Wirtschaft

Spitze Ohren an den Märkten Das sagen die Experten

Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Sibylle Kessal-Wulf, Monika Hermanns, Michael Gerhardt, Peter Huber, Andreas Voßkuhle (Vorsitz), Gertrude Lübbe-Wolff, Herbert Landau, und Peter Müller (v.l.).

Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Sibylle Kessal-Wulf, Monika Hermanns, Michael Gerhardt, Peter Huber, Andreas Voßkuhle (Vorsitz), Gertrude Lübbe-Wolff, Herbert Landau, und Peter Müller (v.l.).

(Foto: dpa)

Der Rettungskurs der Europäischen Zentralbank steht in Karlsruhe auf dem Prüfstand. Ökonomen und Staatsrechtler sind sich sicher: Wenn der Draghi-Plan vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert, drohen der Eurozone unabsehbare Konsequenzen.

Gerichtspräsident und Vorsitzender des Zweiten Senats: Andreas Voßkuhle eröffnet die mündliche Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm ESM und die Politik der EZB.

Gerichtspräsident und Vorsitzender des Zweiten Senats: Andreas Voßkuhle eröffnet die mündliche Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm ESM und die Politik der EZB.

(Foto: dpa)

Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat zu Beginn des entscheidenden Verfahrens über die Euro-Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) leise Zweifel an den Maßnahmen der Notenbank angedeutet. Der Beschluss der EZB, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen, werfe schwierigste Rechtsfragen auf, da die EZB alleine dem Recht der Europäischen Union verpflichtet sei, erklärte Voßkuhle zum Auftakt der zweitägigen Beratungen in Karlsruhe.

"Es ist ersichtlich, dass ein kritischer Unterton mitschwingt", kommentierte der Mannheimer Ökonomie-Professor Roland Vaubel Voßkuhles Eröffnungsrede. "Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es nicht auf die Motive bei dem Kaufprogramm ankommt. Damit ist die gesamte volkswirtschaftliche Diskussion vom Tisch gewischt." Das Gericht werde sich nicht mit ökonomischen Aspekten beschäftigen. Karlsruhe erhebe nicht den Anspruch, die Politik der EZB direkt am Grundgesetz zu prüfen, meinte Vaubel. "Es prüft lediglich, ob eine bestimmte Auslegung des Europa-Rechts, auf die sich die EZB beruft, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Damit wird es voraussichtlich auch keine Weiterleitung an den Europäischen Gerichtshof geben", erklärte er.

Das Gericht könnte darauf abstellen, mutmaßte der Wissenschaftler, dass "durch potenziell unbegrenzte Staatsanleihenkäufe auch unbegrenzte Risiken für den Bundeshaushalt entstehen könnten". Dies könne der Fall sein, wenn Anleihen im Besitz der EZB abgeschrieben werden müssten, weil die Schuldner nicht mehr zahlungsfähig sind. "Das hätte dann Auswirkungen auf den deutschen Zentralbankgewinn, und das wirkt sich wiederum auf den Bundeshaushalt aus. Also entstehen letztlich unbegrenzte Haushaltsrisiken für den Bundeshaushalt", erklärte Vaubel die Zusammenhänge.

Die EZB habe "eine gewissen Einhegung des Volumens" vorgenommen, indem sie ihr Ankaufprogramm auf Anleihen mit Laufzeit bis drei Jahren beschränkt. "Doch die Festlegung auf eine Fristigkeit kann keine unverrückbare Begrenzung festlegen", betonte Vaubel. "Denn durch neu emittierte Anleihen, die dann auch gehandelt werden, ist das Angebot beliebig vermehrbar. Ich könnte mir vorstellen, dass das Gericht sagen wird: Anleihenkäufe ja, aber die Menge muss begrenzt werden."

"Schwierigste Rechtsfragen"

Nach den Worten von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle könnten die Verfassungsrichter bei der Beurteilung der Rettungsmaßnahmen nur das deutsche Grundgesetz als Maßstab heranziehen. "Dieser Umstand wirft im Hinblick auf die Handlungen der Europäischen Zentralbank schwierigste Rechtsfragen auf, da die Europäische Zentralbank als Unionsorgan allein dem Unionsrecht verpflichtet ist", sagte Voßkuhle wörtlich. Deshalb werde zu klären sein, ob die EZB Kompetenzen in Anspruch nehme, die ihr nicht übertragen worden seien und die ihr von Verfassung wegen auch nicht hätten übertragen werden dürfen und inwiefern sich der einzelne Bürger darauf im Rahmen der Verfassungsbeschwerde berufen könne.

Outright Monetary Transactions (OMT)

Das sogenannte OMT-Programm trat im September 2012 auf Beschluss des EZB-Rats in Kraft. OMT steht für "Outright Monetary Transactions" ("geldpolitische Offenmarktgeschäfte").

Im Rahmen des OMT-Programms kann die EZB unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen bestimmter Euroländer in vorab nicht explizit begrenzter Höhe über den Sekundärmarkt aufkaufen.

Erklärtes Ziel ist es, "ernsthaften Störungen an einzelnen Anleihemärkten entgegenzuwirken und so die Voraussetzungen für das Funktionieren der geldpolitischen Transmission zu schaffen".

