Wirtschaft

Sauber in die Zukunft? "Der Diesel erlebt 2018 eine Renaissance"

2017 war ein fulminantes Jahr für die Automobilindustrie weltweit: steigende Absätze, deutlich wachsende Gewinne. Setzt sich dieser Trend 2018 fort? Wie geht der Diesel-Skandal weiter? Und muss die deutsche Autoindustrie China fürchten? Autoexperte Helmut Becker liefert im ntv.de-Interview die Antworten - und wagt noch einen Blick weiter voraus.

ntv.de: Herr Becker, das Jahr 2017 war in Ihren Augen ein "weiteres fulminantes" für die Automobilindustrie. Wie sieht Ihre Prognose für 2018 aus?

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker: Mark Twain hat einmal gesagt: "Prognosen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie auf die Zukunft gerichtet sind" (lacht). Da aber nach wie vor die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gut sind, wird sich der Aufschwung in der Autoindustrie ebenfalls fortsetzen - auch wenn sich beispielsweise die Geldpolitik der Noten- und Zentralbanken weiter straffen wird. Aber das konjunkturelle Umfeld für den Autoabsatz bleibt gut: Manchen fehlt noch ein Auto. Andere haben das Geld, ihr altes Fahrzeug gegen ein Neues zu ersetzen. Beides zielt in die gleiche Richtung. Insgesamt wird die Weltautomobilindustrie auch 2018 ein überaus gutes Jahr sehen - mit am Ende wohl etwa 87 Millionen Pkw-Neuzulassungen gegenüber 85 Millionen in 2017, was einem Wachstum von rund drei Prozent entspricht.

Welcher Absatzmarkt fungiert dabei als Wachstumstreiber?

Wachstumstreiber, auch wenn es komisch klingen mag, wird Europa bleiben. Ich meine damit nicht die großen Märkte wie Deutschland oder Großbritannien, die haben den Großteil ihres Aufschwungs hinter sich. Ich meine vielmehr Frankreich und die süd- und osteuropäischen Märkte, die nach wie vor über ein erhebliches Nachholpotenzial verfügen. Russland beispielsweise wird zweistellig wachsen, ebenso Brasilien.

Und wie steht es um den Hauptabsatzmarkt China?

Der chinesische Absatzmarkt wird ebenfalls weiter wachsen. Nicht zweistellig wie noch vor einigen Jahren, aber ein Plus von drei bis vier Prozent sehe ich hier durchaus - und das bei einem exorbitant hohen Niveau von 25 Millionen Pkw. Nur zum Vergleich: Das ist nahezu das Doppelte von ganz Westeuropa.

Welcher Absatzmarkt könnte bremsen?

Der US-Markt. Hier war bereits 2017 ein leichtes Minus zu sehen, 2018 sollte ein weiteres folgen. Der Aufschwung ist hier erst einmal vorbei. Gleiches gilt für Großbritannien, wo Wirtschaft und Konjunktur bereits unter dem anstehenden Brexit, dem EU-Austritt, leiden.

Das drohende Aus des Verbrennungsmotors war Ihrer Meinung nach das bestimmende Thema der Branche 2017. Welche Themen könnten sich in diesem Jahr in den Vordergrund drängen?

Ich denke, dass sich an der allgemeinen Themenlage nichts groß ändern wird. Verbrenner, vor allem der Dieselantrieb, und der Elektroantrieb bleiben schlagzeilenbestimmend. Wobei ganz klar ist: Die negativ geführte Diesel-Debatte ist ein rein innerdeutsches Problem. Die Chinesen kümmert das Thema nicht, in Japan befindet sich der Diesel sogar im Aufwind. Das gleiche Bild zeichnet sich in Südeuropa ab.

Apropos Dieselskandal: Was ist hier noch zu erwarten?

Ich erwarte, dass sich die Negativmeinung zum Diesel umkehrt! Das liegt etwa daran, dass es mittlerweile unglaublich saubere Dieselmotoren gibt, die allerdings zahlenmäßig noch in der Minderheit sind, und den innerstädtischen Abgaskohl noch nicht nennenswert entfetten können. Ich bleibe auch dabei, dass der Elektroantrieb den Verbrenner generell weder auf kurze noch lange Sicht ersetzen kann - solange das E-Auto nicht so schnell betankt werden kann wie ein Golf-Diesel beispielsweise und nicht so weit fahren kann wie selbiger und mehr kostet. Solang das alles nicht passt, ist das E-Auto für den Massenmarkt - und das sind immerhin global rund eine Milliarde Autos, in Deutschland 46 Millionen - absolut ungeeignet.

