Wirtschaft

Wirtschaft am Abgrund So vergrault die Türkei Investoren

Der türkische Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak bei der Präsentation seines Konjunkturprogramms in Istanbul vor einer Woche.

Der türkische Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak bei der Präsentation seines Konjunkturprogramms in Istanbul vor einer Woche.

(Foto: REUTERS)

Die Lira im Keller, die Wirtschaft in der Rezession und ein Finanzminister, der im Kampf gegen die Krise keinen Rat weiß. In den USA soll Berat Albayrak bei großen Investoren um Vertrauen werben. Doch der Auftritt von Erdogans einflussreichem Schwiegersohn gerät zur Blamage.

Schein und Sein könnten in der Türkei derzeit nicht weiter auseinandergehen: Eine Woche nachdem der türkische Finanzminister sein Konjunkturprogramm vorgestellt hat, zieht Berat Albayrak eine positive Zwischenbilanz seiner US-Reise. Er habe "sehr produktive Treffen" sowie "fruchtbare" Gespräche mit internationalen Finanzinstitutionen und Vertretern der US-Regierung gehabt, lässt er in Washington wissen. Gleichzeitig hagelt es in den internationalen Medien negative Kommentare über dessen unprofessionelles Auftreten vor Hunderten von Investoren im Ballsaal des Nobelhotels "Park Hyatt" vergangenen Donnerstag.

Auch mit deutlichen Worten wird dabei nicht gespart. Albayraks Auftritt beim Frühjahrsmeeting von IWF und Weltbank sei eine "absolute Scheiß-Show" gewesen, zitiert die US-Nachrichtenseite Axios einen Fondsmanager für Schwellenländer. Er habe noch nie einen Regierungsvertreter gesehen, der so schlecht vorbereitet gewesen sei.

Die Erkenntnis der Woche sei, dass man hinsichtlich der Chancen auf eine Trendwende in der Türkei schwarz sehe, zitiert das Nachrichtenportal einen Portfoliomanager des US-Vermögensverwalters T. Rowe Price: Nicht nur die Fundamentaldaten änderten sich nicht, Erdogan verschlimmere die Dinge auch noch. "Die Anlegerstimmung ist sehr, sehr schlecht, dabei hat sie (die Türkei) immer noch hohen Refinanzierungsbedarf", so der Manager weiter.

Eigentlich wollte Albayrak auf seiner Roadshow in den USA mit seinem Konjunkturprogramm bei der Finanzelite der Welt Eindruck schinden. Laut seinem Programm will der türkische Staat die Trendwende in der Wirtschaft unter anderem dadurch erreichen, dass er

  • Banken mit Staatskrediten in Höhe von 28 Milliarden Lira (rund 4,4 Milliarden Euro) stützt,
  • die Körperschaftssteuer stufenweise senkt 
  • und Einkommen "gerechter" besteuert.

Nach Ansicht von Beobachtern greift dieses Maßnahmenpaket jedoch zu kurz. Die Ratingagentur Moody's sprach nach der Präsentation des Programms von einem seichten Inhalt, dem die Details fehlen. Die türkischen Exporte sollen wachsen, um das hohe Leistungsbilanzdefizit zu senken. Doch wie das geschehen soll, erwähnte Albayrak nicht. Statt Sorgen zu nehmen, vergrößerte Albayrak das Misstrauen noch. Für Moody's sind vor allem die niedrigen Reserven der türkischen Zentralbank ein Problem. Laut den Experten besteht deshalb auch das Risiko einer fortgesetzten Kapitalflucht weiter.

Türkei-Experte: "Es wird schlimmer werden"

Die Negativmeldungen von der türkischen Konjunktur sind nach der Präsentation des Konjunkturprogramms nicht abgerissen. Seit Ende 2018 befindet sich die türkische Wirtschaft in einer Rezession. Der Abschwung hinterlässt immer tiefere Spuren auf dem Arbeitsmarkt.