Bundesbank-Chef Weidmann lehnte die OMT im EZB-Rat wegen "ihrer Nähe zur verbotenen monetären Staatsfinanzierung und den mit ihr einhergehenden Folgen und Fehlanreizen" ab.

Damit die Wertpapierkäufe die Menge des umlaufenden Zentralbankgeldes nicht erhöhen, bietet die EZB zinsattraktive Einlagegeschäfte an. Auf diese Weise will die EZB dem Bankensystem Zentralbankgeld in Höhe des OMT-Volumens entziehen.

(Quelle: Bundesbank)

In anderen Teilen Europas wird die Verhandlung in Karlsruhe Beobachtern zufolge mit einer Mischung aus Belustigung und Ärger gesehen. Im Fall der jetzt anstehenden Beratungen dürfte - zumindest in Südeuropa - der Ärger überwiegen. Denn obwohl das Gericht der EZB keine direkten Vorschriften machen kann, hängt sein Urteil wie ein Damoklesschwert über dem Staatsanleihekaufprogramm OMT.

Bruch europäischen Rechts?

Die Meinungen, darüber, ob sich das Verfassungsgericht überhaupt mit solchen europäischen Themen befassen sollte, gehen auseinander. Der in London lehrende Europarechtler Gunnar Beck bejaht diese Frage: "Es geht um die Voraussetzungen, unter denen Befugnisse an die EU abgegeben werden. Überschreiten die EU-Institutionen diese Kompetenzen, liegt damit nicht nur ein Bruch des europäischen Rechts, sondern des deutschen Verfassungsrechts vor", sagte Beck.

Rechtsexperte Christoph Schalast, Professor an der Frankfurt School of Finance, hält die Klagen gegen das Anleihenkaufprogramm und andere Euro-Rettungsmaßnahmen dagegen für "größtenteils unbegründet": "Das ist der Versuch einer unzulässigen Verrechtlichung von Fragen, die demokratisch vom europäischen Gesetzgeber beziehungsweise vor dem EuGH verhandelt werden sollten", sagte er mit Blick auf die Verhandlung vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. "Es sollte einem zu denken geben, dass wieder mal alle ängstlich nach Karlsruhe blicken", fügte er hinzu.

Zur Not auch unbegrenzt

EZB-Chef Mario Draghi  hatte im vergangenen Herbst angekündigt, bei Bedarf zur Not auch unbegrenzt Staatsanleihen eines Euro-Landes aufzukaufen, um es von widrigen Bedingungen am Kapitalmarkt zu entlasten. Alleine die verbale Bereitschaftsbekundung ließ die Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen südeuropäischer Länder deutlich sinken.

Sollte das Bundesverfassungsgericht diesem Versprechen die Basis entzieht, indem es die Outright Monetary Transactions (OMT) für verfassungswidrig erklärt und der Bundesbank eine Mitwirkung untersagt, hätte dies mit Sicherheit starke Auswirkungen für Finanzmärkte und letztendlich auch für die Realwirtschaft. Befürworter der Euro-Rettungspolitik von EZB und Regierungen hoffen, dass die deutschen Verfassungsrichter das nicht aus den Augen verlieren werden. Die Gegner der Rettungspolitik dagegen setzen darauf, dass das Gericht hierauf keine Rücksicht nehmen wird.

Bundestag ausgehebelt?

Die zahlreichen Kläger in den insgesamt sieben Einzelverfahren sehen in dem sogenannten OMT-Progamm zum Ankauf von Staatsanleihen eine verbotene Finanzierung durch die Notenbank. Für die angekauften Anleihen müsse die Bundesregierung womöglich mit dreistelligen Milliardenbeträgen haften, argumentieren die Kläger. Dadurch werde das Haushaltsrecht des Bundestags ausgehebelt.

Allein die Ankündigung des bislang noch nicht aktiven Programms im September 2012 hat zur Beruhigung der Finanzmärkte uns sinkenden Zinsen für Staatsanleihen geführt. Die Kläger wollen trotzdem erreichen, dass das Gericht den Bundestag dazu verpflichtet, alles zu unterlassen, was der EZB für die Umsetzung des Ankaufprogramms helfen könnte.

Dies reicht nach Auffassung des deutschen Staatsrechtlers Karl Albrecht Schachtschneider notfalls bis hin zur Aufforderung, Deutschland zum Austritt aus der Eurozone zu verpflichten. Er und weitere Kläger seien vor Gericht gezogen, in der Hoffnung, "dass das Euro-Abenteuer nun zu Ende geführt" wird, sagte Schachtschneider.

An den Märkten spielte die Verhandlung in Karlsruhe am ersten Sitzungstag offensichtlich eine untergeordnete Rolle. In Frankfurt notierte der Leitindex Dax am Nachmittag nach schwachen Vorgaben aus Japan zeitweise bis zu 1,8 Prozent im Minus. Im Devisenhandel befassten sich Händler mehr mit dem geldpolitischen Kurs in den USA. Der Euro verteuerte sich in der Spitze bis auf 1,3291 Dollar nach 1,3256 Dollar im New Yorker Schlussgeschäft.

Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts

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