Wirtschaft

Verschuldet, maßlos, instabil Deshalb ist Italien eine Gefahr für Europa

Eine unheilvolle Allianz? Ein Graffito in Rom stellt Luigi di Maio, Vorsitzender der Partei Fünf Sterne, und Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega-Partei (v.l.) küssend dar.

Eine unheilvolle Allianz? Ein Graffito in Rom stellt Luigi di Maio, Vorsitzender der Partei Fünf Sterne, und Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega-Partei (v.l.) küssend dar.

(Foto: picture alliance / Andrew Medich)

Die wohl neue, populistische Regierungskoalition in Rom eint vor allem zwei Dinge: Sie hält nichts von staatlicher Ausgabendisziplin und sie ist zutiefst anti-europäisch. Erinnerungen an Griechenland werden wach. Droht eine neue Eurokrise? Das sollte man jetzt wissen:

1. Die mutmaßlich neue Regierungskoalition steht für Extreme

Regierungsbildung in Italien

Die Fünf Sterne verstehen sich als Anti-Establishment-Partei, die weder rechts noch links einzuordnen ist und sich für die Belange des armen Südens einsetzt.
Die Lega hat sich unter Parteichef Salvini von einer Separatisten-Partei aus dem Norden zur ausländerfeindlichen Bewegung auf nationaler Ebene entwickelt und im Wahlkampf Stimmung gegen Migranten gemacht.
Beide Parteien gelten als europakritisch und versprechen eine "Regierung des Wandels". Salvini kündigte an, man wolle das Land "radikal verändern". "Wir werden das Gegenteil von dem machen, was die früheren Regierungen getan haben."

Die Regierung "Salvimaio" - eine Kombination aus den Namen Matteo Salvini, dem Vorsitzenden der Lega, und Luigi Di Maio, dem "politischen Chef" der Fünf-Sterne-Bewegung - wird die rechteste, die Italien in seiner republikanischen Geschichte je hatte. Keine Regierung in Rom hatte auch jemals zuvor ein so verschwenderisches Programm. "Popcorn für alle" soll der Sozialdemokrat und frühere Premierminister Matteo Renzi angeblich unlängst gelästert haben. Die beiden Parteiführer versprechen einen Cocktail aus niedrigen Steuern, höheren Sozialleistungen, einem staatlich geförderten Grundeinkommen von 780 Euro und einer früheren Rente. Darüber hinaus versprechen sie Wirtschaftswachstum und weniger Bürokratie. Nur Sparen ist im neuen Regierungsprogramm nicht vorgesehen. Und hier wird es kritisch.

2. Bezahlen sollen andere

Experten schätzen, dass allein die Steuersenkungspläne den Staat rund 50 Milliarden Euro jährlich kosten würden, hinzu sollen noch einmal die Rentenreform mit 26 Milliarden und das Bürgereinkommen mit 17 Milliarden kommen. Insgesamt sind das 93 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung von derzeit 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts könnte sich damit verdreifachen.

Um das zu finanzieren, will die Links-Rechts-Koalition am liebsten 250 Milliarden Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) geschenkt haben, also von der Institution, ohne die Italien heute wahrscheinlich längst pleite wäre. Die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung wünschen sich, dass die europäischen Verträge mit Blick auf Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit "neu diskutiert" werden. Der Schlachtruf "Italien zuerst" lässt den Rest Europas erschauern, denn die italienischen Populisten können die Eurozone mit ihrer Fiskalpolitik ins Wanken bringen. Erinnerungen an Griechenland werden wach.

3. Ängste vor einer neuen Eurokrise sind berechtigt

Italien kann sich Ausgaben, wie sie im Regierungsprogramm formuliert sind, eigentlich nicht leisten. Das Land hat eine der höchsten Staatsverschuldungen weltweit. Es leidet nicht nur unter klammen Kassen, sondern auch unter einer chronischen Wachstumsschwäche und einer andauernden Bankenkrise. Auch politisch ist das Land instabil. Gefahr ist vor allem deshalb in Verzug, weil das EU-Gründungsland viel größer als Griechenland ist und damit systemrelevant. Während Griechenland für knapp zwei Prozent der Wirtschaftsleistung des gesamten Währungsgebiets steht, kommt Italien auf 16 Prozent. Ökonomen sind alarmiert: Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einem "Horrorszenario". Wenn sich die Regierung der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone finanziell einen Bruch hebt, dürfte es unmöglich sein, das Land in einem europäischen Rettungsschirm so aufzufangen wie zuvor Griechenland. Der Euro-Rettungsfonds ESM wird nicht ausreichen, um das Land vor den Finanzmärkten abzuschirmen. Andererseits ist ein Austritt des Gründungsmitglieds Italien aus der Währungsunion aus heutiger Sicht auch kaum vorstellbar.

