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Survival of the Fittest Oder: Darwin und die Automobilindustrie

Die Automobilkrise ist vorbei und deutsche Hersteller vermelden Monat für Monat Rekordabsatzzahlen. Aber warum sind gerade Autos "made in Germany" derzeit weltweit das "Maß aller Dinge"? Für Autoexperte Helmut Becker liegt der Schlüssel in der Theorie von Charles Darwin.

Jede Zeit hat ihre Marktführer.

Jede Zeit hat ihre Marktführer.

(Foto: Reuters)

Hört man Charles Darwin, denkt man an die biologische Evolutionstheorie und den Leitsatz: "Survival of the Fittest". Nur der Fitteste und Stärkste, der sich am besten an seine Umwelt Anpassende, kann sich im immerwährenden Kampf ums Dasein ("Struggle for Life") erfolgreich vermehren, ist also überlebensfähig. Dieses naturwissenschaftliche Grundgesetz ist mehrfach bereits auf ökonomische Zusammenhänge übertragen worden. Helmut Becker, Diplom-Volkswirt und Automobilexperte, versucht "Darwins Gesetz in der Automobilindustrie" anzuwenden - in seinem gleichnamigen Buch - und dabei aufzuzeigen, "warum deutsche Hersteller zu den Gewinnern zählen".

Becker liefert dabei fundiert und mit Fachkenntnis aufbereitet eine Darstellung der derzeitigen Lage der weltweiten Automobilindustrie in ihrer Gesamtheit. Er vergleicht einzelne Absatzmärkte miteinander und zeigt die Stärken und Schwächen der größten Hersteller auf. Er geht dabei auch auf die strategischen Fehler der Vergangenheit ein, sei es die "Hochzeit im Himmel" zwischen Daimler und Chrysler oder der Kauf des chronischen Verlustbringers Seat statt Alfa Romeo durch den Volkswagen-Konzern.

Survival of the Fittest

Der Gründer und Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) greift dabei auf den so genannten IWK-Survival-Index zurück. Der vom IWK 2005 selbst entwickelte Index untersucht die zwölf großen noch eigenständigen Automobilhersteller hinsichtlich ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation und ihrer zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit. In die Bewertung fließen etwa „harte“ Kennzahlen wie Marktanteil, Absatz und Ergebnis ebenso ein wie "soft skills". Am Ende steht ein jährliches Ranking, welches die Wahrscheinlichkeit widerspiegeln soll, ob ein Konzern langfristig eigenständig am Markt überleben kann.  

Dr. Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

Dr. Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

Seit 2005 auf Platz eins rangiert Toyota. Es folgt seit 2006 auf Rang zwei Honda. Neue Nummer drei ist der Volkswagen-Konzern, der BMW auf Rang vier verdrängt. Daimler kann sich von Platz sechs auf Rang fünf verbessern. Es folgen Nissan, Hyundai, Fiat, Renault, Peugeot, Ford und GM. Deutsche Hersteller sind zwar in der Spitzengruppe vertreten, nach ganz oben hat es bislang (Datenbasis 2009) aber noch nicht gereicht.

Premium „made in Germany“

Aber der Automobilmarkt bewegt sich: Toyota büßt in dem IWK-Ranking zwar keinen Platz ein, muss aber nahezu jedes Jahr Punkte abgeben. Dagegen gewinnt VW deutlich dazu.  Ein besonderes Augenmerk schenkt Becker dann auch den deutschen Automobilherstellern in kurzen, aber prägnanten  Analysen. Seine Schlussfolgerung, dass der Großteil der deutschen Hersteller gestärkt aus der Krise hervorgeht, hinterfragt er noch einmal mit der Gegenüberstellung substanzieller Herausforderungen der kommenden Jahre. Die betreffen zwar die gesamte Branche, wer aber den Platz an der Sonne dauerhaft für sich einnehmen will, wie es die deutsche Automobilindustrie für sich in Anspruch nimmt, für den gelten sie ganz besonders.

Becker zufolge ist die deutsche Automobilindustrie die „Benchmark für den automobilen Rest der Welt“. Das liegt vor allem an den hier beheimateten so genannten Premiumherstellern Audi, BMW und Mercedes-Benz. 80 Prozent der jährlich im Weltmarkt abgesetzten Premiumfahrzeuge kommen aus Deutschland. Der Markt wächst aber nur noch in den so genannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) - Herausforderung Nummer eins. Gleichzeitig steht die Branche vor einem „Klimawechsel“ angesichts weiter steigender Rohstoff- und Energiekosten. Die deutsche Autoindustrie liegt mit ihren Fahrzeugen im weltweiten Vergleich - die USA einmal außen vor gelassen - am oberen Ende der CO2-Skala. Die Herausforderung E-Mobilität wird daher künftig noch wichtiger - auch wenn es international noch in den Kinderschuhen steckt. Hybridmodelle gibt es bereits, aber auch ihr Anteil an den gesamten Neuverkäufen ist momentan noch vernachlässigbar. Das dürfte sich aber künftig ändern.

"Go big or you’ll go away"?

Das Buch ist im Springer-Verlag erschienen und kostet 39,95 Euro.

Das Buch ist im Springer-Verlag erschienen und kostet 39,95 Euro.

Die größte Herausforderung für die deutschen Hersteller liegt aber in der strukturell schrumpfenden Rentabilität. Die Entwicklung neuer Antriebskonzepte, von Nischen oder Imageprodukten lässt die Kosten explodieren. Die Konzerngröße wird immer entscheidender: Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn sagt nicht umsonst: "Go big or you’ll go away." Eine Kooperation samt Überkreuzbeteiligung mit Daimler unterstreicht seine Aussage. Macht aber auch deutlich, dass die deutschen Hersteller wissen, wo die automobile Reise hingeht. Fusionen wie die "Hochzeit im Himmel", der dann eine Bruchlandung samt Milliardenkosten sowie fast das komplette Aus für den Stuttgarter Konzern folgten, wird es künftig kaum noch geben. Kooperationen werden das Salz in der automobilen Suppe sein.

Für den nötigen Pfeffer werden Becker zufolge die Zulieferer sorgen. Und auch hier ist Deutschland - wie bei den Premiumherstellern - technologischer Weltmarktführer. Was aber nicht allein an den großen und bekannten Unternehmen Bosch (drittgrößtes Familienunternehmen Deutschlands), Conti oder Schaeffler liegt sondern auch den mittelständisch geprägten Familienunternehmen der Branche wie Woco, Hella oder Brose zu verdanken ist.

Insiderwissen für alle

Die deutschen Zulieferer sind für Becker einer von zehn in seinem Buch geschilderten Gründen, warum die deutsche Automobilindustrie als Branche im Ganzen überleben kann, warum sie fit ist für den "Survival of the Fittest", für den "Struggle for Life". Auch die neun anderen Gründe sind nachvollziehbar und selbst für Branchenfremde oder volkswirtschaftliche Laien verständlich aufbereitet, sei es mit pointierten und griffigen Erklärungen oder mit anschaulichen Grafiken und Tabellen. Einzig die etwas zu häufig auftauchenden "!" stören den Lesefluss. Alles in allem ist Helmut Beckers "Darwins Gesetz in der Automobilindustrie - Warum deutsche Hersteller zu den Gewinnern zählen" kein Buch von einem Branchenexperten für andere Insider - sondern für die breite Öffentlichkeit.

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Quelle: ntv.de

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