Wirtschaft

EZB in der "Grauzone" Karlsruhe vor schwerer Entscheidung

Alles gehört - jetzt wird entschieden.

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(Foto: dpa)

Kläger, Verteidiger, Experten – sie alle werden bei der Prüfung der EZB-Politik in Karlsruhe gehört. Die herbeizitierten Ökonomen sparen nicht mit Kritik an der EZB – doch ob die umstrittenen Anleihekäufe die Befugnis der Währungshüter überschreiten, können auch sie nicht sagen. Das müssen die Richter nun entscheiden und kriegen noch eine Warnung von IWF-Chefin Lagarde mit auf den Weg.

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Anhörung zu umstrittenen Euro-Rettungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank abgeschlossen. Allerdings konnten auch die geladenen Sachverständigen nicht klar beantworten, ob sich die EZB mit dem beabsichtigten Ankauf maroder Anleihen von Euro-Ländern noch in ihrem Mandat bewegt oder eine verbotene Finanzierung per Notenpresse betreibt.

Den Europäischen Verträgen zufolge ist der EZB nur Geldpolitik erlaubt, etwa um Einfluss auf die Zinsentwicklung zu nehmen und somit Preise stabil zu halten und Inflationsgefahren zu minimieren. Finanzpolitik wie etwa eine Staatsfinanzierung mit der Notenpresse ist ihr untersagt.

Im sogenannten OMT-Ankaufprogramm der EZB ist bislang zwar noch kein Cent geflossen. Aber allein dessen Ankündigung im September 2012 führte zur Beruhigung der Finanzmärkte und zu sinkenden Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen.

EZB in der Grauzone

Das sogenannte OMT-Programm trat im September 2012 auf Beschluss des EZB-Rats in Kraft. OMT steht für "Outright Monetary Transactions" ("geldpolitische Offenmarktgeschäfte").

Im Rahmen des OMT-Programms kann die EZB unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen bestimmter Euroländer in vorab nicht explizit begrenzter Höhe über den Sekundärmarkt aufkaufen.

Erklärtes Ziel ist es, "ernsthaften Störungen an einzelnen Anleihemärkten entgegenzuwirken und so die Voraussetzungen für das Funktionieren der geldpolitischen Transmission zu schaffen".

Bundesbank-Chef Weidmann lehnte die OMT im EZB-Rat wegen "ihrer Nähe zur verbotenen monetären Staatsfinanzierung und den mit ihr einhergehenden Folgen und Fehlanreizen" ab.

Damit die Wertpapierkäufe die Menge des umlaufenden Zentralbankgeldes nicht erhöhen, bietet die EZB zinsattraktive Einlagegeschäfte an. Auf diese Weise will die EZB dem Bankensystem Zentralbankgeld in Höhe des OMT-Volumens entziehen.

(Quelle: Bundesbank)

Die Kläger der sieben Ausgangsverfahren werfen der EZB vor, mit dem Programm ohne jegliche Legitimation des Bundestags unkalkulierbare Haftungsrisiken für den deutschen Haushalt zu schaffen und damit das Budgetrecht der Abgeordneten zu verletzten. So entschieden, mochte es keiner der nach Karlsruhe eingeladenen Ökonomen ausdrücken, auch wenn sie nicht an Kritik sparten.

"Diese Retterei ist außerordentlich gefährlich", sagte etwa der Präsident des Münchner ifo Instituts, Hans-Werner Sinn. Das EZB-Programm rege wirtschaftsschwache Länder an, weitere Schulden zu machen. Es passe außerdem nicht zusammen, dass Deutschland beim ESM mit höchstens 190 Mrd. Euro haften dürfe, während die EZB theoretisch unbegrenzt Staatsanleihen erwerben könne. Sinn warnte erneut vor Milliardenrisiken für Deutschlands Steuerzahler.

Der Sachverständige Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung sagte mit Blick auf das OMT-Programm, die EZB bewege sich "in einer Grauzone". Seiner Auffassung nach wird Krisenländern mit dem OMT-Programm der Zugang zu den Finanzmärkten aufrechterhalten. Dies sei unzulässige Finanzpolitik.

Zwar sei ein EZB-Einschreiten über das OMT an einen Hilfsantrag des betroffenen Landes beim Rettungsfonds ESM und damit an politische Auflagen geknüpft. Wenn der Bundestag aber wegen des deutschen ESM-Anteils mit einem solchen Antrag befasst würde, wüssten die Abgeordneten nicht, wie viel Geld letztlich bereitgestellt würde. "Es ist klar, dass damit für den deutschen Steuerzahler zusätzliche Risiken übernommen werden", sagte Fuest.

