Wirtschaft

Sparen allein führt nicht aus der Krise Europa ist auf einem Auge blind

"Merkozy": Das Prinzip erhobener Zeigefinger.

"Merkozy": Das Prinzip erhobener Zeigefinger.

(Foto: REUTERS)

Mit einer Stabilitätsunion wollen allen voran Deutschland und Frankreich verhindern, dass die Staatsdefizite in Europa in Zukunft aus dem Ruder laufen. Dabei übersehen sie aber, dass sie allein mit Sparauflagen nicht aus der Krise kommen werden. Denn ohne neue Gewichte von Angebot und Nachfrage vergrößert die Währungsunion Tag für Tag ihre Misere.

Die Euro-Staaten brechen einen Rekord nach dem nächsten, doch nur wenigen von ihnen ist dabei zum Jubeln zumute. Während der Arbeitsmarkt in Deutschland brummt, die Verbraucher Geld mit vollen Händen ausgeben und auch die Exporte trotz Konjunktursorgen weiter wachsen, rutschen Europas südliche Sorgenstaaten immer tiefer in die Bredouille.

Mit jedem Tag, an dem die Schuldenkrise ungelöst bleibt, verstärken sich die Fliehkräfte und machen einen Ausweg immer schwieriger. Verbindliche Regeln gegen ausufernde Defizite sollen deshalb Europas Regierungen zu ihrem Glück zwingen: Sparen, bis das Vertrauen und das Wachstum zurückkehrt. Woher jedoch angesichts sinkender Ausgaben das Wachstum seine Schwungmasse erhalten soll, bleibt unbeantwortet. Wie drastisch aber schon jetzt die wirtschaftliche Entwicklung vor einem befürchteten neuerlichen Konjunktureinbruch auseinanderdriftet, zeigen die jüngsten Konjunkturdaten.

Deutschland kennt keine Krise

Noch nie waren in Deutschland seit Gründung der Währungsunion so wenige Menschen arbeitslos gemeldet wie derzeit. Im Jahresdurchschnitt suchten weniger als 3 Millionen Menschen eine Beschäftigung, die Arbeitslosenquote lag bei 7,1 Prozent. Die für Deutschlands Industrie so wichtigen Exporte stiegen im November um 2,5 Prozent und damit deutlich stärker als von Volkswirten erwartet. Unter dem Strich verkaufte Deutschland dabei Waren für rund 15 Milliarden Euro mehr als es im Ausland eingekauft hat.

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(Foto: dpa)

Auch die Verbraucher kennen keine Krise, im Gegenteil: Der Umsatz der deutschen Einzelhändler legte 2011 um knapp 3 Prozent zu. "Ein besseres Ergebnis hat es seit Einführung der gesamtdeutschen Statistik 1994 noch nicht gegeben", jubelte ein Mitarbeiter des Branchenverbands HDE.

Doch nicht nur der Blick in den Rückspiegel gefällt, auch die Perspektiven Deutschlands sind besser als im Rest der Eurozone. So erwartet etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für 2012 lediglich eine kleine Wachstumsdelle im ersten Halbjahr. Durch eine Erholung in der zweiten Jahreshälfte wird die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Konjunkturforscher daher immerhin ein Plus von 0,6 Prozent für sich verbuchen können, für das kommende Jahr rechnen sie wieder mit einem kräftigen Plus.

Auch unter Investoren ist der Glaube an die Finanzkraft Deutschlands groß. Seit geraumer Zeit verzichten Anleger mit dem Kauf deutscher Staatsanleihen auf den vollständigen Kaufkrafterhalt ihres Geldes, weil die Zinsen der so genannten "Bunds" oft unterhalb der Inflationsrate liegt. Für sie ist wichtiger, mit der sicheren Rückzahlung ihres Geldes rechnen zu können, als ihr Geld möglichst hoch verzinst anzulegen. Die Sorge vor größeren Verlusten bei anderen Staaten trieb Investoren jüngst sogar dazu, negative Renditen für deutsche Geldmarktpapiere zu akzeptieren - sie verschenken damit bewusst einen kleinen Teil ihres Geldes, quasi als Sicherheitsleistung.

