Wirtschaft

Verbote, Wettbewerb, Haftung Das soll die Ratingriesen bändigen

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(Foto: dpa)

Den drei großen US-Ratingagenturen soll es nach dem Willen der EU an den Kragen gehen. Ein Ratingverbot für Krisenstaaten ist zwar vom Tisch. Doch mit Zwangspausen, Vorwarnzeiten und einer Haftung für grobe Fehlurteile soll die Meinungshoheit über die Handelstische geknackt werden.

EU-Binnenmarktkommissar Barnier will seine Pläne zum Verbot von Ratings nicht endgültig begraben.

EU-Binnenmarktkommissar Barnier will seine Pläne zum Verbot von Ratings nicht endgültig begraben.

(Foto: REUTERS)

Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 stehen die Ratingagenturen am Pranger. Das blinde Vertrauen in ihre Benotung ist geschwunden, seit sie Ramschpapiere vom US-Immobilienmarkt mit Höchstnoten bewerteten. In der Schuldenkrise hagelt es Kritik, sie würden durch die Herabstufung von wackelnden Ländern die Krise noch verschärfen. Die EU-Kommission will die Macht der Ratingagenturen nun brechen. Allerdings verwässerte die Behörde ihre Vorschläge.

Warum sind Ratingagenturen so mächtig?

Sie bewerten vor allem eines: Ob ein Unternehmen oder ein Staat geliehenes Geld pünktlich und vollständig zurückzahlen kann. Davon hängt die Bonität des Schuldners ab, das heißt sein Ansehen bei den Gläubigern. Viele Finanzakteure richten sich danach, so dürfen Fonds und Versicherer oft nur Anleihen mit einem bestimmten Rating halten. Die Noten reichen von "AAA" bis "C" oder "D". Der Markt wird zu 90 Prozent von den drei überwiegend in den USA beheimateten Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch Ratings beherrscht.

Wie lautet der Vorwurf in der Euro-Krise?

Dass sie die Bonität von Ländern wie Griechenland, Irland oder Portugal zu schwach bewerten - und damit Öl ins Feuer gießen. Damit torpedieren sie nach Ansicht vieler EU-Politiker die milliardenschweren Hilfspakete der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds. Denn es ist ein Teufelskreis: Sinkt das Rating, wird es für ein Land teurer, sich Geld zu leihen - was wiederum aufs Rating drückt.

Die Agenturen sehen sich dagegen nur als Überbringer der schlechten Nachricht. Zudem verweisen sie darauf, dass Ratings lediglich Meinungen sind. Es sei jedem Marktteilnehmer selbst überlassen, ob er diesen folge oder nicht. "Ratings sind weder eine Garantie für die künftige Wertentwicklung einer Anlage noch dafür, dass es zu keinem Zahlungsausfall kommt", schreibt Standard & Poor's.

Warum gefährliche Ratings nicht einfach verbieten?

EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier plädiert tatsächlich dafür, dass die europäische Wertpapieraufsicht ESMA den Ratingagenturen notfalls vorübergehend verbieten kann, negative Urteile über Krisenländer zu fällen. Das Benotungsverbot sollte für Staaten unter Druck gelten, die internationale Kredite erhalten beziehungsweise über Hilfsprogramme verhandeln. Das wären derzeit Griechenland, Portugal und Irland. Mit diesem viel kritisierten Vorschlag konnte sich Barnier jedoch vorerst nicht durchsetzen. Er will aber nicht aufgeben und den Vorschlag zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf den Tisch bringen.

Wo sollen die Ketten angelegt werden?

Rotation: Bezahlt der Emittent einer Anleihe die Agentur wie üblich für das Rating, darf sie seine Produkte maximal drei Jahre lang bewerten. Die Frist kann kürzer sein, denn die Rotation ist auch fällig, wenn eine Agentur zehn aufeinander folgende Anleiheprodukte bewertet hat. Der leitende Analyst kann ein Produkt maximal vier Jahre beurteilen. Lässt sich der Emittent von zwei Agenturen bewerten, muss er nur eine davon nach drei Jahren wechseln, die zweite darf dann maximal sechs Jahre beauftragt werden. Diese kann aber dann erst wieder nach einer Karenzzeit von vier Jahren engagiert werden.

