Wirtschaft

Die Welt im Bann der Börse Warum die Kurse verrücktspielen

Experten halten den Atem an: Die Kurse geben nach.

Experten halten den Atem an: Die Kurse geben nach.

(Foto: AP)

Die Welt taumelt von einer Krise in die nächste: Die Schuldensorgen eskalieren, rund um den Erdball brechen die Aktienkurse ein. Im Dax erleben Anleger und unbeteiligte Beobachter eine beispiellose Achterbahnfahrt. Was ist an den Börsen los? Wie hängt das alles zusammen?

Schon wieder starrt die Welt wie hypnotisiert auf die Ereignisse an den Märkten. Geht es wieder los? Ist das der Beginn der nächsten großen Krise? Um zu verstehen, warum Notenbanker wie Getriebene wirken, Börsenprofis nervös werden und Spitzenpolitiker jeder Zuckung an den Märkten folgen, lohnt ein kurzer Blick zurück auf die Entwicklung. Wie konnte es so weit kommen?

Die Finanzwelt ist in heller Aufregung: Betrifft das auch den "kleinen Mann"?

Die Finanzwelt ist in heller Aufregung: Betrifft das auch den "kleinen Mann"?

(Foto: REUTERS)

Seit dem Zusammenbruch der Wall-Street-Legende Lehman Brothers im Herbst 2008 bemühen sich die Staats- und Regierungschefs, die Auswirkungen einer scheinbar entfesselten Finanzwelt zu beherrschen. Dabei sind nicht die Börsen selbst das Problem - die Welt insgesamt ist enger, schneller und komplizierter geworden. Die Kurse zeichnen nur wie ein Seismograph bei einem Erdbeben die Erschütterung auf.

Es sind die Anzeichen epochaler Umwälzungen: Die alten Machtverhältnisse geraten aus dem Gleichgewicht. In Sekundenbruchteilen fliegen Informationen um die Welt, und mit ihr der Mut, das Geld und die Nervosität der Anleger. Das Problem: Weltumspannende Herausforderungen wie Klimawandel, demografische Entwicklung und begrenzte Ressourcen erhöhen den Druck. Die staatlichen Schuldenberge zwingen die Politik zum Handeln: Die Staatsverschuldung in den Industriestaaten kettet den griechischen Ministerpräsidenten ebenso an die Märkte wie den Präsidenten der USA.

Wer oder was sind "die Märkte"?

Solange die Wirtschaft brummt, gerät die Gesamtverschuldung leicht in Vergessenheit. Wachstum lässt sich allerdings nicht ewig mit Krediten finanzieren. Ab einem gewissen Punkt stellen die Gläubiger, also die Besitzer von Staatsanleihen, Fragen. Genau das ist jetzt bei den stark verschuldeten Staaten geschehen. Dann bestimmen plötzlich die Märkte die politische Agenda.

Seit Tagen rutschen die Aktienkurse.

Seit Tagen rutschen die Aktienkurse.

(Foto: dapd)

Doch wer genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? Wenn im Zusammenhang mit der Schuldenkrise von "den Märkten" die Rede ist, bezieht sich das in der Regel auf drei verschiedene Bereiche der Weltwirtschaft: den Aktienhandel, den Handel mit Devisen und den Markt für Staatsanleihen. Diese drei Bereiche bilden einen Teil der Öffentlichkeit, in dem sich die Politik mit ihren Entscheidungen bewegt.

Der Markt für Staatsanleihen steht der Politik dabei unmittelbar gegenüber: Der Bond-Markt, wie der Handel mit staatlichen Schuldverschreibungen auch genannt wird, nimmt staatliche Schuldtitel auf und vermittelt zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern. Der Staat bittet um Kredit. Damit die Geldgeber bei den Anleihen zugreifen, muss er ausreichend hohe Zinsen bieten.

