Technik

Kapitalismus krallt sich Mitmach-Netz Nach Facebook kommt: nichts

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mit dem Börsengang von Facebook ist das Web 2.0 im Mainstream angekommen. Verhallt ist der Knall, den das Platzen der Dotcom-Blase einst auslöste. Die Gier ist zurück und mit ihr die fiebrige Frage nach dem nächsten "heißen Scheiß".

Mit geheimnisvoller Miene reichen die einschlägigen Auskenner Listen mit todsicheren Tipps herum. Das gewaltige Netz-Bullshit-Bingo wird täglich erweitert um Kunstwörter, die das "nächste große Ding" benennen. Seed-Investoren hetzen wieder um die Welt in der Hoffnung, diesmal selbst die allfälligen hundert Milliarden an Land zu ziehen. Im Szenetreff der Medien-Bohème in Berlin-Mitte, der Gaststätte St. Oberholz, raunen sich Bart-Träger zu, in welches Startup der Serien-Schauspieler und Twitter-Promi Ashton Kutcher gerade wieder sein sauer Verdientes steckt. (Dabei lag der - jedenfalls im Falle seiner Geldspritze für das heillos überschätzte "Amen" - schon mindestens einmal gründlich daneben ...)

Und wenn sie sich alle umsonst bemühten? Mal abgesehen davon, dass jedenfalls wir nur ohne Gewähr in die Zukunft schauen können: Vieles spricht dafür. Denn es geht hier nicht um die Industrialisierung (und, ganz nebenbei: auch nicht um den Sprung in die Informationsgesellschaft. Wir sind da nämlich längst bis über beide Ohren mittendrin angekommen.) Die alten Muster haben ausgedient. Facebook ist nicht Opel oder Ford und es wird nicht verfolgt, eingeholt, verdrängt von einem neuen Daimler, Chrysler oder Toyota.

Thermik aus Wachstum, Hype, Berichterstattung

Facebook ist nicht so groß geworden, weil Mark Zuckerberg ein so genialer Mensch oder Unternehmer wäre. Das explosionsartige Wachstum, das sein Baby in den letzten Jahren hingelegt hat, hing nicht mit begeisternden Ideen oder bahnbrechenden Erfindungen zusammen. Es war viel einfacher: zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, nicht allzu gravierende Fehler machen. Nicht allzu viele Skrupel haben, aber Glück. Und eine Prise vom flottierenden Kapital, das ohne Sinn und Verstand in die Finanzmärkte gepumpt wurde beim bislang größten Raubzug aller Zeiten. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Facebook stieg zum Firmament auf einer Thermik aus Wachstum, Hype, Berichterstattung, mehr Wachstum, mehr Hype, mehr Berichterstattung, bis, von der normativen Kraft des Faktischen zementiert, der Eindruck entstand, "alle" reden drüber, "alle" sind schon da - und wer nicht da ist, existiert nicht - jedenfalls nicht für die, die da sind. Wohin man auch blickte, riefen die Igel: "Ick bin allhier". Wer wollte da noch Angsthase sein?

Ende der Fahnenstange

Netzwerkeffekt nennt man das, eine Dynamik, die sich selbst verstärkt. Es ist nämlich nicht zufällig ein Netzwerk, das diese schier unglaubliche (manche sagen auch: unglaubwürdige) Zahl von 900 Millionen Teilnehmern (oder sind es doch nur Accounts?) versammelt hat. Allenfalls Coca Cola hat noch mehr Nutzer. Aber selbst trinken können maximal (derzeit) sieben Milliarden Menschen. Das Wachstum bei Facebook hat aber schon deutlich darunter seine Grenzen. Das wird sich schon sehr bald zeigen  - auch wenn den potenziellen Anlegern immer noch mehr Momentum suggeriert werden soll.

