Wirtschaft

Beitritt in der Krisenzeit Estland bekommt den Euro

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit an der Bushhaltestelle: Estland bekommt den Euro.

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit an der Bushhaltestelle: Estland bekommt den Euro.

Im Schatten der Schuldenkrise wird Estland zum Jahreswechsel Mitglied der Euro-Zone. Rund 1,3 Millionen Esten müssen sich von der Krone - dem Symbol ihrer Unabhängigkeit - verabschieden. Es ist das erste Mal, dass eine ehemalige Sowjetrepublik die europäische Gemeinschaftswährung einführt.

Die Deutschen kennen das: Euro-Starterkit, hier in der estnischen Version.

Die Deutschen kennen das: Euro-Starterkit, hier in der estnischen Version.

Zum Jahreswechsel führt Estland als 17. Staat der Europäischen Union die Gemeinschaftswährung Euro ein. Das kleine Land im Baltikum, das als Musterknabe in Sachen Haushaltsdisziplin gilt, gehört der EU seit 2004 an. Bankangestellte bestücken seit Tagen die Schalterkassen und Geldautomaten im Land mit den neuen Münzen und Banknoten. Wie bei der Euro-Einführung vor neun Jahren in Deutschland, liegen für die rund 1,3 Millionen Estinnen und Esten sogenannte Starterkits mit einer Zusammenstellung prägefrischer Euro-Münzen bereit. Eine groß angelegte Informationskampagne bereitet Einzelhändler und Kunden seit Wochen auf das Aussehen und die Sicherheitsmerkmale der neuen Geldscheine vor.

Mitten in der Schuldenkrise bekommt die Euro-Zone Zuwachs und niemanden schient es zu beunruhigen. Was zunächst wie ein Paradoxon klingt, entpuppt sich im Falle von Estland als gar nicht abwegig. Der Beitritt des baltischen Staates am 1. Januar gilt schlichtweg als logischer Schritt. Estland weist in Europa eine der niedrigsten Staatsverschuldungen auf und hat die Währungsumstellung von Krone zu Euro langfristig vorbereitet. Der Beitritt des 17. Landes zur Währungsunion werde ähnlich problemlos ablaufen wie der Einstieg Maltas oder Sloweniens, sagte Michael Schubert, Analyst der Commerzbank.

Ein letztes Mal Kronen: Wehmütige Barhebungen im Dezember 2010.

Ein letztes Mal Kronen: Wehmütige Barhebungen im Dezember 2010.

Die Regierung in Tallinn hofft darauf, durch den Euro neue ausländische Investoren anzulocken und den Handel zu stärken. Zudem ist es für das nordeuropäische Land ein weiterer Schritt in Richtung Westen - heraus aus der Umklammerung des mächtigen Nachbarn Russland. Die meisten Esten denken allerdings eher in praktischeren Dimensionen, sagen Beobachter. Der kleine Mann hoffe, Geld zu sparen, heißt es. Durch die Einführung des Euro könnten vor allem Hausbesitzer profitieren. Ihre Hypotheken laufen bei den großen in Estland tätigen ausländischen Geldhäusern wie der Swedbank, SEB und Nordea ohnehin längst in Euro. Das Thema Wechselkursrisiko fällt restlos weg.

"Innezuhalten wäre Panikmache"

Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) verweist auf die Errungenschaften Estlands. Das Land sei kaum verschuldet und politisch stabil, erklärt Heinemann. Deswegen müsse der Beitritt zur Euro-Zone auch in der Schuldenkrise vollzogen werden. "In der Krise innezuhalten und den Prozess zu stoppen, wäre Panikmache."

Die komplette Sammlung auf einen Blick: Münzen aus 17 Euro-Staaten, plus Monaco, San Marino und Vatikan.

Die komplette Sammlung auf einen Blick: Münzen aus 17 Euro-Staaten, plus Monaco, San Marino und Vatikan.

Vor diesem Hintergrund warb Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Gemeinschaftswährung. "Der Euro ist ja weit mehr als eine Währung", sagte sie in ihrer vorab verbreiteten Neujahrsansprache. Der Euro sei die Grundlage für den Wohlstand im Land, betonte die CDU-Vorsitzende, die sich ausdrücklich zur europäischen Idee bekannte. "Das vereinte Europa ist der Garant für unseren Frieden und Freiheit."

Auf die Turbulenzen an den Märkten für Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten, die Finanzminister und Regierungschefs in den vergangenen Monaten unter Druck gesetzt hatten, ging Merkel nicht näher ein. Der Bundeskanzlerin selbst war in der Debatte um finanzielle Hilfen für Griechenland und Irland vorgehalten worden, sich zu wenig für die europäische Idee einzusetzen. "Deutschland braucht Europa und unsere gemeinsame Währung", sagte sie nun in ihrer an die deutsche Bevölkerung gerichteten Ansprache. "Für unser eigenes Wohlergehen wie auch, um weltweit große Aufgaben zu bewältigen."

Mitten in der Euro-Krise, die Rettungsaktionen für wackelnde Euro-Länder wie Griechenland und Irland notwendig machte, sind Staaten mit stabiler Haushaltspolitik in der EU willkommen. "Der Eintritt Estlands in den Euroraum ist ein starkes Signal für die Attraktivität des Euro und die Stabilität, die dieser den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bringt", sagte der Präsident der EU-Kommission Jose Manuel Barroso.

Der Musterknabe Europas

Mit Estland als 17. Mitglied leben etwa 330 Millionen Menschen in der Eurozone. Endgültig grünes Licht für die Einführung der EU-Währung gaben die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen im Juni in Brüssel. Estland erfüllt im Gegensatz zu seinen baltischen Nachbarn Lettland und Litauen die Beitrittsbedingungen mit einem annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt und geringen öffentlichen Schulden.

