Wirtschaft

Ex-VW-Boss in den USA angeklagt Was hat Martin Winterkorn zu befürchten?

Seit wann wusste Martin Winterkorn von den Unregelmäßigkeiten bei Dieselabgaswerten: Seit 2007, 2014 oder erst 2015, als der Skandal aufflog?

Seit wann wusste Martin Winterkorn von den Unregelmäßigkeiten bei Dieselabgaswerten: Seit 2007, 2014 oder erst 2015, als der Skandal aufflog?

(Foto: picture alliance / Uli Deck/dpa)

Mit der Klage der US-Behörden wird es noch mal eng für den ehemaligen VW-Chef. Winterkorn hat stets jegliche persönliche Verstrickung im Abgasskandal bestritten. Das Verfahren ist ein Schlussstrich und ein Weckruf zugleich.

Es war ruhig geworden um Martin Winterkorn, seitdem er am 23. September 2015 in Folge des Abgasbetrugs als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns zurücktrat. Zweieinhalb Jahre später holt ihn die Affäre nun wieder ein. Pünktlich zur Aktionärsversammlung in Deutschland, auf der Vorstandschef Herbert Diess gelobt, Volkswagen "anständiger" zu machen, erheben die Staatsanwälte von Detroit Anklage gegen den Ex-Chef.

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In den Augen vieler Kritiker ist Winterkorn immer einer der Hauptverdächtigen in der Dieselaffäre geblieben. Nun drohen ihm in den USA 25 Jahre Haft wegen "Verschwörung zur Täuschung der US-Behörden".

Die Strafverfolger in den USA gehen davon aus, dass Winterkorn bereits im Mai 2014 über Unregelmäßigkeiten bei Dieselabgaswerten informiert wurde. Winterkorn und fünf weitere VW-Manager hätten bewusst und absichtlich Betrug begangen, um die US-Abgasvorschriften zu umgehen, heißt es in der Anklageschrift.

Winterkorn selbst hat stets jegliche persönliche Verstrickung in den Abgasskandal bestritten. Dass es eine Software zur Manipulation von Abgaswerten gebe, wisse er erst seit September 2015, als der Abgasskandal auf Druck der US-Umweltbehörden aufgeflog, hat er bei jeder Gelegenheit wissen lassen.

"Die Anklage ist ein Schlussstrich"

Da Winterkorn nicht in die USA ausgeliefert werden dürfte, steht für Experten zunächst einmal die Symbolkraft der Anklage im Vordergrund. "Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf, wenn auch manchmal langsam", sagt der Autoexperte Helmut Becker n-tv.de. Für die amerikanische und die deutsche Öffentlichkeit sei das wichtig. Auch für Volkswagen. "Die ermittelnden US-Behörden sind zum Schluss gekommen, dass Winterkorn selber als oberster Kriegsherr schuldig ist an dem Desaster." In gewisser Hinsicht sei dies der Schlussstrich unter dem Kapitel Abgasaffäre, sagt Becker. Winterkorn sei die Schlüsselfigur.

"Matthias Müller als Winterkorn-Nachfolger an der VW-Spitze hat viel zur Aufarbeitung der Affäre getan, zumindest für die Öffentlichkeit. Aber was fehlte, waren die Hauptschuldigen. Ist der oberste Schuldige angeklagt, kommt danach nichts mehr", sagt der Auto-Experte. Nicht nur "für das deutsche Rechtsempfinden" wäre es wünschenswert, wenn Winterkorn verurteilt würde, sondern auch "für das Image der deutschen Wirtschaft insgesamt".

Der Automobilökonom der Universität Duisburg-Essen Ferdinand Dudenhöffer erhofft sich mehr als reine Symbolik. Er sieht die Wahrscheinlichkeit, dass Winterkorn "drastisch" verurteilt wird, als "sehr hoch an". Der zuständige Richter Sean Cox des Bezirksgerichts in Detroit habe bereits maximale Härte bewiesen, sagt Dudenhöffer n-tv.de. Im Dezember hatte Cox den VW-Manger und getreuen Gefolgsmann Winterkorns, Oliver Schmidt, in einem aufsehenerregenden Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Danach gebe es auch "freie Fahrt für die Investorenklagen", sagt Dudenhöffer. "Das wird nach meiner Einschätzung noch mal zehn Milliarden Euro kosten, um die Kursverluste der Aktionäre auszugleichen." Bis es dazu kommt, könnte es jedoch dauern.