Aber wird nicht einfach ein neuer Hype entstehen, ein neues goldenes Trüffelschwein durchs globale Dorf getrieben? Natürlich wird der Versuch unternommen. Aber welcher Idee soll die Begeisterung zufliegen? Wo und aus welchem Grund sollten jemals ein zweites Mal so viele Menschen freiwillig Teil einer proprietären, monopolartigen Struktur werden - die im Übrigen allzu offensichtlich nur einen Zweck hat:  Daten aufzusaugen und die daraus gewonnenen Profile meistbietend zu verhökern? Wer will sich selbst immer wieder in der Rolle der beiden Schweine in dem gezeichneten Mem finden, die sich darüber freuen, dass Stall und Futter nichts kosten, aber nicht bemerken, dass sie nicht der Kunde sind, sondern das Produkt, das verkauft wird?

Digitales Crack

Und selbst wenn das Unwahrscheinliche tatsächlich geschähe - im Zeichen heute noch nicht entdeckter Lüste und Leidenschaften (denn das Pinnen von Bildchen aus dem Netz wird es eher nicht sein) - so würden sich diese Massen ganz sicher auch nicht bereitwilliger melken lassen, als es Netznutzer heute schon (nicht) tun. Und wenn doch jemand den entscheidenden Dreh fände, digitales Crack, Ruhm aus der virtuellen Wundertüte oder Cybersex mit Scarlett Johansson, so würden die Platzhirsche mit ihren prall gefüllten Kriegskassen diesmal bestimmt nicht wieder einfach zusehen.

Google wird sich schon so nie verzeihen, dass es trotz der Exabyte an akkumulierter Information das Echtzeit-Web verschlafen und Twitter und Facebook hat groß werden lassen. Und Facebook wird verzweifelt versuchen, einen so kapitalen Fehler selbst nicht ebenso zu machen (und hat doch nebenbei bemerkt, den aktuellen großen Megatrend, das mobile Web, schon einigermaßen an sich vorbeiziehen lassen - zumindest erlösmäßig. Und die Facebook-App für Smartphones ist schlicht und ergreifend: grottig.). Und so werden sie jedes junge Unternehmen, das auf dem globalen Erfolgsradar auftaucht und das nicht bei drei auf dem Baum - beziehungsweise im Deep Web verschwunden - ist, mit Milliardensummen wegkaufen und sich einverleiben oder einfach abschalten, wie schon so oft.

Nein, auch wenn Fotoplattformen, Streaming-Dienste, Cloudanbieter durchaus noch den einen oder anderen Dollar, Euro oder Rinminbi verdienen dürften: zu einer Größe, die auch nur annähernd an die von Facebook heranreicht, wird so schnell kein anderer heranwachsen, selbst wenn Google und Facebook eines nahen Tages in den Staub gefallen sein sollten. (Ausdrücklich von dieser Prognose ausgenommen sein sollen Apple und Samsung, die durch eine Fusion durchaus zu beträchtlicher Hegemonie aufsteigen könnten. Aber das ist schon wieder eine andere Story...)

Das Internet (wie wir es kennen) ist in dieser Hinsicht tot. Hier wird kein einzelnes Unternehmen (wie wir es kennen) je wieder eine solche Größe erreichen. Das Leben wird sich künftig noch mehr als bisher in unendlich vielen kleinen Nischen tummeln, im Untergrund, in Darknets, anonym, abgeschottet, verschlüsselt, der Überwachung, Kontrolle und Ausbeutung entzogen.

Den wirklich florierenden Handel besorgen dann statt eBay und Amazon unzählige algorithmische Schwarzmärkte a la Silk Road in denen mit Krypto-Währungen wie Bitcoin bezahlt wird, dem Zugriff der Finanzmärkte und der Steuerbehörden entzogen.

Die Bewohner dieser Zonen werden allenfalls kurzfristig und vorübergehend große (und vielleicht: monumentale) Strukturen bilden, Schwärme, dynamische Ad-hoc-Netzwerke, nur jeweils einem einzelnen, lohnenden Ziel verpflichtet, sei es die Rettung der Galaxis oder ein "Finale dahoam". Für Investoren wird das eher kein Spaß. Ob die autonomen Einzelteile dieser Schwärme dann noch Menschen (wie wir sie heute kennen) zu nennen sind, wird sich zeigen müssen. Die Bio- besitzt ja nicht weniger Dynamik als die Computer-Technik. Aber auch das: wieder eine andere Geschichte.

Quelle: ntv.de

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