Wirtschaft

Heuschrecken drängen auf Rendite Wird ThyssenKrupp bald zerschlagen?

Der Machtkampf bei ThyssenKrupp geht nach dem Abgang von Konzernchef Hiesinger und Chefkontrolleur Lehner weiter. Hedgefonds wollen den Stahlriesen filetieren. Die Vertreter der Krupp-Erben sind allein zu schwach zur Gegenwehr.

Die Villa Hügel südlich von Essen ist mehr als nur ein Unternehmerwohnsitz. Mit 269 Zimmern thront das Anwesen der Familie Krupp über dem Ruhrtal. In den 1870er Jahren von Alfried Krupp errichtet, war die Villa schon damals ein Symbol der Industrialisierung und ein Machtzentrum der deutschen Wirtschaft zugleich. Noch heute hat hier die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die die größte Aktionärin des Industriekonzerns ThyssenKrupp ist, ihren Sitz.

Die Villa Hügel in Essen ist der ehemalige Wohn- und Repräsentationssitz der Familie Krupp.

Die Villa Hügel in Essen ist der ehemalige Wohn- und Repräsentationssitz der Familie Krupp.

(Foto: picture alliance / Matthias Balk)

So herrschaftlich das Anwesen auch heute noch anmuten mag, über die Jahre hat die Krupp-Stiftung viel Macht eingebüßt. Nach dem Tod der letzten Krupp-Erben wurde sie 1967 geschaffen, um als Bollwerk gegen Übernahmen die Einheit des Traditionskonzerns zu wahren, so wie es sich seine Gründer gewünscht haben. Doch ihre Sperrminorität, mit der sie existenzbedrohende Strategiewechsel verhindern konnte, hat sie inzwischen verloren. Bei der Kapitalerhöhung, die ThyssenKrupp wegen Korruptionskandalen, Kartellstrafen und Managementfehlern wie dem Milliarden-Desaster um das Stahlwerk in Brasilien nötig hatte, konnte sie nicht mitziehen. Heute ist sie mit 21 Prozent zwar noch größter Aktionär, doch der schwedische Finanzinvestor Cevian und der US-Hedgefonds Elliott Management sind mit gemeinsam rund 20 Prozent fast ebenso einflussreich.

Durch den Machtverlust der Stiftung ist ThyssenKrupp in die Existenzkrise geschlittert. Die Rücktritte von Vorstandschef Heinrich Hiesinger und Chefkontrolleur Ulrich Lehner haben den Richtungsstreit zwischen Aktionären und der Führungsetage in den vergangenen Tagen auf dramatische Weise offengelegt. Bei ThyssenKrupp geht seitdem die Angst vor einer Zerschlagung um. Denn die Hedgefonds wollen Kasse machen und dafür größere Teile des Konzerns verkaufen. Die Stiftung soll das verhindern. Doch ohne Hilfe weiterer Aktionäre ist sie dafür inzwischen zu schwach. Bestenfalls dürfte der Konflikt den Konzern noch einige Zeit lähmen. Schlimmstenfalls könnte einer der ältesten deutschen Industriekonzerne abverkauft werden.

Heuschrecken wollen das Tafelsilber verkaufen

Thyssenkrupp
Thyssenkrupp 4,53

Die Spekulanten reiben sich schon die Hände. Am Dienstag schoss die ThyssenKrupp-Aktie zeitweise um mehr als acht Prozent nach oben. Die Investoren wetten nach dem Abgang der bisheringen Führungsriege auf eine Zerschlagung. Dabei sah es kürzlich noch so aus, als hätte die Chefetage den schwächelnden Stahlgiganten nach den Milliardenverlusten einigermaßen stabilisiert.

Erst vor wenigen Tagen feierte der 58-Jährige Hiesinger die Fusion der Stahlsparte mit dem indischen Mischkonzern Tata Steel. Dank des Zusammenschlusses der beiden Konkurrenten steigen Thyssenkrupp und Tata zum zweitgrößten Stahlkonzern in ganz Europa auf. Cevian versuchte den Deal laut "Bloomberg" jedoch bis zuletzt zu torpedieren und stimmte laut "Handelsblatt" auch im Aufsichtsrat dagegen. Und auch öffentlich sparten die Hedgefonds nicht mit Kritik.