Unabhängigkeit: Ein großer Anteilseigner einer Agentur kann nicht zugleich eine größere Beteiligung an einer zweiten Agentur halten. Der Agenturbesitzer, zum Beispiel eine Bank, darf keine Beratungsleistungen an Unternehmen verkaufen, deren Produkte von der Agentur benotet werden. Eine Agentur darf auch nicht die Produkte eines Unternehmens bewerten, an dem einer ihrer großen Anteilseigner beteiligt ist.

Noten für Staatsanleihen: Die Bewertung staatlicher Emittenten muss künftig alle sechs Monate statt wie bisher einmal im Jahr aktualisiert werden. Die Einstufung darf nur außerhalb der Börsenhandelszeiten - mindestens eine Stunde vor Handelsbeginn - veröffentlicht werden und muss ausführlich begründet werden. Offen ist noch, ob die Bekanntgabe von Länderratings zeitweise ausgesetzt werden soll. Dieser Punkt könnte in den Beratungen von Parlament und Mitgliedstaaten über das Gesetz noch aufgenommen werden.

Strukturierte Produkte: Solche Papiere müssen von zwei Agenturen geratet werden. Die Emittenten komplexer Produkte müssen zudem mehr Informationen bereitstellen, damit die Anleger die Risiken besser einschätzen können.

Vorwarnzeit: Damit ein Emittent von einer Bewertung nicht kalt erwischt wird, muss er einen Arbeitstag im Voraus über die neue Benotung informiert werden. Bisher war die Vorwarnzeit zwölf Stunden, sodass die Nachricht außerhalb der Bürozeiten eintreffen konnte und kaum Zeit blieb, eine Stellungnahme vorzubereiten.

Kein blindes Vertrauen: Banken, Versicherungen oder Investmentfonds sollen sich künftig ein eigenes Urteil über die Kreditwürdigkeit von Emittenten bilden, statt sich blind auf die Ratings zu verlassen. Sowohl die Emittenten als auch die Agenturen müssen deshalb ausführlicher über die Produkte beziehungsweise die Bewertungsmethoden informieren.

Bezahlung: Die EU rüttelt anders als ursprünglich geplant nicht an dem Prinzip, dass der Emittent selbst für die Bewertung seiner Anleihen bezahlt. Doch darf sich der Preis nicht nach dem Ergebnis der Einstufung richten, um keinen falschen Anreiz zu einer zu wohlwollenden Beurteilung zu geben.

Und was ist mit der Haftung?

Erstmals sollen Investoren, die durch fehlerhafte Ratings Geld verloren haben, gegen die Bonitätswächter vor Gericht ziehen können, um Schadenersatz zu fordern. Dabei geht es um Urteile, die vorsätzlich oder durch "grobe Fahrlässigkeit" falsch sind. Aus Deutschland kommt Unterstützung. Nach einem Entschließungsantrag des Bundestages soll sich die Bundesregierung in der EU ebenfalls für eine zivilrechtliche Haftung der Agenturen und mehr Wettbewerb einsetzen.

Immer wieder geben Ratingagenturen mit fragwürdigen Bewertungen Anlass zur Kritik. Spitzennoten für hypothekenbesicherte Wertpapiere etwa gelten als ein wichtiger Auslöser für die Blase am US-Immobilienmarkt, die der Vorbote der Finanzkrise war. Doch auch die irrtümliche Ankündigung einer bevorstehenden Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs löste Unruhe und Kritik aus.

Kommt eine neue europäische Ratingagentur?

Nein. Die EU-Behörde hat darüber zwar nachgedacht, doch die Kosten wären mit bis zu einer halben Milliarde Euro öffentlichen Geldes erheblich. Barniers Credo lautet: "Was mich interessiert, ist, dass alle Agenturen reguliert werden." Aus Deutschland wirbt die Unternehmensberatung Roland Berger seit einem Jahr für die Gründung einer europäischen Ratingagentur - die von Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern getragen werden soll, welche rund 300 Mio. Euro Startkapital bereitstellen sollen. Der Start ist für das erste Quartal 2012 geplant.

Wann wird der Kommissions-Entwurf Gesetz?

Nicht vor Ende 2012. Dem Vorschlag müssen die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament noch zustimmen.

Quelle: ntv.de, nne/dpa/rts

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