Wirtschaft

Währungskrise in der Türkei Türkische Lira fällt ins Bodenlose

Gründe für die Lira-Schwäche gibt es einige.

Gründe für die Lira-Schwäche gibt es einige.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Der Verfall der türkischen Lira geht ungebremst weiter. Noch schaut die Zentralbank in Ankara tatenlos zu. Präsident Erdogan ist gegen Zinserhöhungen. Die Wirtschaft könnte einen hohen Preis dafür zahlen.

Den Währungshütern in Ankara dürfte es angesichts des anhaltenden Kursverfalls der türkischen Lira kräftig in den Fingern jucken: Nach der traditionellen Wirtschaftslehre müssten sie an der Zinsschraube drehen, andere führende Notenbanken handhaben das genauso. Höhere Zinsen würden verhindern, dass noch mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf kommt.

Für einen Euro mussten zuletzt 4,6747 Lira gezahlt werden - das ist so viel wie nie. Keine der weltweit nennenswerten Währungen hat seit Mitte September größere Kursverluste erlitten; zum Euro sind es fast 15 Prozent, zum US-Dollar sogar mehr als 16 Prozent.

Höhere Leitzinsen würden das bereits vorhandene Geld begehrter machen. Die Währung wäre für Investoren attraktiver und der Abwertungsdruck würde gedämpft. Gründe für die Lira-Schwäche gibt es einige - ökonomische und politische, globale und hausgemachte. Aber im Zentrum steht die türkische Zentralbank, die von einer Leitzinserhöhung kaum weiter entfernt sein könnte.

Zentralbankchef ‎Murat Cetinkaya gibt sich angesichts des Lira-Verfalls demonstrativ gelassen und verweist lediglich auf einen angeblich zu erwartenden Rückgang der Teuerungsrate in den nächsten Monaten. Damit folgen die Währungshüter in Ankara nicht aber geldpolitischen Gesetzen, sondern der unorthodoxen Sichtweise ihres Präsidenten.

Recep Tayyip Erdogan gilt schon länger als Kritiker hoher Zinsen zur Inflationsbekämpfung. Er besteht auf niedrigeren Zinsen, um mit günstigen Darlehen Konsum und Investitionen zu fördern und so die Konjunktur anzukurbeln. In der Türkei werden derzeit Flughäfen, Straßen und Kraftwerke im Akkord gebaut, um die Infrastruktur des Landes zu stärken.

Zinsdifferenzen: Kapital wandert weiter

Doch Erdogans Rechnung droht nicht aufzugehen. Denn die Investoren zweifeln zunehmend an der politischen Unabhängigkeit der Währungshüter und die blasen zum Rückzug. Die Lira fällt und die Inflation steigt. Zuletzt kletterte die Teuerungsrate auf 11,9 Prozent - das angestrebte Inflationsziel der türkischen Geldpolitiker liegt bei fünf Prozent jährlich.

Beschleunigt wird die Flucht der Investoren durch die Aussicht auf eine restriktivere Geldpolitik der US-Notenbank. Sie sorgt für eine für die Türkei fatale Zinsdifferenz. Die annähernd zwölf Prozent Inflation im Land haben den Realzins aufgezehrt. Nach Abzug der Geldentwertung werfen türkische Staatsanleihen keine Zinsen mehr ab. International steigen dagegen die Anleiherenditen.

Die Folge ist: Investoren schichten ihr Geld aus Türkei-Bonds in andere Anleihen um. In den USA werfen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit mittlerweile wieder 2,4 Prozent Zinsen ab. Die Rendite liegt über der Inflationsrate. Das heißt, Anleger verdienen mit US-Staatsanleihen auch nach Abzug der Geldentwertung, wogegen sie bei türkischen Staatsanleihen leer ausgehen. Die Erwartung von zwei bis drei Leitzinserhöhungen der US-Notenbank Fed im kommenden Jahr verstärkt diesen Effekt. 

