Wirtschaft

VW setzt auf Techniker "Müller ist Evolution, keine Revolution"

Matthias Müller: Weißes Haar als Wettbewerbsvorteil.

Matthias Müller: Weißes Haar als Wettbewerbsvorteil.

(Foto: imago/nph)

Mit Matthias Müller soll ein Techniker und langjähriges VW-Gewächs den Konzern wieder auf Kurs bringen. Keine überraschende Wahl, aber das muss nichts Schlechtes sein, findet Autoexperte Helmut Becker. Becker setzt darauf, dass am Ende seine Großmutter Recht behalten wird.

n-tv.de: Der VW-Abgas-Skandal hat im Laufe der Woche noch mal an Fahrt aufgenommen. Laut Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sind auch in Europa Dieselfahrzeuge mit manipulierten Abgaswerten unterwegs. Können wir überhaupt noch einen VW-Absatzmarkt ausnehmen?

Helmut Becker: Vermutlich China. Und auch Japan. Weder in China noch in Japan werden Dieselfahrzeuge verkauft. Und Benzinfahrzeuge sind ja bisher nicht ins Gerede gekommen, sie stehen nicht unter Verdacht.

Der Skandal lässt auch den Rest der Branche nicht unberührt. Auch bei Geländewagen von BMW wurden auffällige Abgaswerte gefunden, aber "keine Anzeichen zur Manipulation". Ist das für Sie glaubhaft?

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Er war ab 1989 als Chefsvolkswirt bei BMW tätig.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Er war ab 1989 als Chefsvolkswirt bei BMW tätig.

Das Wort "Glauben" möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht verwenden, aber ich hoffe, dass es keine Manipulationen gab. Die Hand kann man natürlich für keine einzige Automarke mehr ins Feuer legen, wir wissen nicht, was da noch alles kommt! Aber von der Grundeinstellung glaube ich – pardon! - hoffe ich, dass BMW nicht zu dem Kreis gehört, weil der Konzern sich bisher doch einer klaren ethischen Unternehmensphilosophie bedient hat, ich hatte 25 Jahre Zeit, das von Innen her zu beobachten. Außerdem stehen bei BMW ja derzeit nicht die tatsächlichen Abgaswerte in der Kritik, sondern nur auffällige Abweichungen gegenüber dem, was über die Messung vorgegeben ist. Solange die Messergebnisse nicht gezielt manipuliert wurden, sondern es im praktischen Betrieb zu Abweichungen kommt, ist eigentlich nach den Buchstaben des Gesetzes nichts dagegen einzuwenden. Jedenfalls nicht bis heute.

Aber auch wenn es keine Manipulation ist, müssen sich doch die Autobauer dringend um diese Abweichungen kümmern – so darf es ja nicht sein.

Sie sagen es. Angestoßen durch die VW-Affäre muss die gesamte Abgasmessung und das gesamte Kontrollverfahren einer scharfen Prüfung und vor allem Revision unterzogen werden. Inzwischen weiß jedermann, dass bei dem jetzigen Messverfahren nur eine weiße Salbe auf die schwarzen Auspufftöpfe geschmiert wurde.

Zurück zu VW: Martin Winterkorn hat sich als Sündenbock dargeboten …

Aber zu spät. Das war von der Unternehmenskommunikation her miserabel gemanagt. Das ist unglaublich. Nachdem der erste Verdacht aufgekommen ist, was immerhin schon vor einer Woche - manche sagen Wochen - war, war noch nicht mal der Aufsichtsrat informiert. Aber sobald der AR informiert war, hätte Winterkorn die Flucht nach vorne antreten und von sich aus die Verantwortung übernehmen müssen. Stattdessen hat er gewartet, bis sein Pensionsvertrag verhandelt worden ist und wurde dann vom Aufsichtsrat entlassen. Da erübrigt sich jeder Kommentar!

Nun sollen Medienberichten zufolge weitere Konzernvorstände - Audi-Vorstand Hackenberg, Porsche-Vorstand Hatz, VW-Entwicklungsvorstand Neußer – Winterkorn folgen. Ist diese Art der Aufräumarbeit in Ihren Augen sinnvoll?

Die ist nicht nur sinnvoll, die ist sogar notwendig. Dahinter steht die Drohung der US-Justiz, dass man nicht nur gegen das Unternehmen, sondern auch gegenüber den handelnden Personen eine strafrechtliche Verfolgung einleiten will. Es wäre also durchaus möglich gewesen, dass bestimmte Personen aus dem VW-Vorstand oder der Entwicklungsabteilung in den USA vor Gericht gelandet wären. Dazu müssten sie aber noch eine Funktion bei Volkswagen haben. Wenn sie außer einer monatlichen Rente zu kassieren, keine Verbindung mehr zu VW haben, sind sie meines Wissens nach der strafrechtlichen Verfolgung entzogen. Das war also nicht nur eine Bestrafung oder ein Aufräumsignal an die Öffentlichkeit, sondern auch eine Schutzmaßnahme. Sie entziehen sich dadurch der Justiz. Das wäre meine schlichte Lesart als Ökonom.

Nun muss ein neuer Vorstandschef her. Inzwischen wurde bekannt, dass der Aufsichtsrate heute wohl Matthias Müller von Porsche zum Nachfolger bestimmen wird, und nicht Herbert Diess und Rupert Stadler. Kann man Porsche-Chef Müller zutrauen, die Mammutaufgabe "Neuanfang" zu lösen?

In der Automobilindustrie ist es in der Geschichte immer schief gegangen, wenn kein Ingenieur, sondern - wie bei BMW in den Nuller-Jahren - ein Unternehmensberater oder Kaufmann als Vorstand fungierte. Matthias Müller ist Vollblut-Techniker und ein langjähriges VW-Konzern Gewächs mit Erfahrungen bei Audi und Porsche. Zudem hat er mit 62 Jahren das richtige Alter, um noch etwas zu bewegen und um rechtzeitig einen Nachfolger auf zubauen. Drittens genießt er als Porsche-Chef in den USA eine gewaltige Reputation. Denken Sie an Janis Joplin und ihren wilden Porsche. Genau das braucht der Konzern als Image-Bonus für die desolate VW-Situation auf dem wichtigen amerikanischen Markt. Und letztens bringt Müller von Hause aus schon weiße Haare mit sich, muss sich die also nicht erst mühsam on the job erarbeiten! (lacht) Denn die würde er auf diesem Job mit Sicherheit bekommen. Eigentlich ist das Mammutprogramm, dass Müller zu bewältigen hat, eine Mission Impossible.

Kann aber eine VW-Eigenzüchtung überhaupt den vielbeschworenen "Neuanfang" herbeiführen?

Durchaus, aber diese Personalentscheidung für Müller ist eine Evolution, keine Revolution! Aber vielleicht braucht das der Konzern auch in seiner jetzigen Situation. Ein Gutes hat die ganze Geschichte.

Und das wäre?

Langfristig kriegen wir alle bessere Autos. Nach diesem Skandal muss sich die deutsche Automobilindustrie bewegen und bessere Abgassysteme entwickeln, damit die Abgasnormen auch im Fahrbetrieb eingehalten werden können. Kurzum: Wie meine Großmutter schon immer zu sagen pflegte: "Es gibt nichts Schlechtes, wo nicht immer noch was Gutes rumkommt!"

Mit Helmut Becker sprach Samira Lazarovic

Quelle: ntv.de

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