Wirtschaft

Fiskalpakt nagt am Sozialsystem Europa lernt auf die harte Tour

Ein Paar in Portugal  läuft an einer Mauer mit dem Schriftzug "Für jeden neuen Reichen, ein neuer Armer" entlang.

Ein Paar in Portugal läuft an einer Mauer mit dem Schriftzug "Für jeden neuen Reichen, ein neuer Armer" entlang.

(Foto: REUTERS)

Um seine Schuldenberge abzutragen, hat sich Europa eine Rosskur auferlegt. Schuldenbremsen und scharfe Sanktionen sollen die Staaten zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen. Wachstumsimpulse? Fehlanzeige. Die Zeche für die Schuldenkrise zahlen die, die es am schlimmsten getroffen hat. Immer mehr bezweifeln, dass der Kontinent die Krise so bewältigen wird.

Oberste Priorität beim europäischen Schuldenmanagement hat die Konsolidierung der Staatshaushalte. Wachstumsimpulse bleiben Nebensache. Das bleibt nicht folgenlos. Die europäische Konjunktur befindet sich nicht auf dem Weg der Besserung, sondern sie geht schnurstracks in Richtung Rezession. Zwar zeigt sich, dass es in vielen Ländern mit dem Sparen vorangeht. Das Wachstum aber bleibt auf der Strecke - die Wirtschaften schrumpfen, die Arbeitslosenzahlen steigen.

Der EuGH bei der Einweihung des neuen Justizpalastes. In Zukunft der Begegnungsort bei Verstößen gegen den Defizitabbau.

Der EuGH bei der Einweihung des neuen Justizpalastes. In Zukunft der Begegnungsort bei Verstößen gegen den Defizitabbau.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Mit dem europäischen für mehr Haushaltsstabilität steht ein weiterer, vermeintlich großer europäischer Wurf bevor. Nachdem im Dezember 2011 25 EU-Staaten das Abkommen beschlossen und seit März eine Übergangsregelung in Kraft ist, muss der Pakt nun von den nationalen Regierungen ratifiziert werden. Bei der Vereinbarung handelt es sich im Kern um eine weitere Verschärfung des Stabilitätspaktes mit Schuldenbremsen. Ähnlich, wie sie beim sogenannten beschlossen wurden. Ziel ist es, dem Maastricht-Kriterien mehr "Biss" zu geben. Eine große Rolle spielen dabei Sanktionen. Ist der Fiskalpakt von den EU-Regierungen einmal umgesetzt worden, können die Partner Länder, die ihren Kurs beim Defizitabbau nicht einhalten, vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.

Ob es sinnvoll ist, reiche und arme Länder den gleichen Regularien zu unterwerfen und Staaten, die am Boden liegen, vor ein Gericht zu zerren, darüber lässt sich streiten. Befürworter sprechen von notwendiger Disziplinierung, die so bisher in den Verträgen nicht vorgesehen war. Kritiker dagegen halten diese Strategie für unnötig, wenn nicht gar für gefährlich. Statt in Europa Misstrauen zu schüren und sich gegenseitig Disziplinlosigkeit vorzuwerfen, würden sie es vorziehen, auf die Vernunft der Europäer zu bauen. Dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt bisher nur locker und ohne disziplinarische Maßnahmen umgesetzt worden sei, ist nach ihrer Überzeugung nicht zufällig so gewesen. Die Gegner des Fiskalpakts argumentieren, dass ausgeglichene Strukturhaushalte auch mit konstanten Schulden und steigenden Einkommen zu erreichen sind.

Wachstum über Steuern finanzieren 

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in Europa die Speerspritze für die strengen Regeln des europäischen Fiskalpaktes ist, muss sich in Deutschland mühen. Für das Gesetz ist eine Zweidrittel-Mehrheit im deutschen Parlament notwendig. Aber die Opposition blockt. Die SPD zieht die Ungerechtigkeitsbremse und weigert sich einen Blankoscheck auszustellen. Sozialdemokraten und Grüne wollen endlich Wachstumsimpulse sehen. Die werden jedoch Geld kosten, was wiederum nicht vorgesehen ist. Um die .

Fiskalpakt

Mit dem neuen Fiskalpakt wollen die EU-Staaten die Zügel bei der Kontrolle der Staatshaushalte und beim Schuldenabbau anziehen. Ziel ist es, das Vertrauen der Anleger in die Staatsfinanzen wiederzugewinnen und die Schuldenkrise zu überwinden. Die 17 Euro-Staaten und fast alle übrigen EU-Staaten haben den Pakt unterzeichnet. Außen vor blieben nur Großbritannien und Tschechien.

Kritiker des harten europäischen Konsolidierungskurses sind auf jeden Fall dafür. Wollen die Staaten sich auf Teufel komm raus nicht weiter verschulden, brauchen sie eine Gegenfinanzierung für die dringend notwendigen Ausgaben. Da bleiben eigentlich nur Steuererhöhungen. "Die Finanztransaktionssteuer wäre ein wunderbares Instrument, wie man auf europäischer Ebene Geld in die Kasse bekäme", sagt Achim Truger, steuer- und finanzpolitischer Experte des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung  (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Abgabe hätte den Charme, dass die Finanzmärkte, die die Krise mit ausgelöst haben, ihren Beitrag zur Lösung leisten würden. Die FDP sperrt sich bisher dagegen.