Anleihen kann im Prinzip jeder kaufen, auch der kleine Privatmann kann in Staatsschulden investieren. Die großen Summen werden allerdings von den sogenannten institutionellen Investoren gehalten. Das sind zum Beispiel Pensionsfonds, Versicherungen oder Banken, die ihre Rücklagen in Staatsanleihen anlegen. Warum sie das machen? Staatsanleihen sind weniger riskant als Unternehmensanleihen, und bei Weitem weniger beweglich als die Aktien oder andere Anlageformen. Deshalb lagern hier gewaltige Mengen an Geld. Deshalb auch müssen Regierungen mit ihren Geldgebern kommunizieren. Das gilt insbesondere dann, wenn das Vertrauen erschüttert sein sollte.

Kurseinbrüche von Moskau bis Athen: Scheitert die alte Welt?

Kurseinbrüche von Moskau bis Athen: Scheitert die alte Welt?

(Foto: REUTERS)

Der Devisenmarkt reagiert dagegen weniger direkt auf politische Entscheidungen. Er spiegelt als Handelsplatz für Währungsgeschäfte die Summe der Einschätzungen aller Marktteilnehmer wider. Im Verhältnis von Währungspaaren wie zum Beispiel US-Dollar und Euro lassen sich hier eher wirtschaftliche Tendenzen ablesen. Die Kurse von Euro, Yen oder Dollar zeigen, in welche Weltregionen sich wirtschaftliche Stärken verlagern. Das Ergebnis hat für viele Menschen ganz praktische Auswirkungen, zum Beispiel wenn sie eine USA-Reise planen, ihr Gehalt aus dem Ausland beziehen oder Kredite in Fremdwährungen bedienen müssen. Auch Unternehmen sind betroffen: Sie müssen zum Beispiel Treibstoff zu Dollar-Preisen kaufen oder Geschäftserlöse in die eigene Währung umrechnen.

Der Aktienmarkt schließlich ist der beweglichste Anzeiger für Trends und  Perspektiven. Aktienkurse sind ein Spiegelbild der Gewinne, die Investoren einem Unternehmen zutrauen. Hat ein Unternehmen in einem Jahr gut gewirtschaftet und einen ordentlichen Gewinn erzielt, dann freut das den Anleger, denn in aller Regel wird er mit einer Dividende an dem Gewinn beteiligt. Die Bilanz ist dagegen lediglich ein Blick in den Rückspiegel. Für den Aktienkurs und damit den Börsenwert des gesamten Unternehmens ist viel wichtiger, wie erfolgreich das Unternehmen in der Zukunft sein wird. Kann die Deutsche Bank wieder mit einer Rekordrendite glänzen? Klingeln bei Eon auch in den kommenden Jahren die Kassen? Brummen die Geschäfte bei BMW weiterhin so stark? Jeder Anleger, der sich an einem Unternehmen beteiligt, sucht Antworten auf diese Fragen. Denn steigen die Gewinne, mehrt das den Wert des Unternehmens – drohen hingegen Rückschläge oder gar Verluste, wirkt sich das negativ auf den Aktienkurs aus. Kurz: Die Börse handelt Zukunft.

Woher kommt die Nervosität?

Die Schuldenprobleme in der Eurozone begleiten die Märkte schließlich schon seit mehr als einem Jahr. Warum ist das latent schwellende Gemisch aus Finanz- und Schuldenkrise plötzlich akut? Eine Antwort: Im Sommer 2011 verwandelten sich mit dem zögerlichen Krisenmanagement der Europäer vage Planspiele zu brennender Sorge: Steht das Experiment Gemeinschaftswährung vor dem Scheitern? Wenn das zuträfe, dann stünde die Welt vor einer weitaus brutaleren Veränderung als während der Lehman-Krise.

Wer wird sich als Gewinner erweisen?

Wer wird sich als Gewinner erweisen?

