Wirtschaft

Kursrutsch? Welcher Kursrutsch? Peking verlangt Erfolgsgeschichten

Hoffen auf bessere Zeiten: Kleinanleger im chinesischen Fuyang.

Hoffen auf bessere Zeiten: Kleinanleger im chinesischen Fuyang.

(Foto: REUTERS)

Chinas Börse saust weiter bergab. Analysten aber sparen sich kritische Vorhersagen, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Und die Staatsmedien tun so, als ob nichts wäre. Derweil wächst die Wut der Kleinanleger auf die Regierung.

Es sind keine einfachen Zeiten für chinesische Börsen-Analysten. Ständig müssen sie auf der Hut sein, dass sie sich nicht die Zunge verbrennen. Denn wer schwarzmalt, muss mit Konsequenzen rechnen. "Es gibt zwar kein Gesetz, dass man die Entwicklung der Kurse nicht pessimistisch beurteilen darf. Aber wer laut davor warnt, dass die Aktien einbrechen werden, handelt sich damit ein Problem ein", sagt ein Mitarbeiter der Shanghaier Börse, der anonym bleiben will.

Stabile Aktienkurse zählen sozusagen zur Notfall-Ausstattung der chinesischen Regierung, die um die Gesundheit ihrer Wirtschaft bangt. Experten, die mit miesen Prognosen in den Heilungsprozess dazwischen funken und Anlegern ihren Optimismus rauben, kann Peking nicht brauchen. Schließlich lassen hohe Aktienkurse Schuldenberge von staatlichen Unternehmen deutlich kleiner aussehen. Und sie sind Quell frischen Kapitals, wenn die Banken mal wieder mit Krediten geizen. "Wenn jemand Panik streut, kann er viele Leute dazu bewegen, ihre Papiere zu verkaufen. Das gilt besonders für so labile Börsenmärkte wie den chinesischen. Reife Märkte halten das vielleicht aus, aber hier können die Kurse ganz schnell einbrechen", so der Mitarbeiter.

Darum gelte in der Branche der unausgesprochene Kodex: Immer positiv bleiben, wer seine Karriere nicht aufs Spiel setzen möchte. Das gilt auch an Tagen wie an solch einem Montag, der in der Börsensprache gemeinhin als schwarz bezeichnet wird. 8,49 Prozent düsten die Kurse in den Keller. Eine Katastrophe für viele Anleger, noch eine wohlgemerkt. Seit Mitte Juni stürzte der Leitindex unterbrochen von wenigen Erholungsphasen von 5178 Zählern auf fast 3200 Punkte ab. Am Montag blieben an den Handelsplätzen Shanghai und Shenzhen nur 15 Aktien im Plus. 2200 verloren zehn Prozent ihres Wertes. Mehr geht nicht an einem Tag.

Für die autoritär regierende Kommunistische Partei ist der Einbruch der Kurse eine brisante Situation. Es kostet sie Glaubwürdigkeit bei den Millionen von Kleinanlegern, die gehofft hatten, ein Stück Wohlstand durch Finanzgeschäfte ergattern zu können. Zumal der Staat sie durch eine anlegerfreundliche Politik an die Märkte gelockt hat, denn ihre Milliarden sind eine wichtige Stütze für stabile Werte. Unter dem Hashtag #ZhouyiGushi, Montagsbörse, schrieb der Nutzer Jing Yi beim Kurznachrichtendienst Weibo in Anspielung auf den Crash: "Jemand hat versucht, mich umzubringen." Ein anderer klagt, jemand habe ihm seine gesamte Altersvorsorge weggenommen. Die Wut richtet sich zunehmend gegen die Genossen, die es zuließen, dass eine neue Euphorie um chinesische Aktien entfacht wurde, obwohl sie wussten, dass die Kurse künstlich in die Höhe getrieben waren. Die wirtschaftlichen Daten sprachen nämlich eine komplett andere Sprache.

Entsprechend hektisch versucht Peking seit Monaten, weitere Einbrüche zu vermeiden. Doch der Regierung gelingt es einfach nicht, für neue, langfristige Zuversicht bei Investoren zu sorgen. Erst am Sonntag gab sie grünes Licht für künftige Investitionen von Rentenfonds am Aktienmarkt. Die Fonds dürfen ab sofort mit bis zu 30 Prozent ihres Kapitals spekulieren. Das entspricht rund 600 Milliarden Yuan, umgerechnet rund 82 Milliarden Euro. Doch selbst diese Ankündigung verpuffte am Montag. Die Kleinanleger haben ihren Optimismus verloren, nachdem sie vor zwei Monaten von dem ersten Absturz überrascht worden waren.

Es half auch nicht, dass Chinas Medien reihenweise Erfolgsgeschichten von den Börsen erzählten. Anlegermagazine stemmten sich gegen die schlechte Stimmung und verkauften die Gegenmaßnahmen als Heilmittel. Nötige Distanz und Skepsis ließen sie vermissen. Das staatliche Finanzmagazin Caijing postete am Montag eine trauriges Gesicht an die Abonnenten seines Miniblogs, ein typisch chinesisches Phänomen in allen Krisensituationen: Trauer ja, aber keine Fragen nach der Verantwortung.

Die Macher von Mjpress, einem chinesischen Blog, der die heimischen Medien aufmerksam verfolgt, erinnerten bei Weibo daran, dass die staatlichen Sprachrohre Volkszeitung und Abendnachrichten im Staatsfernsehen noch vor vier Monaten einen Aufwärtstrend der Börse ausgerufen und Kleinanleger zum Einstieg bewegen wollten. "Das ist schwer zu ertragen für die Leute, die aufgrund dieser Berichte Aktien gekauft haben", merkt Mjpress süffisant an. Die staatlichen Leitmedien selbst reagierten sachlich auf den Absturz. Zahlen, Fakten, keine Meinungen. Und vor allem keine negativen Prognosen.

Aber wie geht es nun weiter? "Wenn überhaupt, dann ist nur eine Wende auf technischer Ebene möglich", sagt Analyst Alex Kwok von China Investment Securities in Hong Kong. Er meint erneute Eingriffe des Staates, um das Vertrauen in den Handel zu stärken. Zurzeit genügen offenbar schon wenige Großinvestoren, die ein paar Gewinne einfahren wollen, um unter allen übrigen Anlegern Panik zu verursachen.

Angesichts der anhaltenden Talfahrt wird die Zentralbank möglicherweise früher eingreifen, als zuletzt berichtet wurde. Für Ende August war eine Senkung der Mindestreserve für Banken um einen halben Prozentpunkt geplant, hieß es. Das könnte nun früher passieren. So eine Kürzung würde noch einmal Kapital im Wert von 678 Milliarden Yuan, fast 93 Milliarden Euro freisetzen. Die Gelder würden vermutlich sowohl als Kredite in die Realwirtschaft fließen, wo sie der stockenden Konjunktur als Anschub dienen können, als auch als Investitionen auf dem Aktienmarkt landen. Das wiederum hilft, die Kurse zu stützen.

Doch ob das ausreicht, um genügend Vertrauen zu schüren, ist nachden Erfahrungen der vergangene Wochen fraglich. Es sei zurzeit schwierig überhaupt festzustellen, ob Investoren überreagieren und ob der Markt bereits am Tiefpunkt angekommen sei, sagt Analyst Kwok. Nur eines sei ziemlich sicher: Chinas erlebt gerade "ein kleines Börsen-Desaster."

Quelle: ntv.de

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