Rücksichtlose Konsolidierung allein, insbesondere in den Krisenländern, werde nicht funktionieren, warnen die Experten der Hans-Böckler-Stiftung. Um die europäische Schuldenkrise in den Griff zu bekommen, sei vielmehr eine "intelligente Strategie" und ein koordiniertes finanzpolitisches Vorgehen nötig. Gut fänden sie zum Beispiel, wenn sich Europa den Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und der riesigen Leistungsbilanzüberschüsse auf die Fahne schreiben würde. Deutschland sollte bei der Binnenwirtschaft und beim Import Gas geben, heißt es. Das würde den schwächeren Ländern helfen. Das setzt allerdings voraus, dass die Nachfrageseite gestärkt wird. Die Konsumenten brauchen mehr Geld im Portemonnaie. Defizite ausgerechnet jetzt abzubauen, halten die Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik für nicht sinnvoll.

Die Zeche zahlen die Schwachen

Wie dringend nötig die schwächsten Euroländer Wachstumsimpulse brauchen, lässt sich unschwer an den schrumpfenden BIP-Zahlen ablesen. Die größten Probleme hat Griechenland. Seiner Wirtschaft steht in diesem Jahr das vierte Horrorjahr in Folge bevor. Das BIP dürfte sich nach Berechnungen der griechischen Notenbank erneut um 4,5 Prozent verringern. 2011 war die Wirtschaft um fast sieben Prozent eingebrochen. Leicht aufwärts gehen soll es ab 2014. Das wären dann sechs Jahre, die es gedauert hätte, nur um die Rezession zu stoppen. der schwere wirtschaftliche Einbruch hinterlässt auf dem Arbeitsmarkt deutliche Spuren. In diesem Jahr wird die Arbeitslosigkeit auf 22 Prozent steigen.

Ein Obdachlosen auf einer Einkaufsstraße in Florenz. Tragen die Europa-Politiker das Sozialstaatsmodell zu Grabe?

Ein Obdachlosen auf einer Einkaufsstraße in Florenz. Tragen die Europa-Politiker das Sozialstaatsmodell zu Grabe?

(Foto: Reuters)

und Italien mutieren zwar nach und nach von Nachhilfe- zu Musterschülern in Bezug auf Haushaltsdisziplin. Aber auch sie müssen die bittere Pille "Negativwachstum" schlucken. Besonders Portugal pfeift aus dem letzten Loch. Pimco-Chef Mohamed El-Erian sieht in in dem südeuropäischen Land bereits das nächste Griechenland. Für das Lob und die Anerkennung, die den Portugiesen von der europäischen Gemeinschaft gezollt werden, können sie sich leider nichts kaufen. Das Land, das am Finanztropf der internationalen Gemeinschaft hängt, kann sich lediglich damit trösten, dass die nächste Hilfstranche internationaler Geldgeber fließt. 

Krisen-Exodus in Portugal

Zigtausenden Portugiesen sind diese Aussichten zu trostlos. Portugal erlebt eine der größten Auswanderungswellen seiner Geschichte. Allein im vergangenen Jahr sahen 150.000 Menschen zu, dass sie irgendwo anders ihre Zukunft aufbauen können. In den vergangenen fünf Jahren sollen es eine halbe Million gewesen sein. Auf die Bevölkerung umgerechnet bedeutet das: Fast jeder 20. der 10,5 Millionen Portugiesen hat seine Heimat verlassen.

Dass die zurückfällt, ist mittlerweile Konsens. Unter dem strikten Sparregime wieder auf die Beine zu kommen, dürfte gerade für die schwächeren Euroländer schwierig werden. Allenthalben sitzen ihre Regierungen zwischen den Stühlen. Sie müssen sparen, sollen aber trotzdem positive Impulse für Wirtschaftswachstum setzen. Dabei lässt die Etatlage ihnen keine großen Spielräume. Der Schuh drückt überall. 

Konjunkturoptimisten wie der ehemalige Wirtschaftsweise haben den hoffnungsvollen Begriff der Konsolidierungsrezession für dieses wirtschaftliche Tal der Tränen erfunden. Schöne Worte verhindern nicht, dass den Regierungen und ihren Bürgern in der Schuldenkrise immens viel abverlangt wird. Die europäischen Schuldenbremsen könnten diese Situation noch verschärfen.

"Ein pathologischer Lernprozess"

IMK-Experte Truger bezweifelt, dass die EU-Staaten unter diesen Bedingungen die Regierungen dazu zwingen können, genaue Defizitvorgaben einzuhalten. Er denkt, dass dieser Versuch schief geht. Es werde einen weiteren schmerzhaften Anpassungsprozess geben. "Wenn nicht von irgendwo sonst ein Riesen-Aufschwung kommt, spart Europa sich immer tiefer in die Krise." Am Ende bliebe nichts anderes übrig, als wieder Ausnahmeregeln zuzulassen, so wie es auch beim Maastricht-Vertrag gewesen sei. Das Ganze sei ein "pathologischer Lernprozess, aber man versucht es halt nochmal".

Auf diesem Weg werde sehr viel zerstört, gibt Truger zu bedenken. Realistisch gesehen müsste man fast sagen, dass in den Ländern, die es besonders hart trifft, das europäische Sozialstaatsmodell geopfert werde, um am Ende wahrscheinlich einzusehen, dass es trotzdem nicht geklappt habe.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble sagte kürzlich einmal auf den Vorwurf, dass diese Krise bereits die nächste Krise in sich berge, die europäischen Bündnisse seien nicht als Programm zur Effizienzsteigerung, sondern als friedensstiftende Maßnahme erfunden worden. Man lerne Schritt für Schritt.

Quelle: ntv.de

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