(Foto: AP)

Der große Euro-Gipfel vom 21. Juli sollte schließlich Gewissheit bringen: Griechenland wird um jeden Preis gerettet, hieß es, ein dauerhafter, erweiterter Krisenfonds könne kommen. Die Parlamente in den Mitgliedsstaaten mussten den Plan nur noch durchwinken. Doch noch bevor das geschehen konnte, sorgte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso mit einem Vorstoß für Wirbel. Er dachte laut über eine womöglich erforderliche Aufstockung des Krisenfonds nach. Damit rückte Italien voll in den Mittelpunkt der Krise. Regierungschef Silvio Berlusconi warb vergangene Woche mit eher halbherzigen Sparmaßnahmen um das Vertrauen. Vergeblich, sie zweifelten weiter. Hektische Telefonate zwischen Paris, Brüssel, Frankfurt, Rom und dem Urlaubsort der Bundeskanzlerin in Südtirol folgten. Bis zum Abendessen am vergangenen Freitag ließ sich Berlusconi dann doch zu verschärften Sparmaßnahmen überreden - ein bislang einmaliger Vorgang.

Die europäische Hektik verhieß den Beobachtern des Spektakels nichts Gutes. Klar wurde: Die Euro-Krise ist noch lange nicht gelöst. Dann kam ein neuer Paukenschlag aus ganz anderer Richtung: Der Entzug der Top-Note für die USA. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) gab nach Handelsschluss an der Wall Street in Reaktion auf den Washingtoner Schuldenstreit die Herabstufung von "AAA" auf "AA+" bekannt: Die Schuldenkrise war - inmitten ohnehin schon extrem nervöser Aktienmärke - auf beiden Seiten des Atlantiks voll entbrannt. Abermals eine vollkommen neue Situation, nur dass die Investoren diesmal mit ihrer Reaktion bis zur Börseneröffnung am Montag warten mussten.

Warum ist die Ratingnote so wichtig?

Die Bonität eines Staates misst sich an seiner Fähigkeit, aufgenommene Schulden pünktlich und in voller Höhe zurückzuzahlen. Bislang galten die USA als Maßstab für beispielhafte Kreditwürdigkeit: Keine Staat ist stärker, keine Volkswirtschaft größer, kein Staatsanleihenmarkt besser bei Kasse als der US-amerikanische. Der Grund: Als mit Abstand wichtigste Wirtschaftsmacht stellen die USA die inoffizielle Weltleitwährung. Sie nehmen Schulden in eigener Währung auf. Ein Großteil des Welthandels notiert im Dollar. Investoren aus aller Welt halten US-Staatsanleihen als Stabilitätsgarant im Depot. Die Topnote der USA bildet den wichtigsten Fixpunkt im Koordinatensystem von Anlegern und Analysten. Wer sich bisher Begriffe wie Bonität oder "AAA" erklären ließ, bekam von Profis bislang oft zu hören "zum Beispiel die USA". Noch vergeben zwei weitere Agenturen nach wie vor die Bestnote. Aber immerhin, der Ruf der USA ist erheblich angekratzt.

Ist das noch die alte oder schon die neue Krise?

Ist das noch die alte oder schon die neue Krise?

(Foto: REUTERS)

Die Ratingnote hat großen Einfluss auf die Kreditbedingungen am Markt für Staatsanleihen. Das gilt für private Unternehmen ebenso wie für Staaten. Wer sich Geld leihen will, muss mit einem bestimmten Aufschlag auf die Kreditsumme rechnen, dem Kreditzins. Je größer das Ausfallrisiko, desto stärker der Risikoaufschlag. Der Unterschied von "AAA" zu "AA+" ist dünn, bei einem Gesamtvolumen von rund 14.300 Milliarden Dollar Schulden fällt allerdings jeder Bruchteil schmerzhaft ins Gewicht. Auch die Bundesregierung würde es empfindlich zu spüren bekommen, sollte die deutsche Ratingnote jemals wackeln. Schon jetzt fressen die Zinslasten einen nicht geringen Teil der Steuereinnahmen auf - und das nicht nur in Griechenland, Japan oder den USA, sondern mit wenigen Ausnahmen in nahezu allen Industrienationen der Welt. Mit dem Tabubruch von S&P wird ein grundlegendes Problem virulent. Jetzt könnte es jeden treffen, auch Frankreich oder Deutschland.