DSW-Vizepräsident und VW-Sonderprüfer Klaus Nieding rechnet damit, dass das Verfahren in den USA erst einmal zum Ruhen kommt. Denn auch in den USA könne nur "unter erschwerten Voraussetzungen" im Rahmen eines Strafprozesses gegen einen abwesenden Angeklagten verhandelt werden.

Deutsche Sonderprüfung geht noch tiefer

Inhaltlich birgt die Anklage für Aktionärsschützer Nieding keine Überraschungen. Der Termin Mai 2014 sei bereits in den Schadenersatzklagen angeführt worden, sagt der Anwalt. Wichtiger als die Erkenntnisse der US-Ermittler, ist für Nieding der Erkenntnisstand der Sonderprüfung in Deutschland, die er selbst geleitet hat: "Wir gehen davon aus, dass noch eine viel frühere Kenntnis seitens des Top-Managements von VW im Hinblick auf den Diesel-Skandal vorlag." In der Schadenersatzklage gegen Porsche und VW habe das Gericht in Stuttgart die entsprechende Korrespondenz zwischen dem Zulieferer Bosch und Volkswagen als Beweismittel zugelassen.

Daraus gehe hervor, dass Bosch den Volkswagen-Konzern bereits im Jahr 2007 auf einen möglichen Missbrauch der Software hingewiesen habe. "Aus der Korrespondenz ergibt sich, dass die Robert Bosch GmbH die Freistellung von sämtlicher Haftung verlangt hat", sagt Nieding.

Sollte das Management bereits 2007 Kenntnis von den Vorgängen gehabt haben, könnten Aktionäre auch von diesem Zeitpunkt ab Schadenersatzansprüche anmelden. "Letztlich bedeutet die Anklage in den USA nur einen weiteren Schritt, eine weitere Scheibe der Salami, die da stückweise abgeschnitten wird. Am Ende wird man sehen, wie sich das gesamte Bild zusammensetzt", sagt der Anwalt. 

Erhöhten Druck auf die deutsche Justiz sieht Nieding nicht. "In den USA ist man historisch bedingt einfach etwas schneller dabei, den Colt aus dem Halfter zu ziehen und aus der Hüfte zu schießen." In Deutschland gingen dem lange Ermittlungen voraus. Für den Volkswagen-Konzern, der immer noch mauere und die Ermittlungen blockiere, sei es jedoch ein weiterer Rückschlag. "Es wäre an der Zeit für den Konzern umzuschwenken und zu sagen: Nachdem wir uns mit unseren Kunden geeinigt haben, setzen wir uns auch mal mit unseren Eigentümern an einen Tisch."

Anklage in Deutschland?

Vorerst darf sich der ehemalige VW-Boss in Sicherheit wiegen. Eine Auslieferung in die USA muss der einstige Konzernchef nicht befürchten. Deutschland liefert keine deutschen Staatsangehörigen an die USA aus. Hierzulande gibt es auch zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Dieselskandals keine Anklage gegen ihn. Die Staatsanwaltschaft in Braunschweig ermittelt zwar gegen Winterkorn - aber bislang ohne Ergebnis.

Dennoch könnte die Anklage in den USA laut Dudenhöffer am Ende ein Nachspiel in Deutschland haben. "Liegen die Fakten auf dem Tisch, die beweisen, dass er frühzeitig informiert war, wird Winterkorn in Deutschland angeklagt", ist sich der Autoökonom sicher. Volkswagen müsse nach dem Versprechen von Konzernchef Diess, Volkswagen "ehrlicher, offener, wahrhaftiger" zu machen, selber Klage einreichen.

Sicher dürfte das allerdings nicht sein. Winterkorn hat Volkswagen mit einem goldenen Handschlag verlassen. Der ehemalige VW-Chef kassiert allein eine VW-Betriebsrente in Höhe von 3100 Euro - pro Tag, bis ans Lebensende. Eine üppige Millionen-Abfindung ließ er zu großen Teilen gemeinnützigen Zwecken zukommen. "Vielleicht wird man ihm die Pension kürzen und die Abfindung streitig machen, wenn er schuldig ist", sagt Auto-Experte Becker. "Ansonsten sitzt er hier in Deutschland und verbringt in Ruhe den Rest seines Lebens."

Quelle: ntv.de

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