Wirtschaft

Die Wirtschaft und der Oberst Im Zelt mit Gaddafi

Unterschätzter Geschäftspartner: Muammar al-Gaddafi

Unterschätzter Geschäftspartner: Muammar al-Gaddafi

(Foto: REUTERS)

Als Muammar al-Gaddafi dem Terrorismus abschwor, unterzeichnete der Westen gerne lukrative Deals in seinem Zelt. Sein schrilles Auftreten ließ ihn zum skurrilen, aber harmlosen alternden Herrscher schrumpfen. Die Brutalität, mit der er nun Proteste niedergeschlägt, spricht eine andere Sprache.

Es dauerte eine ganze Weile, bis das Ausland das gewaltsame Vorgehen der libyschen Regierung verurteilte, und als es soweit war, sprach aus den Worten der Schock darüber, die Lage so falsch eingeschätzt zu haben: "Die EU-Staaten haben mit Erschrecken und Empörung zur Kenntnis genommen, welche Gewaltexzesse es in einigen Ländern gibt, insbesondere gestern in Libyen", sagte etwa der deutsche Staatsminister im Außenministerium, Werner Hoyer.

Das Entsetzen dürfte vor allem den getöteten Demonstranten und der gefährdeten Bevölkerung Libyens gelten, aber eben auch der Möglichkeit, dass die Gewaltexzesse sich negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen mit dem ölreichen Opec-Mitglied auswirken könnten. Der Ölpreis sprang auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren, internationale Unternehmen, darunter auch Siemens und die BASF-Tochter Wintershall, flogen ihre Mitarbeiter aus.

Vom Schurken zum Geschäftspartner

Auch Bundeskanzler Schröder machte dem "Oberst" seine Aufwartung im Beduinenzelt.

Auch Bundeskanzler Schröder machte dem "Oberst" seine Aufwartung im Beduinenzelt.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Es war offenbar zu gut, um wahr zu sein: Nach drei Jahrzehnten mit geheimen Atomprogrammen und Kontakten zu Terrorgruppen in aller Welt, schwor Gaddafi 1999 dem Terrorismus ab und öffnete sein Land und sein Herz weit für den Westen. Dieser konnte den Lockrufen des Nomadensohnes nicht lange widerstehen. Nach einigen Entschädigungen für Attentate und Flugzeugentführungen lockerte USA 2004 seine Sanktionen, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder reiste nach Libyen und die EU hob das Waffenembargo auf. 2006 wurde das Land schließlich von der Liste der "Unterstützer des internationalen Terrorismus" gestrichen, ein Jahr später baute Frankreich in Libyen ein Atomkraftwerk.

"Die Änderung seiner Politik ist wirklich beachtenswert", erklärte Schröder im Jahr 2004, nach einem libyschen Staatsbankett im Beduinenzelt und der Besichtigung der Ölbohrungen der BASF-Tochter Wintershall. Eine gute Gelegenheit, um auch auf die großen Möglichkeiten für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Libyen hinzuweisen.

Tatsächlich gehört Libyen wegen der Ölvorkommen zu den reichsten Ländern Nordafrikas - die Arbeitslosigkeit von regional bis zu 30 Prozent, die unfreie Presse oder die fehlende Verfassung wurden zugunsten der wirtschaftlichen Überlegungen in Kauf genommen. Libyen wurde zum viertwichtigsten Öllieferanten Deutschlands und Deutschland umgekehrt der zweitwichtigste Handelspartner Libyens. Bis heute gehört Libyen zu den wenigen Ländern, aus denen der langjährige Exportweltmeister Deutschland mehr Waren bezieht als er dort absetzt.

Männer-Freundschaft: Silvio Berlusconi und Muammar al-Gaddafi

Männer-Freundschaft: Silvio Berlusconi und Muammar al-Gaddafi

(Foto: REUTERS)

Frankreich lud den libyschen Machthaber 2007 gleich nach Paris ein und unterzeichnete Verträge im Umfang von mehr als zehn Milliarden Euro. Präsident Sarkozy sagte Gaddafi unter anderem die Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung von Atomkraft zu und freute sich über den neuen Abnehmer von Airbus-Fliegern und Militärausrüstung. Dass der Staatsfonds "Libyan Investment Authority" lukrative Anlagemöglichkeiten im Westen, vor allem in Italien, suchte und fand, sollte allen recht sein.

