Wirtschaft

Angst vor China-Schock "Müssen uns an weniger Dynamik gewöhnen"

Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten in China  sind vorbei. Es geht etwas langsam voran.

Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten in China sind vorbei. Es geht etwas langsam voran.

(Foto: Reuters)

Wenn China hustet, bekommt die Welt eine Grippe, heißt es. Ist das so? Die Finanz- und Rohstoffmärkte schlagen angesichts schwacher Konjunkturdaten auf jeden Fall schnell Kapriolen. Tatsache ist, dass die chinesische Volkswirtschaft mit einer Reihe von Problemen kämpft, die schrumpfenden Wachstumsraten sind nur eins davon. Darüber hinaus gibt es die notleidenden Kredite, das hohe Kreditvolumen der Schattenbanken, die Preisexzesse am Immobilienmarkt und die Umweltverschmutzung. Gibt es tatsächlich Anlass zur Sorge? Eigentlich nicht, denn China hat durchaus Möglichkeiten, seine Probleme auszugleichen, und zunächst passiert auch noch nichts, was andere Volkswirtschaften nicht ausgleichen könnten, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank.

n-tv.de: Was ist mit der Konjunkturlokomotive der Welt los? Die Exportzahlen und die Industrieproduktion bleiben hinter den Erwartungen zurück. China peilt 2014 erneut ein BIP-Wachstum von 7,5 Prozent an. Wie realistisch ist dieses Ziel?

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Holger Schmieding: Die chinesische Konjunkturlokomotive fährt etwas langsamer, ein Wachstum von knapp 7,5 Prozent ist aber weiterhin realistisch. Das Land orientiert sich langsam um. Es kann nicht mehr so schnell wachsen, es kann auch nicht mehr so stark auf Kosten der Umwelt wachsen. Das Land modernisiert sich. Es entwickelt sich weg von den überwiegend staatlich gelenkten Investitionen hin zu mehr privatem Verbrauch. Damit ist auch ein gewisser Verlust an Schwung verbunden. Es gibt aber bisher keine Anzeichen, die auf eine "harte Landung", auf eine Rezession in China, hindeuten würden.

Die jüngsten Konjunkturdaten sind also nicht alarmierend?

Die jüngsten Zahlen haben gezeigt, dass die Ausfuhren ins Stocken geraten sind, dass aber die Binnennachfrage noch mit relativ guten Raten wächst. Die Einfuhren sind in den vergangenen Monaten sogar wieder etwas dynamischer gewachsen. Die Einzelhandelsumsätze haben zwar ein wenig an Schwung verloren, wachsen aber immer noch mit Raten um die 11,5 Prozent. Das muss man betonen. Was wir in China sehen, ist eine Verlangsamung eines Wachstums, das aber weiterhin relativ hoch bleibt, auch gemessen an den Maßstäben anderer Schwellenländer. Also, China hat bisher keine Rezession in den Daten, dafür aber einen gewissen Verlust an Wachstumsdynamik. Das ist wichtig für die Welt, aber solange es keine harte Landung gibt, ist es für den Rest der Welt gut verkraftbar.

Warum wächst China langsamer?

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Wir sind lange Zeit durch ganz hohe Zuwachsraten in China verwöhnt worden. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von gut zehn Prozent gesehen. Das kann kein Land auf Dauer durchhalten. Das würde zu sehr auf Kosten der Umwelt gehen. Auch demografisch ist das in China nicht mehr möglich. Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter dort wächst nicht mehr. Zudem ist es schwieriger und teurer, das Binnenland zu entwickeln, als es war, die Küste zu entwickeln. Es gibt also viele Gründe, warum das Trendwachstum in China langsam an Schwung verliert. Aber, ob da jetzt 7,2 oder 7,4 Prozent für dieses Jahr stehen, ist nicht wesentlich. In Europa würden wir uns freuen, wenn da bei uns 1,2 oder 1,4 stehen würden. Wir werden mit einem etwas geringeren chinesischen Wachstumstempo durchaus zurechtkommen.