Zweifel an den Wachstumszahlen

Auch die Konjunkturdaten lasten auf dem Lira-Kurs. Investoren sind skeptisch angesichts der ausgewiesenen Wachstumsraten. Denn Volkswirte mögen dem von der türkischen Statistikbehörde ermittelten Wirtschaftswachstum von über 5 Prozent in den ersten beiden Quartalen nicht so recht Glauben schenken. 

Laut Analyst Sören Hettler von der DZ Bank sind für Investoren die Glaubwürdigkeit der Zentralbank in Ankara und das robuste Wirtschaftswachstum der Türkei die wichtigsten Pfeiler für eine stabile Lira. Gerade diese beiden Faktoren sind allerdings ins Wanken geraten.

Hinzu kommen politische Probleme, die Investoren eher auf Distanz halten: Die einst enge Bindung der Türkei und ihrer Wirtschaft zum Westen wird mehr und mehr aufgeweicht. Dass sich der türkische Präsident nach der EU wegen der stockenden Beitrittsverhandlungen auch noch mit der Regierung in den USA auf diplomatische Auseinandersetzungen eingelassen habe, habe die Situation für die Lira auch nicht verbessert, sagt Hettler.

Politische Spannungen

Zudem könnte sich der Prozess gegen den iranisch-türkischen Goldhändler Reza Zarrab und den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Halkbank, Mehmet Hakan Attila, negativ auf die Wirtschaft auswirken, befürchten Investoren. Zarrab und Attila sind vor einem Gericht in New York angeklagt, gegen die US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen zu haben. Es gibt den Verdacht, dass Erdogan und andere Regierungspolitiker nicht nur über die Goldgeschäfte Zarrabs mit dem Iran informiert waren, sondern auch davon profitiert haben. Die US-Justiz könnte eine Geldstrafe gegen Halkbank verhängen.

Das Investitionsklima wird dadurch nicht besser. Der Regierung in Ankara hält den Prozess, der am 4. Dezember beginnen soll, für "politisch" motiviert und als "klare Verschwörung gegen die Türkei". Die Ratingagentur Moody's schreibt in ihrem Jahresbericht, politische Risiken und die hohe Verletzbarkeit durch äußere Einflüsse seien die große Schwäche der Türkei.

Die Notenbank in Ankara ist zu einem schwierigen Spagat gezwungen: Einerseits muss sie dem krassen Währungsverfall entgegentreten, der die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bedrohen könnte. Andererseits sieht sich der oberste türkische Währungswächter Cetinkaya politischem Druck ausgesetzt, die Zinsen niedrig zu halten.

Geldpolitik im Schwitzkasten der "Erdoganomics", wie Investoren die ökonomische Theorie Erdogans nennen: In diesem Umfeld traut sich kaum noch jemand, sich in der Türkei zu exponieren, sagt Anders Faergemann, Geldmanager bei Pinebridge Investments. Jeder, der Lira kaufe, gehe eine Wette ein, "dass sich die Notenbank gegen Erdogan auflehnt und die Zinsen erhöht".

Gift für die Märkte

Der türkische Cocktail ist Gift für die Märkte. Das Image, die schlechteste Währung in diesem Jahr zu haben, kann sich das Land eigentlich nicht leisten. Es ist dringend auf ausländisches Geld angewiesen. Die Türkei importiert deutlich mehr Waren und Dienstleistungen, als sie exportiert. Trotzdem könnte es in den kommenden Tagen noch schlimmer für die Lira kommen.

Ein starker Kurseinbruch binnen weniger Minuten, ein sogenannter Flash Crash, sei nicht auszuschließen, sagt DZ-Analyst Hettler. Die Situation ähnele denen kurz vor anderen Flash Crashs in der jüngeren Vergangenheit. Wollten die geldpolitisch Verantwortlichen einen weiteren Ausverkauf der Lira verhindern, kämen sie um eine Anhebung des Zinsniveaus wohl nicht herum.

Quelle: ntv.de

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