Harald Uhlig, Berater bei der EZB und der deutschen Bundesbank, verwies darauf, dass Experten im Ausland "eine klare Trennung von Geldpolitik und Fiskalpolitik nicht als traditionelle Aufgabenbeschreibung von Zentralbanken sehen". In der Krise des vergangenen Jahres habe man international gehofft, dass die EZB "das große Gewehr rausholt" und den Zinsspekulationen ein Ende bereitet.

Entscheidung zurückgereicht

Anhand dieser Aussagen muss Karlsruhe nun entscheiden, ob die EZB mit dem OMT-Programm gravierend gegen Europarecht verstößt, weil sie sich womöglich Kompetenzen anmaßt, die nur der Politik zustehen. Sollte das Gericht zu diesem Ergebnis kommen, müsste es den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen, da die EZB als EU-Organ nur der Rechtsprechung des Luxemburger Gerichts unterliegt.

Die Verfassungshüter könnten Prozessbeteiligten zufolge allerdings auch eines ihrer "Ja-Aber-Urteile" fällen und die EZB-Politik unter Auflagen, wie zusätzlicher Transparenz, billigen. Mit einem Urteil wird im Herbst gerechnet.

Klare Warnung von Lagarde

Doch noch bevor sie sich zurückziehen konnte, gab es für die Karlsruher Richter eine klare Warnung von IWF-Chefin Christine Lagarde davor, die Arbeit der EZB zu behindern. Erst das Eingreifen der EZB mit der Ankündigung des OMT-Programms habe die Lage in der Währungsunion stabilisiert und mögliche Staatsbankrotte verhindert, sagte Lagarde der "Süddeutschen Zeitung".

Die IWF-Chefin betonte, dass es ohne die Aussage von Notenbankpräsident Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Anleihen kriselnder Euro-Länder zu kaufen, heute in der ganzen Euro-Zone wirtschaftliche Stagnation, höhere Arbeitslosigkeit und noch mehr soziale Spannungen" geben würde. Die Ankündigung des sogenannten OMT-Programms sei "der Wendepunkt" gewesen.

Diskussion geht weiter

Herta Däubler-Gmelin erschien offenbar gut ausgerüstet mit Unterlagen in Karlsruhe.

Herta Däubler-Gmelin erschien offenbar gut ausgerüstet mit Unterlagen in Karlsruhe.

(Foto: dpa)

Auch anderorts ist mit dem Ende der Anhörungen noch lange nicht das Ende der Diskussionen erreicht. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sprach sich bei der Verhandlung für eine engere Definition des geldpolitischen Mandats der Notenbank aus. Er sei bereit, den Freiraum einzuschränken. Denn aus dem Freiraum resultierten Probleme für die Glaubwürdigkeit der Zentralbank und Stabilitätsrisiken, so Weidmann in Karlsruhe.

Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die zu den Klägern gehört, sieht Chancen für einen Erfolg: "Das Vernünftigste wäre jetzt, dass Karlsruhe sagen würde: Wir wollen, dass die Auflagen, die wir im letzten Urteil gegeben haben, auf den Buchstaben eingehalten werden. Das heißt: Umgehungsmöglichkeiten via EZB ohne Bundestag und ohne Haftungsgrenzen geht nicht."

EZB-Direktor Benoit Coeure sprach sich dagegen aus, am Mandat der Europäischen Zentralbank zu rütteln. "Wir müssen das Mandat nicht ändern, wir müssen die Ziele nicht ändern", betonte der Franzose auf einer Konferenz in Berlin. Das Handeln der Notenbank orientiere sich primär am Ziel der Preisstabilität. Es sei in Zeiten der Krise aber besonders wichtig, dass die Unabhängigkeit von Zentralbanken bewahrt bleibe. "Das gilt insbesondere für Europa, wo die Zentralbank von 17 Regierungen umgeben ist." Es gelte, "überall aufkommenden nationalistischen Versuchungen" zu widerstehen.

Auch EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen verteidigte die ergriffenen Maßnahmen als "normales Instrumentarium" der Geldpolitik. Es müsse sichergestellt werden, "dass das Kaufen und Verkaufen von Staatsanleihen auf Sekundärmärkten als geldpolitische Operation möglich bleibt." "Das Ziel von OMT ist nicht, Staateninsolvenz zu vermeiden", betonte Asmussen. Es gehe darum, der Geldpolitik zu Durchschlagskraft zu verhelfen.

Quelle: ntv.de, sla/rts/AFP

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