Wirtschaft

Die Brexit-Auswanderer Droht Großbritannien der ultimative Exodus?

Nach dem Brexit-Referendum sprechen viele Banken, Fluggesellschaften und andere Konzerne bereits von Umzug. n-tv.de fragt Experten, wer wirklich auswandern muss und wie der Zeitplan dafür aussieht.

Die Banken würden wohl die Ersten sein: Die Lloyds Banking Group hat bereits angefangen, Goldman Sachs und JP Morgan denken zumindest darüber nach. Die Fluggesellschaft Ryanair bereitet ihre Mitarbeiter darauf vor. Vodafone hat es auch schon angekündigt: Es ist Zeit, die Koffer zu packen.

Viele Unternehmen erwägen, ihren Firmensitz nach dem Brexit-Votum aus Großbritannien in die Europäische Union verlegen. Im Augenblick sei jedoch alles noch in einem sehr frühen Planungsstadium, sagen die Experten der internationalen Rechtsanwaltskanzlei CMS: "Die ersten Umzüge werden wir erst sehen, sobald absehbar ist, wie die Vereinbarungen zwischen Großbritannien und der EU im Einzelnen aussehen."

Je nach Größe des Unternehmens kalkulieren die Anwälte fürs juristische Prozedere mit bis zu einem Jahr. Wenn die Londoner Regierung gemäß der Volksabstimmung bis September offiziell ihre Austrittsabsicht mitteilt, beginnt die Zweijahresfrist nach Artikel 50 des EU-Vertrags. In dieser Zeit muss das neue Vertragswerk ausgearbeitet werden. Geplante Fertigstellung: September 2018.

Mitte 2017 sollte aber bereits absehbar sein, ob und welche Restriktionen es beim Binnenmarktzugang geben wird, glauben die Anwälte von CMS. Dann werden auch die richtigen Vorbereitungen für einen möglichen Wegzug beginnen. "Je mehr Beschränkungen absehbar sind, desto mehr Aktivitäten werden wir sehen." Die endgültige Entscheidung für oder gegen Großbritannien werde im allerletzten Moment fallen.

Sich diese Option offenzuhalten, ist wichtig für die Unternehmen. Denn noch ist es möglich, dass sich London die "Rosinen" aus dem EU-Vertragswerk pickt. Zudem schmiedet die Regierung angesichts des drohenden Exodus' Pläne, wie Unternehmen zum Beispiel mit paradiesischen Steuersätzen im Land gehalten werden können. Die Ankündigung mancher Unternehmen werde am Ende in die Kategorie "Drohung" fallen, so die Anwälte. "Wenn sich ein Unternehmen so früh aus der Deckung wagt, ist das aus unserer Sicht eher eine Warnung an die britische Regierung nach dem Motto 'Seht mal zu, dass wir den Binnenmarktzugang behalten', sonst sind wir weg."

Wer sollte die Koffer packen?

Einen zwingenden Grund für einen Exodus sehen die Experten nicht. Sie rechnen eher damit, dass ein Herdentrieb einsetzt. "Wenn es keinen Export gibt, kann man ein Unternehmen problemlos aus London steuern. Es gibt ja auch Konzerne, die aus New York gesteuert werden", sagt CMS-Partner Dirk Jannott.

Vier Punkte sollten Unternehmen in Großbritannien deshalb nach Ansicht der Experten für sich prüfen: Erstens: die Genehmigungssituation. Können sie ihren Geschäften auch nach dem Brexit EU-weit nachgehen? Zweitens: steuerliche Aspekte. Ausschlaggebend werde sein, ob der Brexit sich auf in Europa erwirtschaftete Gewinne auswirkt, wenn die Konzernzentrale weiterhin in London ist, so die Rechtsanwälte weiter.

Beim dritten Aspekt geht es um Datenschutz. Der ungehinderte Austausch von Daten zwischen Großbritannien und EU ist für einige Unternehmen essenziell wichtig. Das vierte Thema betrifft die Ausfuhr von Waren. Fallen Zölle für Produkte an, die in die EU exportiert werden, wäre auch dies ein Grund abzuwandern.

"Jedes Unternehmen muss diese Prüfliste für sich beantworten. Schwarz und weiß gibt es nicht", sagt Marcel Hagemann von CMS. Es komme immer auf den Einzelfall an. Auf jeden Fall stehen viele Entscheidungen an: In welches EU-Land will ein Unternehmen umziehen? Davon hängt unter anderem ab, welche Unternehmensform angenommen wird. Juristen müssen beauftragt werden.

Wird London den Abzug verhindern?

Außerdem muss im Land der Wahl ein neuer Standort, möglicherweise eine neue Produktionsstätte gefunden oder gebaut werden. Entschieden werden muss auch, welche Mitarbeiter mitgehen und welche nicht. Hier muss gegebenenfalls das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Letztlich müsse der "Leidensdruck relativ hoch sein", damit eine Firma diesen Aufwand betreibe, so Hagemann weiter. Je mehr man aus London wegverlagere, umso größer sei auch der operative Aufwand für ein Unternehmen.

Spannend wird, wie sich die Regierung in London weiter verhalten wird, vor allem wenn wirklich eine Brexit-Flucht einsetzen sollte. Wird sie politisch gegensteuern und den Abzug der Unternehmen versuchen zu verhindern? Hebel dafür gäbe es, räumen die Anwälte ein. Ernsthaft damit rechnen tun sie aber nicht. Letztlich müsse London bei einem Wegzugsverbot bedenken, welche Wirkung diese Haltung international hätte und welchen Schaden sich London als liberaler und wirtschaftsfreundlicher Standort zufügen würde.

Quelle: ntv.de

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