Negativ-Rekorde

Im Süden Europas fallen die Rekorde deutlich trauriger aus: Griechenland kommt trotz großer Anstrengungen schlicht auf keinen grünen Zweig. Die Wirtschaftsleistung dürfte 2011 um mehr als 5,5 Prozent geschrumpft sein und wird auch in diesem Jahr auf Talfahrt bleiben. Angesichts der Rotstiftpolitik des Staates und der Wirtschaftskrise markierte die Arbeitslosenquote im dritten Quartal ein neues Rekordhoch von 17,7 Prozent. Der Internationale Währungsfonds attestierte dem Land sogar, aus eigener Kraft unfähig zu den nötigen Reformen zu sein. Doch nicht nur im Krisen-Vorzeigeland Griechenland ist die Hoffnung eine schwache Währung.

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(Foto: REUTERS)

Auch Spanien trägt deutliche Bissspuren der Schuldenkrise - und ein Antiserum ist nicht in Sicht. Jüngst zeigte sich, dass das Haushaltsloch noch deutlich tiefer ist als bislang angenommen. Gerade ins Amt gekommen, musste Wirtschaftsminister Luis de Guindos einräumen, dass das Defizit 2011 wohl eher in der Nähe von 8 Prozent der Wirtschaftsleistung ausfallen wird statt der angestrebten 6 Prozent - gar nicht zu reden vom offiziellen Maastricht-Ziel eines Defizits von maximal 3 Prozent.

Besonders bitter fällt die Bestandsaufnahme am spanischen Arbeitsmarkt aus. Ende 2011 waren nach Berechnungen des Arbeitsministeriums 4,4 Mio. Menschen arbeitslos gemeldet, so viele wie noch nie seit Beginn der monatlichen Arbeitsmarktstatistik 1996. Die nationale Statistikbehörde zählte  zuletzt eine Arbeitslosenquote von 21,5 Prozent, so hoch wie in keinem anderen Industrieland. Unter den jungen Spaniern ist beinahe jeder zweite ohne Arbeit.

Linke Tasche, rechte Tasche

Die Schuldenkrise hat Spanien damit so hart getroffen wie wenige andere Staaten Europas. Die Ursache dafür liegt jedoch keineswegs bei verschwenderischen Staatsausgaben, im Gegenteil: In den Jahren zwischen 2000 und 2007 senkte das Land seine Staatsverschuldung sogar deutlich von 60 auf 40 Prozent. Zum Fallstrick wurde dem Land jedoch eine sagenhafte Immobilienblase, mit deren Wachstumstempo die übrige Wirtschaft nicht stand halten konnte. Das Ergebnis sind wie in vielen anderen heutigen Krisenstaaten auch hohe Defizite in der Leistungsbilanz - und die führen unmittelbar in die Verschuldung.

Die Überschüsse starker Exportstaaten wie Deutschland führen unweigerlich zu Defiziten bei anderen Staaten, die mehr importieren als sie verkaufen. Auf Dauer können sich Länder solche Defizite nur dann leisten, wenn sie immer wieder Gläubiger finden, die ihnen das nötige Geld dafür geben. Die USA, die schon seit vielen Jahren das Problem eines großen Leistungsbilanzdefizits bei hoher Staatsverschuldung haben, schaffen das sehr erfolgreich. Doch wehe, die Geldquelle versiegt. Dann müssen Kredite zurückgezahlt werden, obwohl kein Geld dafür in Sicht ist - und dann stecken Staaten plötzlich in einer solch großen Misere wie heute Griechenland, Portugal, Italien oder Spanien.

Genau hier liegt die Crux von Merkozys Sparlogik: Bleiben die Wirtschaftsstrukturen wie sie sind, haben Defizitstaaten kaum Chancen, über Wasser zu kommen. Für Investitionen in staatliche Wachstumsimpulse haben sie wegen Sparauflagen kein Geld - und auf den Weltmärkten hat ihre Wirtschaft wegen ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit keine Chance auf Exportgeschäfte. Aus diesem Teufelskreis muss sich die Wirtschaft der Eurozone befreien. Daran haben gerade auch die Exportstaaten ein Interesse, da ihnen über kurz oder lang sonst die Abnehmer am langen Arm verhungern.

Zwanzig Jahre nach dem Vertrag von Maastricht haben Europas Staats- und Regierungschefs mit dem Weg in die Stabilitätsunion einen wichtigen Schritt in Richtung einer politischen Union gemacht. Das ist zwar zwanzig Jahre zu spät. Doch in ihrer akuten Not können die Euro-Staaten die richtige Richtung noch einschlagen und zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion finden. Reine Sparauflagen reichen dafür nicht.

Quelle: ntv.de

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