Pressekonferenz in Tallin am Vorabend der Euro-Einführung: Premierminister Andrus Ansip, eingerahmt von Finanzminister Jürgen Ligi (links) und Zentralbankchef Andres Lipstok. Keiner der Herren zeigt Zeichen der Begeisterung.

Pressekonferenz in Tallin am Vorabend der Euro-Einführung: Premierminister Andrus Ansip, eingerahmt von Finanzminister Jürgen Ligi (links) und Zentralbankchef Andres Lipstok. Keiner der Herren zeigt Zeichen der Begeisterung.

EU-Währungskommissar Olli Rehn nannte den Euro-Beitritt Estlands daher eine "gerechte Belohnung für ein Land, das sich einer soliden Haushaltspolitik verschrieben hat". Der Euro werde der estnischen Wirtschaft Stabilität und Wohlstand geben. Von den neuen ost- und zentraleuropäischen Mitgliedsländern der Union haben bisher nur Slowenien (Beitritt 2007) und die Slowakei (Beitritt 2009) dieses Ziel erreicht.

Wann die nächsten jungen EU-Länder ihre heimische Währung gegen den Euro tauschen werden, ist ungewiss. Im sogenannten "Wartezimmer" des Euro, dem Europäische Wechselkursmechanismus, haben bislang nur Lettland und Litauen Platz genommen, neben Dänemark, das aber derzeit nicht als Euro-Kandidat gilt. Das Land im Norden hat sich eine Ausnahmeregelung zusichern lassen und steuert damit nicht automatisch in Richtung Eurozone - wie auch Großbritannien. Alle anderen Länder hatten sich mit dem EU-Beitritt verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die Bedingungen erfüllen.

Rettungsschirm verschreckt Anwärter

Während Estland mit dem Euro-Beitritt große Erwartungen verknüpft, ist das Interesse anderer Mitgliedskandidaten wie Polen und Tschechien mit den Rettungsaktionen für Griechenland und Irland rapide gesunken. Seit an den Kapitalmärkten Unsicherheit über die Stärke der Währungsgemeinschaft herrscht und die Angst vor einer Transferunion umgeht, sind die Staaten zu Bedenkenträgern geworden. Eile bei der Einführung der Gemeinschaftswährung verspüren sie schon lange nicht mehr.

"Der Euro ist ja weit mehr als eine Währung"

"Der Euro ist ja weit mehr als eine Währung"

Dazu tragen auch die Zweifel über die Bewältigung der Schuldenkrise in Portugal und Spanien bei. Diese Länder zeigten, dass auch ein Euro-Land an den Märkten hohe Refinanzierungskosten haben könne, merkte JP Morgan an. "Es gibt mehr Risiken, wenn man in der Euro-Zone ist als wenn man nicht in ihr ist", sagte jüngst der polnische Notenbankchef Marek Belka. Die Möglichkeit der Landeswährung Zloty zur Abwertung hat wohl hauptsächlich dazu beigetragen, dass das Nachbarland Deutschlands im vergangenen Jahr nicht in die Rezession rutschte.

"Zurückhaltung ist das Gebot der Stunde", umschreibt LBBW-Analyst Jens-Oliver Niklasch die Stimmung dieser Länder. JP Morgan hat unlängst seine Erwartungen deutlich zurückgeschraubt und rechnet jetzt frühestens für 2019 mit einem Beitritt Polens und Ungarns - etwa fünf Jahre später als zunächst erwartet. Die anderen baltischen Staaten Litauen und Lettland dürften es nach Einschätzung von Capital-Economics-Ökonom Neil Shearing frühestens 2015 schaffen.

EZB blickt skeptisch nach Tallinn

Estland feiert nicht nur das neue Jahr, sondern auch die Einführung des Euro.

Estland feiert nicht nur das neue Jahr, sondern auch die Einführung des Euro.

(Foto: dpa)

Wäre es nach der Europäischen Zentralbank (EZB) alleine gegangen, würde Estland zum 1. Januar kein Mitglied der Währungsunion. Die Notenbank hatte im Frühjahr Vorbehalte gegen einen Beitritt geäußert. Es sei fraglich, ob das baltische Land seine Inflation gut genug im Griff habe, hieß es damals. Die EU-Kommission hatte Mitte Mai die EZB überstimmt und grünes Licht für die Aufnahme der Esten in die Euro-Zone gegeben. Die Inflation des Ostsee-Anrainers ist zuletzt gefallen. Für kommendes Jahr rechnet die Notenbank mit einem Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent.

Bei der EZB zieht der Beitritt Estlands zur Währungsunion ein Stühlerücken nach sich: Denn nun sitzen die Zentralbankchefs von 17 und nicht mehr 16 Euro-Ländern im Kreis des EZB-Rats, der sich alle zwei Wochen im 36. Stock des Euro-Towers in Frankfurt trifft. Im sogenannten erweiterten Rat der EZB war Estland schon seit dem Beitritt zur EU mit dabei.

Eine Frau mit der neuen Währung in Tallinn.

Eine Frau mit der neuen Währung in Tallinn.

(Foto: dpa)

Diesem Gremium gehören neben EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und seinem Stellvertreter Vitor Constancio die Notenbankchefs aller 27 EU-Länder an. Während der erweiterte Rat vor allem ein Beratungsgremium ist, darf Estlands Zentralbankgouverneur Andres Lipstok ab Januar als Mitglied des EZB-Rats nun endlich auch bei der Geldpolitik mitentscheiden.

Quelle: ntv.de, mmo/dpa/rts

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