Bürgern und Mitarbeitern diplomatischer Vertretungen der USA in der Türkei hingenommen würde. Diesen Gesetzentwurf wollte Ankara wohl in allerletzter Minute verhindern. Mittlerweile haben die Senatoren aber grünes Licht gegeben. Mit der halbherzigen Geste des Hausarrests ist es Erdogan also nicht mehr gelungen, die Eskalation des Streits mit den USA abzuwenden.

Die amerikanischen Vertreter bei der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) werden in Zukunft ihr Veto gegen weitere Kredite für die Türkei einlegen. Und zwar solange, wie Ankara "willkürlich" amerikanische Bürger und Botschaftsangestellte in Haft hält. "Wir wollten niemals, dass dieses Gesetz notwendig wird, aber wir haben die türkische Regierung gewarnt", sagte der Leiter des Ausschusses, Bob Corker.

Erdogans Sprecher, Ibrahim Kalin, reagierte empört. Er bezeichnete die "bedrohliche Wortwahl der US-Regierung gegen die Türkei, einen Nato-Alliierten", als nicht akzeptabel. Die USA müssten verstehen, dass sie nichts erreichen würden mit Drohungen zu einem Fall, der der unabhängigen Justiz des Landes unterliege." Und Außenminister Mevlüt Cavusoglu twitterte am Donnerstagabend: "Niemand macht der Türkei Vorschriften. Wir werden niemals und von niemandem Drohungen akzeptieren."

Angeblich haben der türkische und der amerikanische Außenminister noch am späten Abend miteinander telefoniert. Details sind nicht bekannt. Brunsons Prozess soll erst am 12. Oktober fortgesetzt werden.

Quelle: ntv.de

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