Vor fünf Jahren, als Europa in der Rezession steckte, wurde immer wieder die Frage gestellt, ob China die Weltwirtschaft retten könnte. Das konnte China nicht. Hätte es denn umgekehrt Folgen für Europa, wenn die Volksrepublik ihr Wachstumsziel unterschreitet?

China ist ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft. Das Land macht gute 12 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Welt aus. Das zählt. China hat vor fünf Jahren dazu beigetragen, die Welt zu stabilisieren. Aber China kann weder die Welt retten, noch würde eine chinesische Rezession die Welt aus den Angeln heben. Der Einfluss auf andere Länder ist immer da, aber er ist im Rahmen dessen, was andere Länder durch eigene Wirtschaftspolitik ausgleichen könnten. Sollte es in China - völlig wider Erwarten - doch zu einer harten Landung kommen, würde das heißen, dass die Notenbanken in den USA, in Europa und in vielen Schwellenländern in ihrer eigenen Politik expansiver werden müssten, um einen solchen China-Schock auszugleichen. Aber nochmals: Es sieht überhaupt nicht nach einem China-Schock aus.

Die Rohstoffmärkte gelten als guter Indikator für die wirtschaftliche Verfassung des Landes. China ist mittlerweile der größte Verbraucher von Rohstoffen weltweit. Zuletzt zeigten sich die Rohstoffmärkte nervös. Ist das ein schlechtes Zeichen?

Zunächst einmal, die Rohstoffmärkte können ein Frühindikator der gesamten Weltkonjunktur sein. Und China ist von besonderer Bedeutung für diese Märkte, weil das Wirtschaftswachstum dort besonders rohstoffintensiv ist. Also die Auswirkungen von einem etwas geringeren Wachstumstempo in China auf die Rohstoffmärkte dürften demnach wesentlich größer sein als auf die Weltkonjunktur. Hinzu kommt, dass wir jahrelang steigende beziehungsweise sehr hohe Rohstoffpreise hatten. Die Folge war, dass man auf der ganzen Welt nach neuen Rohstoffquellen gesucht hat. Deshalb haben wir jetzt ein steigendes Angebot. Gleichzeitig haben wir eine etwas nachlassende Wachstums- und Nachfragedynamik aus China. Die Rohstoffmärkte sind also zu Recht weit wackeliger als die Weltkonjunktur.

Von den Industriemetallen ist besonders Kupfer deutlich billiger geworden. Der Hauptgrund hierfür wird in der Entwicklung der Kreditmärkte in China gesehen. Beobachter gehen davon aus, dass 60 bis 80 Prozent der Kupferimporte der vergangenen Jahre auf Finanzierungsdeals zurückzuführen seien. Ist das richtig und könnte deshalb ein Crash drohen?

Das entzieht sich meiner Kenntnis. Generell gilt, dass Kupfer ein relativ sensitiver Rohstoff ist, der sehr stark reagiert, sowohl auf die Konjunktur, als auch auf Meldungen über das, was möglicherweise mit der chinesischen Nachfrage passieren könnte. Wie bei anderen Rohstoffen auch, gibt es bei Kupfer Lager- und Vorratshaltung. Und wenn man sich da mal vertut, also zu viel oder zu wenig Kupfer auf Vorrat gehalten hat, kann das Anpassen der Lagerhaltung dann die Preise für einige Zeit erheblich beeinflussen.

Wie wichtig ist das chinesische Wirtschaftswachstum für die deutsche Exportindustrie - vor allem für Branchen wie Auto und Maschinenbau?

China ist einer der größten Wachstumsmärkte der vergangenen 15 Jahre und damit auch sehr wichtig für die deutsche Wirtschaft. Autos werden vielfach bereits China produziert, allerdings kommt immer noch ein erheblicher Anteil  aus Deutschland und anderen Ländern. Neben dem Bereich Automobil ist China auch für den Maschinenbau sehr wichtig, ebenso wie andere Bereiche wie Spezialchemie. Allerdings reicht Chinas Bedeutung auch hier nicht an die von Großbritannien oder die der Vereinigten Staaten heran. Die großen entwickelten Länder sind weiterhin unsere größten Handelspartner.