Wer hat Angst vor Fantasieuniformen?

Überhaupt Italien: Hier entwickelte sich eine ganz besondere Freundschaft zwischen den Staatschefs Silvio Berlusconi und Muammar al-Gaddafi. Berlusconi hat angeblich den Begriff "Bunga Bunga" für wilde Partys nach "afrikanischem Vorbild" von Gaddafi übernommen und soll eine Liaison mit Gaddafis schöner Tochter Aisha, der "Claudia Schiffer der Wüste", gehabt haben. Bei diesem gutem Klima gedeihen auch die Wirtschaftsbeziehungen besonders gut: Italien bezieht Öl und Gas aus Libyen, Libyen wiederum hält Anteile an der Telecom Italia, dem Ölkonzern Eni und der Rüstungskonzern Finmeccanica.

Aisha Gaddafi wurde eine Affäre mit Silvio Berlusconi nachgesagt.

Aisha Gaddafi wurde eine Affäre mit Silvio Berlusconi nachgesagt.

(Foto: REUTERS)

Die Auftritte Gaddafis in Europa mitsamt Beduinenzelt und einem schon legendären Tross an schönen Frauen hatten aber neben den geschäftlichen Kontakten noch einen anderen Effekt: Der Westen verlor die Angst vor dem Despoten. Wer fürchtet sich schon im Ernst vor einem Mann, der sich 700 italienische Frauen bringen lässt, um ihnen die Schönheiten des Islams darzubieten? Der in der Öffentlichkeit gerne Fantasieuniformen trägt, bei Wutausbrüchen die Auflösung der Schweiz fordert und Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar eine "starke Persönlichkeit" bescheinigt, aber findet, dass die Politikerin "eher ein Mann als eine Frau" sei? All dies war eher amüsant als beängstigend.

Der "Clown" scherzt nicht

Für viele Libyer gibt es jedoch nichts Amüsantes an Muammar al-Gaddafi. Abgesehen von der hohen Arbeitslosenquote und der Armut in weiten Teilen der Bevölkerung fürchtete das Volk bislang Kritik am "Bruder Führer" zu üben, denn die zog Haft und Folter nach sich. Von den Arbeitsplätzen, die die ausländischen Firmen schufen, profitierten die Libyer nur zum Teil. Bei den gewaltsamen Protesten in Tripolis richtete sich die Wut entsprechend auch gegen ausländische Arbeiter.

Sollte er an der Macht bleiben, werden Gaddafi Sanktionen von Seiten der EU und den USA kaum stören, schließlich war er schon einmal jahrzehntelang ein Paria. Innenpolitisch könnte er bei seinen Anhängern sogar punkten, wenn der Westen ihn wieder fürchtet. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Öl-Multis wie BP, Eni oder Exxon Mobil das Land verlassen, sollten die Proteste scheitern, schließlich haben sie bereits Milliarden in den libyschen Öl-Sektor investiert.

Schrille Auftritte in Fantasieuniformen

Schrille Auftritte in Fantasieuniformen

(Foto: dpa)

Folgerichtig legt Gaddafi gegenüber der EU verbal noch zu, statt zurückzurudern. Gegenüber der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft drohte die libysche Regierung damit, die Kooperation bei der Abwehr illegaler Zuwanderer nach Europa zu beenden, wenn die EU weiterhin die Demonstranten unterstützen sollte. "Das ist eine unglaubliche Entgleisung, die Europäische Union darf sich nicht erpressen lassen", sagte Außen-Staatsminister Hoyer. Viel helfen wird der Aufruf wahrscheinlich nicht. Zum einen hat die EU Libyen bereits 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Flüchtlinge aus Afrika in Auffanglagern an der Küste vom Übersetzen nach Europa abzuhalten. Zum anderen dürfte allmählich die Erkenntnis durchsickern, dass man in den vergangenen Jahren Geschäfte mit einem gefährlichen Mann gemacht hat, der seine Macht nicht nur mit Fantasieuniformen beweisen will. 

Quelle: ntv.de

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