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Interview mit Helmut Becker "Nur Opel kann Opel retten"

Für Opel gibt es nur eine überzeugende Lösung, wie Automobilexperte Helmut Becker betont. Belegschaft und Händler sollten die Mehrheit an dem Unternehmen bekommen, um dann Opel nach vorne zu bringen.
Becker, ehemaliger Chefvolkswirt von BMW, leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München.

telebörse.de: Seit Monaten erleben wir ein Gezerre um die Zukunft von Opel. Ein Ende ist nicht in Sicht. Wann wird die Karre aus dem Dreck gezogen?

Helmut Becker: Das kann noch dauern. Sicher ist allerdings, dass das passieren wird, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Nur müssen sich alle Beteiligten bewegen. Ohne Kompromissbereitschaft auf allen Seiten wird das nicht gehen.

Die Bundesregierung hat sich in eine schwierige Verhandlungsposition gebracht, als sie sich schnell auf den Automobilzulieferer Magna und die russische Sberbank festlegte. Das war keine gute Idee.

Nein, das war nicht sinnvoll und ziemlich unprofessionell. Es war ein Fehler, öffentlich für eine Seite Partei zu ergreifen. Immerhin sind an den Verhandlungen die US-Regierung und die russische Regierung beteiligt. Die in dem Bieterwettbewerb vorgelegten Angebote haben sich dem Papier nach nicht so stark unterschieden, dass eine solche Festlegung zwingend gewesen wäre. Das hätte eleganter und durch Sachkompetenz gelöst werden müssen.

Wie erklären Sie sich diese Festlegung auf Magna und die Sberbank? Hier wird ja ins Feld geführt, diese Bieter würden am wenigsten Arbeitsplätze abbauen?

Ich war 22 Jahre in der strategischen Planung eines großen deutschen Premium-Automobilherstellers tätig. Ich kann daher sagen, Papier ist geduldig. Alles was in den Bewerbungsunterlagen an Zahlen niedergelegt ist, hat eine geringe Halbwertszeit. Es sollte für einen Zuschlag also völlig unerheblich sein, ob der eine oder andere Bieter verspricht, weniger Arbeitsplätze abzubauen.

Warum?


Weil beide Planungen viel zu defensiv sind. Sowohl Magna und die Sberbank als auch der Finanzinvestor RHJ und GM schreiben den miserablen Zustand fort, in den GMalt Opel über dreißig Jahre hineingeführt hat; In keiner der Bewerbungsunterlagen steht, dass aus Opel ein erfolgreiches Unternehmen gemacht werden soll - und zwar auf seinen angestammten Märkten in Westeuropa. Keiner spricht davon, mehr zu produzieren und Marktanteile zu gewinnen. Statt dessen wird bestenfalls der status quo festgeschrieben. Bei allen ist nur die Rede von Kosteneinsparungen, Werksschließungen und Arbeitsplatzabbau.

Opel leidet derzeit auch unter Überkapazitäten?


Toyota drosselt seine Produktion deutlich, auch Peugeot, Fiat, ganz zu schweigen von BMW oder Daimler. Nirgendwo ist festgelegt, dass Opel die ganze Last der Kapazitätsanpassung tragen soll. Das Unternehmen baut mindestens gleichwertige Autos wie Renault, Peugeot, Ford oder Fiat. Am Markt sollte sich der Bessere durchsetzen. Wer am Ende des Tages - außer, GM, Ford, Chrysler und Toyota etc. - Kapazitäten abbauen muss, das wird sich noch herausstellen. Das entscheidet der Wettbewerb - nicht irgendwelche professoralen Experten oder Beratungsunternehmen.

Was hat Sie an dem Bieterverfahren noch gestört?


Dass keiner der Interessenten, vor allem die Politik und GM nicht, hat erkennen lassen, dass man Opel für sich genommen zum Erfolg zurückführen will. Opel hatte Anfang der 70er Jahre in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent. Heute sind es acht Prozent. Dazwischen liegen Welten. Opel alleine produzierte noch 1992 eine halbe Million Autos im Jahr, jetzt sind es nur noch halb so viele. Wenn ich Opel erfolgreich machen will, dann muss ich nach vorne blicken. Das heißt: Zurück in den Markt, mehr Autos produzieren und Marktanteile zurückgewinnen. Kurz: Mehr Mut! Ich muss in diesem Zusammenhang Chung Mong-koo, Vorstandsvorsitzender von Hyundai in Südkorea, zitieren, der vor kurzem gesagt hat: "Das Geschäftsklima ist hart, und der globale Wettbewerb wird schärfer. Wir müssen dem entgegentreten, in dem wir Kapazitäten aufbauen." Mit dieser Einstellung muss man heute am Automobilmarkt agieren - nicht mit den Gedanken darüber, wer am wenigsten Arbeitsplätze abbaut!

W äre für Opel eine Partnerschaft mit einem Premiumhersteller sinnvoll?