"In einem integrierten Verbund von U-Booten, Stahlhandel und Aufzügen können wir, wie übrigens die meisten anderen Eigentümer, keinen industriellen Sinn erkennen", bemängelte Cevian-Gründer Lars Förberger in der "Zeit". Während Thyssenkrupps Hüttenwerke ihre Gewinne kräftig steigerten, habe sich Tata zuletzt schwach entwickelt, monierte auch der US-Hedgefonds Elliott Management in einem Brief an Hiesinger. Sie wollen die Gewinnbringer des Konzern lieber verkaufen, als mit ihnen den Gesamtkonzern querzufinanzieren - allen voran das Aufzugsgeschäft, mit dem ThyssenKrupp den Löwenanteil des Betriebgsgewinns erwirtschaft.

Dank der Dauerkritik schmissen Hiesinger und sein Chefkontrolleur Lehner entnervt hin. "Wir sprechen nicht nur in der Hauptversammlung, sondern in vielen Treffen mit unseren Aktionären. Bedauerlicherweise beschreiten einige aber auch andere Wege, die teilweise schon als Psychoterror bezeichnet werden könnten", sagte Lehner der "Zeit".

Von der Krupp-Stiftung und ihrer Chefin Ursula Gather, die eine Zerschlagung eigentlich verhindern soll, fühlte sich das Führungsduo im Kampf mit den Heuschrecken offenbar alleingelassen. "Das Vertrauen der großen Aktionäre und ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung von ThyssenKrupp waren Grundlage meiner Arbeit und Voraussetzung für mein Versprechen an Berthold Beitz, das Unternehmen im Interesse von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden erfolgreich weiterzuentwickeln", stichelte Lehner in seinem Abschiedsbrief gegen die Interessensvertreter der Krupp-Erben. "Das ist heute nicht mehr gegeben."

Das Patt lähmt den Konzern

"Es muss im Aufsichtsrat schlimmer zugehen als gedacht", vermutet Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Es scheint, als bewege sich die Stiftung in Richtung der Positionen von Cevian und Elliott. Die Stiftung und Frau Gather müssen dringend deutlich machen, welche Strategie ThyssenKrupp einschlagen soll."

Die sitzt jedoch zwischen den Stühlen: Einerseits soll sie die Zerschlagung von ThyssenKrupp verhindern. Andererseits muss auch sie auf Ergebnisse schauen und kann die Strategie nicht im Alleingang festlegen. Im Aufsichtsrat hält die Stiftung 2 von 10 Sitzen der Aktionärsvertreter. Gemeinsam mit den 10 Arbeitnehmervertretern im Kontrollgremium könnte sie einen Ausverkauf momentan zwar blockieren.  

Nach dem Rücktritt von Hiesinger und Lehner werden die Karten nun aber neu gemischt. Der Aufsichtsrat muss zunächst einen neuen Chefkontrolleur bestimmen und dann einen Nachfolger für Interimschef Guido Kerkhoff berufen, der ThyssenKrupp nun vorübergehend führt. An beiden Personalentscheidungen könnte sich der Richtungsstreit zwischen den Hedgefonds und der Stiftung bald neu entzünden. Denn für die Wahl des Aufsichtsratschefs hat keine Seite allein eine Mehrheit.

Durch das Patt droht ein Führungsvakuum, das den Konzern monatelang lähmt. "Der neue Aufsichtsratschef muss eine Konsenslösung sein. Alles andere würde nur zu neuem Streit führen", sagt Union-Fondsmanager Ingo Speich. Ein passender Nachfolger für den geflohenen Chefaufseher Ulrich Lehner ist aber nicht in Sicht. Krupp-Stiftungs-Chefin Ursula Gather hat bereits abgewunken.

Immerhin stehen die Zeichen nach den plötzlichen Rücktritten der Führungsriege etwas mehr auf Annäherung. IG-Metall-Sekretär Markus Grolms, der auch Vize-Chef des Aufsichtsrats ist, drängt auf eine friedliche Lösung: "Eine Grundsatzvereinbarung mit den großen Aktionären Krupp-Stiftung und Cevian wäre im Interesse des Unternehmens sinnvoll", warb Grolms in der "WAZ". Cevian-Gründungspartner Lars Förberg reagierte zwar positiv auf den Vorschlag: "Wir begrüßen den Vorschlag von Markus Grolms und freuen uns auf gemeinsame Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern und der Krupp-Stiftung". Eine Zusage für eine Einigung ist das jedoch nicht.

Quelle: ntv.de

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