Die Volksrepublik ist vergleichsweise wenig verschuldet. Sie sitzt auf einem riesigen Berg Devisen. Inwieweit kann Peking bei einer möglichen Konjunkturschwäche entgegensteuern?

Wir sind recht optimistisch für die chinesische Konjunktur, weil die chinesische Zentralbank alle Möglichkeiten haben würde, einer echten Konjunkturschwäche zu begegnen. China hat kaum Verschuldung im Ausland, die Verschuldung im Binnenland existiert, ist aber nicht besorgniserregend hoch. China hat eine sehr hohe Sparquote. Das heißt, es gibt jedes Jahr sehr viele Mittel, die neu für Investitionen eingesetzt werden können. Da müssen Zentralbank und Regierung nur relativ wenig an einigen Stellschrauben drehen und schon gibt es wieder ein höheres Wachstumstempo bei Investitionen, wenn man das denn möchte, um einer Konjunkturschwäche zu begegnen. Anders gesagt, China kann seine Konjunktur besser steuern, als andere Länder. Es ist dazu auch nicht auf Kapital aus dem Ausland angewiesen. Und weil es seine Konjunktur relativ gut steuern kann, ist die Wahrscheinlichkeit eines echten Konjunktureinbruchs recht gering. Dazu kommt, dass die Inflationsrate in China, zuletzt mit zwei Prozent, sehr niedrig ist. Und das gäbe der Zentralbank die Möglichkeit, notfalls rasch und entscheidend einzugreifen, um die Konjunktur zu stabilisieren, weil man nicht auf große Inflationsgefahren große Rücksicht nehmen muss. Diese Gefahren sind aktuell recht gering. 

Sorgen bereiten die Schattenbanken - hier hat sich eine riesige Kreditblase aufgebaut. Ist China unter dem Strich doch deutlich höher verschuldet als vielfach angenommen?

Schattenbanken sind in China ein interessantes Phänomen. Weil dort das Finanzsystem relativ stark reguliert ist, gibt es viele Versuche, diesen Regulierungen auszuweichen. Entsprechend haben wir ein großes Schattenbankensystem. Allerdings ist das, was an Schulden für dieses System genannt wird, gemessen an der chinesischen Wirtschaftsleistung, durchaus verkraftbar. Falls es mal erhebliche Lücken geben sollte, könnte China dies durch eigenes Geld oder sogar Devisenreserven, die es aufgehäuft hat, füllen. Anders gesagt: Das Schattenbankensystem hat sicherlich einige Aspekte, die problematisch sind, aber China hat aufgrund seiner Devisenreserven und aufgrund des Fleißes der Bevölkerung und der hohen Sparquote dieser Bevölkerung, die Möglichkeiten, mit diesen Problemen umzugehen. In Ländern, wo kaum gespart wird, ist es wesentlich schwieriger, mit kurzzeitigen Verlusten innerhalb des Finanzsystems umzugehen.

Wie schätzen Sie den Immobilienmarkt ein? Gibt es hier nur eine Preisblase in den Metropolen oder ist der gesamte Markt überbewertet?

Ich glaube nicht, dass der gesamte Immobilienmarkt überbewertet ist. China ist eine dynamisch wachsende Region, China hat weiterhin eine Bewegung der Bevölkerung vom Land in die Städte. Da ist einfach eine große Nachfrage nach Immobilien. Dass es da zu einzelnen Übertreibungen kommen kann, ist wahrscheinlich. Aber eine landesweite Immobilienblase, vergleichbar mit der Blase, die wir in den USA vor sieben Jahren hatten, oder in Spanien, Irland oder Großbritannien vor sieben Jahren, gibt es China wohl landesweit nicht.  

Mit Holger Schmieding sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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