Ja, das wäre eine Möglichkeit. Aber es gibt eine andere Möglichkeit, die ich bevorzuge. Opel kann nur durch Opel gerettet werden. Es gibt keinen Anbieter, der in der Lage ist, so gut für Opel einzustehen wie die Opelaner selber und ihre Händler. Es wäre gut, wenn Belegschaft und Händler die Mehrheit an dem Unternehmen übernommen hätten, um dann auf dieser Basis Opel nach vorne zu bringen. Das größte Interesse an einem Erfolg von Opel haben nämlich die Opelaner.

Will GM Opel überhaupt verkaufen?


Durch das Ende der Insolvenz hat sich strategisch viel verändert. Das hat die Bundesregierung noch nicht realisiert. Das neue GM hat im Grunde zwar die gleichen Strukturen wie das alte GM. Intern hat sich nichts geändert, auch die Produktpalette ist die alte. Der Konzern ist allerdings nur noch halb so groß wie früher, und er ist vor allem schuldenfrei. Eigentümer sind der Staat und die Gewerkschaften. Nun könnte der Konzern neu beginnen, aber das ist bloße Theorie, da die Strukturen gleich geblieben sind.
Nur eine Sache ermöglicht GM eine bessere Zukunft: Opel. Dort ist das Wissen vorhanden, dort finden sich Innovationen. Opel besitzt die grüne Technologie und Modellpalette der Zukunft. Ohne eine enge Bindung an Opel ist GM nach Aussagen von Detroiter Insidern nicht überlebensfähig. Der Staat könnte seine 50 Mrd.-Dollar-Hilfe abschreiben. Deshalb wird GM, besser die US-Regierung einen Teufel tun und sich nicht von Opel trennen.

Wird GM einen Einstieg eines Investoren akzeptieren?


GM muss daran interessiert sein, egal wie das Bieterverfahren ausgeht, dass Opel am Markt erfolgreich ist. Das bedeutet mehr Produktion, mehr Absatz, mehr Erträge. Höhere Gewinne kommen dann automatisch. In meiner Zeit als Chefvolkswirt bei BMW habe ich gelernt, dass man noch nie ein Unternehmen sanieren konnte, indem man nur Kosten senkt. Genau diese Buchhalter-Mentalität und Strategie des alten GM hat doch dazu geführt, dass man sich aus dem Markt katapultierte.
Ein Unternehmen wie Opel kann nur durch eine agressive Marktstrategie, mehr und bessere Produkte, die die Kunden wollen, zum Erfolg geführt werden. Marketing-Worthülsen sind kein Ersatz für überzeugende Automobile. Die Bundesregierung hätte an dieser Stelle ansetzen müssen und verlangen müssen, dass man Opel auf diese Art und Weise saniert.

Welche Lösung sollte die Bundesregierung anstreben?


Wir brauchen eine Entscheidung, die allen Beteiligten gerecht wird. Ich spreche von General Motors und der US-Administration, den Opel-Beschäftigten, der Bundesregierung und der russischen Regierung, bei der die Bundesregierung offenbar im Wort ist. Jeder sollte sich als Sieger fühlen. Da gibt es nur eine Lösung: Opel muss verselbständigt werden, ohne den GM-Verbund völlig zu lösen. Opel muss sich als selbstständiges Unternehmen neu aufstellen, es darf nicht mehr an Weisungen aus Detroit gebunden sein. Die Unternehmensführung sollte nach Rüsselsheim verlagert werden. Opel braucht keinen Vorstand, der nur als Marionette funktioniert. Opel braucht ein Management, das ein Unternehmen namens Opel führt.

Und General Motors?


Mit diesem Unternehmen kann GM so verbunden bleiben, dass der Konzern Zugriff auf das hat, was er beispielsweise an Technologie braucht. Außerdem können sich noch andere an Opel beteiligen. Ich denke da vor allem an Magna, das Unternehmen ist ein großer Automobilzulieferer Warum sollten die sich an Opel nicht beteiligen? Oder RHJI? Über Magna kommt dann durch die Sberbank auch die russische Seite ins Spiel. Ich könnte mir beispielsweise ein Joint-Vernture mit Opel vorstellen. Auch dann fließt Know-How nach Russland, allerdings ohne GM zu schädigen. In Russland könnten so die Grundlagen für den Aufbau einer eigenen Automobilindustrie geschaffen werden - unter Beteiligung von Opel.

Die Bundesregierung könnte auch zufrieden sein, weil hier eine marktwirtschaftliche Lösung gefunden wäre, die an eine Wiederbelebung von Opel durch Opel selber geknüpft wäre. Sie könnte ein solches Modell ruhigen Gewissens mit den versprochenen Milliardensummen unterstützen, sofern hier strategische Investoren mit langfristigen Interessen ins Boot geholt werden, die diese Anschubfinanzierung später auch wieder zurückzahlten. Berlin könnte damit Starthilfe geben und Opel zu einem selbstständigen Unternehmen machen. Es entstünde ein Automobilbauer, der nicht nur eine Marke ist, sondern hinter dem auch ein Unternehmen steht. Mit dieser Konstruktion und der Motivation von Belegschaft und Händlern wird es gelingen, Opel in den europäischen Markt zurückzuführen. Konkrete Pläne für all dies liegen vor!

Quelle: ntv.de, Mit Helmut Becker sprach Jan Gänger

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