Dennoch ist E-Mobilität Thema: Grund sind die von diversen Autokonzernen angekündigten Milliardeninvestitionen in diesem Bereich. Wer könnte dabei positiv herausstechen, wer hat nur geblufft?

(Lacht) Geblufft hat keiner. Noch sind bei allen Elektroautos Tankkomfort, Fahrkomfort, Reichweite und Kosten die Probleme. Das für den Massenmarkt gedachte Model 3 von Tesla kommt nicht wirklich auf die Räder bisher - die produzierten Stückzahlen hinken den Zielvorgaben meilenweit hinterher. Aber: Tesla hat gezeigt, dass es möglich ist, alltagstaugliche Elektroautos auf die Straßen zu bringen, wenn man Geld und Geduld hat und als Konsumpionier auf der Sonnenseite des Lebens lebt - wörtlich genommen. Das reine Elektroauto auf Batteriebasis ist und bleibt ein Schönwetter- Nischenprodukt. Nur als Hybrid oder elektrisch angetrieben mit Wasserstoff oder synthetischem Treibstoff hat es Zukunft!

Zum Durchbruch könnte China dem E-Auto verhelfen - dank staatlicher Eingriffe Pekings ist das Land Vorreiter.

Das stimmt. China hat sich der Elektromobilität verschrieben. Das liegt aber nicht daran, dass der E-Motor der bessere Antrieb ist. Ausschlaggebend sind vielmehr Umweltgesichtspunkte und die Erkenntnis der Staatsführung, dass die eigene Wirtschaft wettbewerbsfähige Otto- und Dieselmotoren nicht auf die Räder stellen kann. Der Ersatz der Verbrenner durch E-Autos schreitet aber auch in China nur mühsam voran. Der Verbrennungsmotor bleibt weiter bestimmend.

Die Hersteller müssen aber Elektroautos anbieten, damit sie überhaupt Verbrenner verkaufen können ...

Richtig. Peking gestaltet das über eine Quote von bis zu elf Prozent bis 2019. Ob man so etwas für Deutschland oder Europa braucht, spielt dabei nicht einmal eine Rolle: Wenn ich als Hersteller eh Elektroautos entwickeln und produzieren muss - für den wichtigsten Absatzmarkt -, dann kann ich die Technologie auch auf anderen Märkten einsetzen. Das wäre zumindest unternehmerisch sinnvoll. Die Hersteller werden also alles in allem durch den Vormarsch der Chinesen dazu gezwungen, in die E-Mobilität zu investieren und alltagstaugliche Modelle auf die Straßen zu bringen. Und das geschieht bereits: Laut Branchenverband VDA launchen die deutschen Autobauer bis 2020 mehr als 100 neue E-Modelle, inklusive Hybrid.

2017 wurde der Streetscooter der Post vorgestellt - und überraschte positiv. Wer oder was könnte die Überraschung 2018 sein?

Für mich war der Streetscooter das Auto des Jahres 2017 - nicht von der Qualität her, aber vom Konzept und weil es dafür einen wirtschaftlichen wie vor allem gesellschaftlichen Bedarf gab, den die Autoindustrie in ihrer alten PS-Denke nicht erkannt hat! Vereinfacht gesagt: Der Streetscooter ist der Tesla aus Deutschland!

Und 2018?

Wer oder was die Überraschung 2018 werden könnte, ist wirklich schwer zu sagen. Was für mich aber durchaus klar ist: Die Dieselfahrzeuge werden eine Renaissance erleben! Alle deutschen Hersteller haben ihre Dieselaggregate weiter verbessert und optimiert, was sie auch lukrativer für die Kunden macht. Unsinnige pauschale Fahrverbote wären allerdings der Tod. Darüber hinaus könnte das Thema E-Fuel überraschen, sprich etwa die Entwicklung synthetischen Diesels mit Hilfe von Wasser, CO2 und Elektrizität. Strom aus Wind und Photovoltaik, CO2 und Wasser haben wir im Übermaß. Aber momentan ist das nur ein Ökonomen-Traum beziehungsweise Zukunftsmusik.

Vielleicht ein Denkanstoß für die Politik?

Wer den Mut hat, aus der Atomkraft auszusteigen, sollte erst Recht den Mut haben, sauberen Diesel herzustellen und nicht eine erfolgreiche Industrie auf dem Ideologen-Schlachtfeld zu opfern. Die gesellschaftlichen Konsequenzen möchte ich dann nicht mehr erleben - werde ich auch nicht (lacht).

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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