4. Zahlen-Check: So steht es um die italienische Wirtschaft

Im vergangenen Jahr erreichte die Staatsverschuldung Italiens 2,28 Billionen Euro oder 135 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das ist mehr als doppelt so viel wie erlaubt. Nach dem Euro-Konvergenzkriterium darf der staatliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Übertroffen wird das Defizit nur noch vom Minus Griechenlands mit knapp 180 Prozent. Die reale Wirtschaftsleistung Italiens ist laut DZ Bank seit Beginn der Währungsunion überhaupt nicht gewachsen. Schuld sind strukturelle Probleme in den verschiedensten Bereichen. Dazu zählen das Bildungssystem, die geringen Investitionen in Forschung, Entwicklung oder Infrastruktur genauso wie das Ausmaß der Schattenwirtschaft, die Korruption, die schwache öffentliche Verwaltung und das langsam arbeitende Justizsystem. Die Schieflage im Finanzsystem bleibt ebenfalls dramatisch: Noch immer lasten notleidende Kredite im Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro auf den Banken. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 31,7 Prozent. Die Industrieproduktion stagniert und das Pro-Kopf-Einkommen ist heute niedriger als vor 20 Jahren.

5. Die Finanzmärkte zittern

10-jährige italienische Staatsanleihen
10-jährige italienische Staatsanleihen 95,29

Die Ankündigung der Koalitionspartner, die Konjunktur in Italien mit schuldenfinanzierten Anreizen anzuheizen, kommt bei den Finanzmärkten nicht gut an. Am Rentenmarkt ebenso wie am Devisen- und Aktienmarkt herrscht schlechte Stimmung. Zehnjährige italienische Bonds sind deutlich gestiegen, sie rentieren mittlerweile bei 2,3 Prozent. Umgekehrt ist ihr Kurs seit dem 7. Mai von 102,25 auf aktuell 97,28 gefallen. Und die europafeindliche Politik dürfte die italienischen Anleiherenditen auch noch weiter nach oben treiben, warnen Analysten.

Euro / US-Dollar
Euro / US-Dollar 1,06

Umgekehrt ist der Eurokurs unter dem Druck der italienischen Regierungsbildung gesunken. Am Montag fiel der Kurs fast unter 1,17 US-Dollar. Zuletzt hatte der Euro Mitte November unter dieser Marke notiert. Auch die Aktienkurse an der Mailänder Börse gaben nach. Die Ratingagentur Fitch warnte zudem, dass die populistische Koalition ein Risiko für das Kreditprofil Italiens darstelle. Nachdem die Forderung nach einem Schuldenerlass durch die EZB zumindest nicht mehr im Haushaltsentwurf der ungleichen Koalitionäre auftaucht, haben sich die Kurse etwas beruhigt. Marktbeobachter sind dennoch skeptisch: Sollten die Märkte unter Druck kommen und die EZB sie nicht weiter stützen, könnten in Italien wieder neue Euro-Ausstiegsszenarien auf den Tisch kommen, sagt Nordea-Chefstratege Jan von Gerich.

6. Europa hat es vermasselt

Die Probleme wurden der Währungsunion bereits in die Wiege gelegt, sagen Euro-Gegner. Sie sehen die Unterzeichner des Vertrags von Rom in der Verantwortung. Italien sei der Beitritt Ende der 1990er-Jahre viel zu leicht gemacht worden. Es war Helmut Kohl, der damals gegen heftigen Widerstand darauf bestand, dass Italien zu den Gründungsmitgliedern gehörte, obwohl das Land schon 1999 das 60-Prozent-Ziel bei der Staatsverschuldung verfehlte. Eine ordentliche Untersuchung darüber, ob es mit dem Euro zurechtkommen könnte, gab es damals nicht. Als sich herausstellte, dass Rom die Kriterien der Währungsunion nicht erfüllen würde, wurden die Regeln schlicht angepasst.

Der Ökonom und ehemalige Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, geht auf der Suche nach Schuldigen noch einen Schritt weiter. In seiner jüngsten Analyse zur Entwicklung Südeuropas seit der Eurokrise unter dem Titel "The ECB's Fiscal Policy", aus der die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert, heißt es, nur die fehlgeleitete Euro-Rettungspolitik habe den Aufstieg der radikalen Parteien möglich gemacht. Den Aufschwung, der in Südeuropa seit der Eurokrise zu beobachten ist, nennt Sinn ein Strohfeuer, das durch Rettungspakete, Stützungsmaßnahmen, die künstliche Senkung der Zinsen und die verschiedenen EZB-Anleihenkaufprogramme erzeugt worden sei.

Vergleiche man das reale Bruttoinlandsprodukt heute und vor der Krise, stehe Italien mit einem Minus von 5 Prozent in Europa auf dem zweitletzten Platz vor Griechenland. Irland gehe es heute besser, weil das Land bereits 2006 in die Krise kam und es damals keine Hilfe erhielt. Notgedrungen habe Irland seinen "Grütel enger schnallen müssen - mit Preis und Lohnsenkungen". Als 2011 die Rettungsgelder kamen, habe die irische Selbsthilfe sofort aufgehört: "Zum Glück war die Arbeit da erledigt." Italien hat diese Arbeit noch vor sich. Die Spannend wird es sein, wie sich die Europäische Zentralbank positioniert. Bisher hat sie nicht am Umfang ihrer Käufe von italienischen Staatsanleihen gerüttelt.

Quelle: ntv.de

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