Wirtschaft

Großes Kino an der Börse Netflix-Aktie verliert die Bodenhaftung

Der drohende Handelskrieg von Trump sorgt möglicherweise für weitere Kurssprünge.

Der drohende Handelskrieg von Trump sorgt möglicherweise für weitere Kurssprünge.

(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)

Nicht nur bei Serienfans steht Netflix hoch im Kurs. Auch Börsianer fliegen auf den US-Streamingdienst. Das Unternehmen steht für einen grenzenlosen Wachstumsrausch, der aber auch zunehmend ins Reich der Fantasie gehört.

Der Aktienkurs von Netflix kennt anscheinend nur eine Richtung: nach oben. Ende vergangener Woche kostete das Papier mit 264,70 Euro so viel wie nie zuvor. Anfang des Jahres waren es noch 100 Euro oder gut 65 Prozent weniger. Seitdem hält sich der Kurs hartnäckig in der Nähe seines Allzeithochs.

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Netflix 512,70

Die Bewertung strotzt vor Optimismus. Inzwischen ist der US-Streamingdienst an der Börse mehr wert als McDonald's. Und das, obwohl Netflix nach wie vor keinen freien operativen Cash-Flow erwirtschaftet. Im Gegenteil, für das Jahr 2018 wird erwartet, dass der Filmanbieter im laufenden Betrieb zwischen drei und vier Milliarden Dollar verbrennt. Aber die Fantasie lebt: Die Jahresbilanz bot Anlass zum Jubeln.

"The Crown", "Stranger Things", "House of Cards" - eigenproduzierte Serien haben sich im vergangenen Jahr ausgezahlt. Mit den acht Millionen neuen Abonnenten, die in den letzten drei Monaten hinzukamen, kommt der Streamingdienst nun weltweit auf fast 117 Millionen Nutzer.

Grund zur Entwarnung ist das jedoch nicht. Denn nicht der Mangel an Serienfans plagt das Unternehmen, sondern der immer höhere Aufwand, mit dem die neuen Abonnenten geködert werden müssen. Das aggressive Wachstum kostet mehr Geld, als es für das Unternehmen gut ist. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Um die Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, will Finanzchef David Wells dieses Jahr bis zu acht Milliarden Dollar in die Produktion eigener Inhalte pumpen. Geplant sind 700 Serien und Filme - darunter 80 ausländische Produktionen. Fürs Marketing sind zusätzlich zwei Milliarden Dollar vorgesehen.

Wachstumsfantasien nährt auch die kürzlich eingegangene Partnerschaft mit dem britischen Konkurrenten Sky. Wie der britische Sender bekanntgab, wird Netflix bald über die Sky-Plattform zu sehen sein. Ob Netflix die hochgesteckten Erwartungen in Zukunft erfüllen kann, wird mit jedem Kursanstieg allerdings fraglicher.

Milliardenschulden ausgeblendet

An den Traum vom grenzenlosen Wachstum zu glauben, wäre leichter, säße Netflix nicht auf einem riesigen Schuldenberg. Allein im vergangenen Jahr brauchte das Unternehmen für seinen Wachstumskurs laut "Financial Times" (FT) eine halbe Milliarde Dollar Cash pro Quartal. Geld, das am Kapitalmarkt aufgenommen wurde. Insgesamt 6,5 Milliarden Dollar Schulden haben sich so bislang aufgetürmt.

Die vertraglichen Verpflichtungen für die kommenden Jahre belaufen sich laut FT auf 28 Milliarden Dollar. Die "Los Angeles Times" hatte sie im August noch mit 20 Milliarden beziffert. Die Summe setzt sich aus langfristigen Schulden und Lizenzgebühren zusammen. Um die Verbindlichkeiten einmal abbezahlen zu können, braucht das Unternehmen ein kontinuierlich starkes Nutzerwachstum - während die Konkurrenten Amazon und Hulu nicht schlafen.

Die Schuldenaufnahme zu verringern, ist für Netflix keine Option. Im Gegenteil: Das Unternehmen will mehr und mehr Eigenproduktionen finanzieren, statt Lizenzgebühren für fremde Produktionen zu zahlen. Das ist Zukunftsmusik. Bislang stammen die erfolgreichsten Serien aber immer noch aus anderen Häusern: "Orange is the New Black" wird von Lionsgate produziert, "House of Cards" von Media Rights Capital und "The Crown" von Sony Pictures. Für das Recht, diese Serien anzubieten, bezahlt Netflix Gebühren.

Eine Produktion, die allen gefällt?

Ein großes und lohnendes Angebot an eigenen Inhalten aufzubauen, das Abonnenten in den verschiedensten Ecken der Welt für unverzichtbar halten, ist schwierig. Der US-Sender HBO hat bereits viele eigene Serien produziert, trotzdem machen lizensierte Inhalte immer noch die Hälfte seines Angebots aus. Und Netflix hinkt HBO noch weit hinterher. Lediglich "Stranger Things" war bei Zuschauern und Kritikern umgehend erfolgreich.

Auch wenn der Streaming-Service in seiner Kalkulation davon ausgeht, dass 700 Millionen Kunden auf der ganzen Welt nur darauf warten, Filme von Netflix zu streamen: Nicht jede Serie oder jeder Film trifft in allen Ländern den jeweiligen Geschmack. Die Vorlieben aller Menschen mit einer Produktion zu treffen, dürfte schwierig werden - diese würde sich aber erst richtig lohnen. Hier sei der Lernprozess noch nicht abgeschlossen, räumt das Unternehmen selbst ein.

Netflix' Schulden haben bereits ein Junk-Rating vier Stufen unterhalb einer Investment-Empfehlung. Kommt es am Kapitalmarkt zu einer Vertrauenskrise, muss das Unternehmen das Geld zusammenhalten und verlangsamt sich dann das Wachstum, ist ein böses Erwachen programmiert. Nicht mehr die grenzenlose Wachstumsfantasie für die Zukunft, sondern die Verbindlichkeiten im Hier und Jetzt würden die Kurse machen. Wann genau das der Fall sein wird? Goldman Sachs hat sein Kursziel kürzlich erst einmal von 250 auf 315 Dollar angehoben.

Daniel Saurenz von Feingold Research ist ebenfalls optimistisch, dass der Kurs noch Luft nach oben hat: "Der Erlös soll im laufenden Jahr um mehr als ein Drittel auf 15,8 Milliarden Dollar nach oben schießen und der Gewinn je Aktie sich mehr als verdoppeln. In einem Umfeld, in dem sich Investoren wegen des drohenden Handelskriegs zwischen den USA und dem Rest der Welt Sorgen über das Wachstum der Weltwirtschaft machen, sollten Papiere von wachstumsstarken Unternehmen wie Netflix weiterhin gefragt sein."

Quelle: ntv.de

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