Warum rutschen die Aktienkurse ab?

Unter dem Druck der Ereignisse haben die meisten der 30 größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands innerhalb weniger Handelstage mehr als 10 Prozent an Wert verloren, manche sogar ein Viertel und mehr. Der Dax verlor binnen einer Woche knapp 13 Prozent. An den Börsen in Madrid, Mailand, Moskau oder Athen sah es nicht besser aus. Nicht wenige Beobachter sprachen von Angst und Panik, von einem Herdentrieb ohne Sinn und Verstand. Milliardenwerte stehen auf dem Spiel: Wenn zum Beispiel eine Aktie wie die von Volkswagen um 2 Prozent fällt, geht damit ein Börsenwert von rund einer Milliarde Euro verloren. Ist das noch angemessen?

Staaten am Limit: Kein Geld mehr für Rettungsaktionen?

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(Foto: dpa)

Ein Blick auf die Details zeigt: Besonders stark haben die sogenannten zyklischen Werte verloren, also all jene Unternehmen, die besonders stark von der Konjunkturentwicklung abhängig sind. Das sind vor allem Auto- und Lkw-Anbieter, Stahl- und Chemiekonzerne oder Unternehmen aus dem Technologiebereich. Diese Entwicklung ist kein Zufall, denn mit ihr verbindet sich die große Sorge vor einer starken Eintrübung der weltweiten Wirtschaftsentwicklung. Brummt die Weltwirtschaft, dann wächst die Nachfrage nach den Produkten und Diensten zyklischer Unternehmen viel stärker als etwa von einem Pharmaunternehmen oder einem Hersteller von Haushaltsprodukten. Im Umkehrschluss drohen Zyklikern in Krisenzeiten deutlich stärkere Einbußen als den sogenannten defensiven Werten.

Wenn die Aktienkurse auf breiter Front tief in den Keller rauschen, ist das oft ein Vorbote für eine Abkühlung der Konjunktur. Die großen Börsencrashs der vergangen Jahrzehnte haben das eindrucksvoll belegt. Deshalb schauen nicht nur Anleger, sondern die ganze Welt gebannt auf die Entwicklungen an den internationalen Börsenplätzen. Mit einem Kursrutsch droht nicht nur Aktionären ein herber Verlust in ihrem Aktiendepot. Viel wichtiger sind die Signale, die dieser Kurssturz für die Wirtschaftsentwicklung gibt.

Bleibt eine Supermacht automatisch für immer eine Supermacht?

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(Foto: dpa)

Und genau diese Überlegungen stecken hinter der aktuellen Achterbahnfahrt im Dax. Die Masse der Anleger fürchtet offenbar, dass sich die Schuldenprobleme in den USA und Europa dämpfend auf die Weltkonjunktur auswirken. Der Teufelskreis könnte dabei ähnlich beginnen wie nach der großen Finanzkrise von 2008: Erst leiden die Banken, dann die Realwirtschaft. Nur, dass es diesmal keine Reserven für konjunkturstimulierende Staatshilfe gibt. Die Staaten sind am Limit. Die Steuerzähler sind es längst. 

Wenn der deutsche Aktienmarkt binnen weniger Tage um ein sattes Viertel einbricht, dann steckt darin sicherlich auch eine gehörige Portion negativer Übertreibung. Denn noch ist offen, ob die Schuldenkrise tatsächlich zu einem globalen Konjunkturabschwung führt oder ob die Weltwirtschaft noch einmal mit einem blauen Auge davonkommt. Was bleibt, sind Indikatoren, Theorien und Prognosen. Und eine ganze Reihe ungelöster Probleme.

Quelle: ntv.de

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