Wirtschaft

Türkei vorm Schuldenkollaps Erdogan läuft das Geld davon

Das Misstrauen gegen Präsident Erdogans Kurs wächst. Wer kann, sucht das Weite.

Das Misstrauen gegen Präsident Erdogans Kurs wächst. Wer kann, sucht das Weite.

(Foto: REUTERS)

Türkische Millionäre und ausländische Investoren kehren Präsident Erdogan scharenweise den Rücken. Kurz vor den Wahlen wächst das Misstrauen gegen den Despoten am Bosporus. Dem Land droht der finanzielle Gau.

Die "historische Wahl" am Sonntag, wie Recep Tayyip Erdogan sie nennt, wird nicht nur über die politische, sondern auch über die wirtschaftliche Zukunft der Türkei entscheiden. Beides sieht derzeit düster aus. Immer mehr Kapital flüchtet vor dem Möchtegern-Alleinherrscher in Ankara.

Mehr Arbeitslose, steigende Preise, sinkende Kaufkraft - die Wirtschaftsnachrichten aus der Türkei sind negativ. Nicht nur ausländische, auch türkische Investoren stimmen deshalb reihenweise mit den Füßen ab: Wer Geld hat, bringt es ins Ausland. Und wer kann, sucht selbst das Weite. Laut einer Studie der südafrikanischen Beratungsgesellschaft New World Wealth, aus der "Bloomberg" zitiert, sind im vergangenen Jahr rund 6000 Superreiche abgewandert, das sind 12 Prozent der türkischen Millionärsbevölkerung.

Exodus am Bosporus: Superreiche retten ihr Geld

Der Vertrauensverlust ist zwar seit längerem am Absturz der Lira abzulesen. Seit Erdogans AKP in Ankara am Ruder ist, hat die türkische Währung zu Euro und Dollar die Hälfte ihres Wertes verloren. Zum großen Leidwesen von Investoren, Unternehmern und Bürgern hat Erdogan dagegen aber bislang nichts unternommen.

Nicht nur die Superreichen, auch Türken aus der Mittelklasse verkaufen angeblich reihenweise Häuser und andere Vermögenswerte, um im Ausland ein besseres Leben für ihre Familien aufzubauen. Diese Abflüsse seien ein sehr schlechtes Zeichen und sehr besorgniserregend, zitiert die US-Finanzagentur aus der südafrikanischen Studie.

In der Türkei von einer rosigen Zukunft zu träumen, fällt schwer. Der Wirtschaftsboom ist auf Pump gebaut. Das Land ist auf regelmäßige Kapitalzufuhr aus dem Ausland angewiesen. Versiegen die Geldströme, steht das Land vor dem Ruin. Nach OECD-Berechnungen liegen die Auslandsschulden bei rund 50 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist ein Spitzenwert unter Schwellenländern. Einen Großteil der Schulden hat die Türkei in starken Währungen wie Euro und Dollar aufgenommen. Der Wertverfall der Lira macht die Rückzahlung dieser Kredite immer teurer.

Dramatisch ist auch der Schwund bei den Direktinvestitionen. Die sind zuletzt auf das Niveau von 2009 geschrumpft. Je mehr Kapital wegbleibt oder abwandert, desto wichtiger werden andere Geldquellen wie Aktien und Anleihen für die Türkei. Doch auch hier gehen Anleger in Deckung.

Ausländer kauften dieses Jahr laut Bloomberg türkische Aktien und Staatsanleihen im Wert von 118 Millionen Dollar, das sind 97 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Der Leitindex der Istanbuler Börse ist in diesem Jahr in Dollar berechnet um 35 Prozent gefallen. Die finanzielle Grundlage der türkischen Wirtschaft bröckelt weg.

Flucht in Dollar und Euro

Auch am Rentenmarkt herrscht Ebbe. Türkische Anleihen können nur noch mit hohen Zinsversprechen an die Investoren gebracht werden. Die Rendite 10-jähriger türkischer Staatsanleihen erreichte zwischenzeitlich ein Rekordhoch von über 17 Prozent. Weil die Notenbanken in Europa und den USA langsam ihre Leitzinsen erhöhen, wird es ungünstigerweise für die Türkei gleichzeitig auch teurer, Kredite in Dollar oder Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen.

Auch Daten aus der Türkei selbst belegen den dramatischen Schwund und Vertrauensverlust: Laut der türkischen Zentralbank sind die Einlagen von Fremdwährungen in Banken steil angestiegen. Wer kann, tauscht ungeachtet aller Ermahnungen der Regierung, schwache türkische Lira in starke Dollar oder Euro. Angeblich sind inzwischen mehr als die Hälfte der gesamten Einlagen im Bankensystem Devisen.

Auch den Unternehmen geht das Geld aus. Im April 2018 beliefen sich die Auslandsschulden türkischer Firmen, die in weniger als einem Jahr fällig werden, auf 125,5 Milliarden Dollar. Das ist ein Dreijahreshoch. Das Geld zurückzuzahlen, wird schwierig. Findet die Regierung keinen Weg, das verlorene Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen und die Lira zu stärken, droht der Türkei und ihren Unternehmen der Schuldenkollaps. 

"Am Ende unserer Kräfte"

Dabei kann von einer panikartigen Flucht keine Rede sein. Investoren beobachten die Schwächung der türkischen Demokratie und den Wandel zu einem offen autoritären System schon lange mit großer Sorge. Die Regierung hat die heimische Wirtschaft mit billigem Geld und steigenden Staatsausgaben über Jahre hinweg immer weiter aufgebläht. Dazu kommt der Verfall der Lira und eine Notenbank, die auf Geheiß Ankaras die Zinsen niedrig hält, statt sie zu erhöhen, um der Inflation etwas entgegenzusetzen.

Erdogan will das Geld im Land billig halten, um das Wirtschaftswachstum nicht abzuwürgen - und seine Stammwähler nicht zu verprellen. "Jahre unverantwortlicher Politik haben die türkische Wirtschaft überhitzt. Hohe Inflationsraten und Leistungsbilanzdefizite werden sich als schwierig erweisen," sagte Attila Yesilada, Analyst bei Global Source Partners in Istanbul, kürzlich der "Washington Post". "Wir sind am Ende unserer Kräfte."

Erdogan droht die Realität einzuholen. Der IWF rechnet für das laufende Jahr noch mit rund 4 Prozent Wachstum (nach 7,4 Prozent für 2017). Andere sind noch pessimistischer: Die Ratingagentur Moody's erwartet nur 2,5 Prozent. Und ein Patentrezept gegen den stetigen Geldabfluss scheint der starke Mann in Ankara nicht in petto zu haben. Sein Appell an die Bevölkerung, ersparte Devisen in Lira umzutauschen, wirkt eher hilflos. Auch die neuen Stadien, Parks und Volkskaffeehäuser, in denen Kaffee, Tee und Kuchen rund um die Uhr gratis sein sollen, wenn er wiedergewählt wird, werden Investoren wohl eher nicht aus der Reserve locken, und die heimische Währung auch nicht attraktiver machen.

Quelle: ntv.de

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