Nach jüngsten Daten lag die Arbeitslosenquote im Januar mit 14,7 Prozent auf dem Zehnjahreshoch. Im Dezember waren es noch 13,5 Prozent. Licht am Horizont ist nicht in Sicht. Türkei-Experte Tatha Ghose von der Commerzbank geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote bis zu einem Anziehen der Konjunktur im Juli oder August auch noch weiter steigen wird. "Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird."

Auch bei der Inflation gibt es keine Entwarnung. Die Jahresteuerung betrug im Februar fast 20 Prozent. Gleichzeitig gibt auch die heimische Währung Lira keine Ruhe. Wie nervös die Finanzmärkte sind, zeigt allein der Auftritt von Albayrak, der nicht nur oberster Kassenwart der Türkei ist, sondern auch Erdogans Schwiegersohn. Die Lira reagierte mit Abschlägen von zwei Prozent zum Dollar. Damit summieren sich die Verluste der türkischen Währung seit Jahresanfang bereits auf fast neun Prozent. Türkische Aktien und Staatsanleihen flogen ebenfalls aus den Depots.

Vertrauensbildende Maßnahmen? Fehlanzeige.

Nach der jüngst erlittenen Schlappe bei den Kommunalwahlen, ist der Verriss des Albayrak-Auftritts gleich die nächste Klatsche, diesmal auf internationaler Ebene. Kritische Beobachter sehen nur wachsende Risiken. Erdogans Rückhalt in der Türkei bröckelt. Politisch kommt keine Ruhe auf. Meldungen über Verhaftungen wie die des Ex-HSBC-Türkeichefs oder die des prominenten Wirtschaftswissenschaftlers Mustafa Sönmez in Istanbul schüren zusätzlich Zweifel bei den Investoren. Laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu soll Sönmez Erdogan beleidigt haben. Der Verlag hält dagegen, Sönmez sei festgenommen worden, weil er die Wirtschaftspolitik der islamisch-konservativen Regierung kritisiert habe. Vertrauen schafft das nicht.

Statt Investoren zurückzugewinnen, werden immer mehr verunsichert. Dabei schrumpft durch den Lira-Verfall der finanzielle Bewegungsspielraum des Staates. Die Staatsverschuldung ist zwar gering, sie liegt bei 27,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - davon können südeuropäische EU-Staaten nur träumen. Kritisch sind aber die Unternehmensschulden. Viele Firmen haben sich in Dollar und Euro verschuldet. Weil die Lira fällt, steigt die Zinslast. Manche Beobachter rechnen damit, dass das Land früher oder später beim IWF um Hilfskredite bitten muss.

Die Türkei steckt in einer Abwärtsspirale, die so nicht zu stoppen ist. Auch Erdogans gigantisches Prestige-Objekt, der neu eröffnete Istanbuler Flughafen, kann über diese Krise nicht hinwegtäuschen.

Die regimetreuen türkischen Medien haben die Berichterstattung der ausländischen Medien über den Auftritt Albayraks inzwischen nach dem bekannten Muster kritisiert: Sie wittern Verschwörung. Die wirtschaftlichen Probleme der Türkei als Angriff ausländischer Banken und Regierungen darzustellen, so wie es Erdogan gerne propagiert, wird jedoch nicht helfen. Beobachter halten eine Kabinettsumbildung mittlerweile nicht mehr für ausgeschlossen.

Wer auf dem Schleudersitz sitzt, ist offen. Sollte es Albayrak sein, käme das einem Erdbeben gleich. Als Erdogan seinen Schwiegersohn im vergangenen Jahr inthronisierte, waren nicht alle in der AKP damit einverstanden. Eine Gruppe von Erdogan-Gegnern soll eigene Kandidaten erwogen haben. Bislang haben sich Oppositionsgedanken in der AKP immer verflüchtigt. Möglicherweise wird die Einigkeit im Lager der Regierungspartei nun einer weiteren Prüfung unterzogen.

Quelle: ntv.de

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