Wirtschaft

"Wir sehen Anzeichen" Draghi hält den Leitzins flach

"Wir schauen uns alle Faktoren an und werden dann entscheiden": Mario Draghi.

"Wir schauen uns alle Faktoren an und werden dann entscheiden": Mario Draghi.

(Foto: dpa)

Europas oberster Währungshüter Draghi hält erstmal die Füße still. Die EZB widersteht dem Ruf nach einer weiteren Zinssenkung zur Stützung der schwächelnden Konjunktur. Gerade einmal zwei Monate im Amt, hat Draghi jedoch bereits bewiesen: Zur Not ist die Notenbank zu fast allem bereit.

Nach der jüngsten Geldflut wollen die Währungshüter in der Europäischen Zentralbank (EZB) erst einmal abwarten. Europas Notenbanker halten den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von 1,0 Prozent und widerstehen vorerst Forderungen nach noch niedrigeren Zinsen.

Der Zins bleibt, wo er ist. Die Entscheidung soll einstimmig gefallen sein.

Der Zins bleibt, wo er ist. Die Entscheidung soll einstimmig gefallen sein.

(Foto: dpa)

Die Entscheidung fiel bei der ersten Sitzung des geldpolitischen Rates im neuen Jahr. Nach zuvor zwei Senkungen in Folge hatten Volkswirte mit dieser Zinspause gerechnet.

Bei der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid begründete EZB-Präsident Mario Draghi die Entscheidung: Es gebe "vorsichtige Anzeichen" für eine Stabilisierung der Wirtschaft im Euroraum, sagte Draghi. Einige der kriselnden Staaten machten sehr substanzielle Fortschritte bei der Sanierung ihrer Haushalte. Jedoch bleibe das wirtschaftliche Umfeld von hoher Unsicherheit geprägt.

Nach Draghis Amtsantritt im November hatte der EZB-Rat zwei Mal in Folge den wichtigsten Zins zur Versorgung der Kreditwirtschaft im Euroraum mit Zentralbankgeld um jeweils 0,25 Punkte gekappt. Wegen der schwächelnden Konjunktur fordern etliche Volkswirte, den Zins erstmals seit Einrichtung der EZB 1998 unter 1,0 Prozent zu senken. Auf die Frage, ob er das ausschließe, antwortete Draghi: "Wir schauen uns alle Faktoren an und werden dann entscheiden."

Die Wirkung der Zinsen

Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite für Unternehmen und Verbraucher und können so das Wachstum anschieben. Allerdings befeuern sie zugleich die Inflation. An der Preisfront deutete sich jedoch zuletzt zunehmend Entspannung an. Die EZB erwartet, dass die Teuerungsrate noch einige Monate über der Zwei-Prozent-Marke verharren, dann aber unter diese Schwelle sinken wird. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent an.

Gegen einen weiteren Zinsschritt spricht: Noch haben die jüngsten massiven Maßnahmen der Notenbank nicht ihre volle Wirkung entfaltet. Außer mit extrem niedrigen Zinsen greifen die Währungshüter den von Staatsschulden- und Vertrauenskrise gebeutelten Banken mit einem umfangreichen Sonderpaket unter die Arme. Unter anderem reichte die EZB kurz vor Weihnachten über einen außergewöhnlich langen Dreijahreskredit fast 500 Mrd. Euro an Geldinstitute der Eurozone aus.

"Wir sehen Anzeichen, dass diese Mittel tatsächlich in der Wirtschaft ankommen", sagte Draghi. Die Banken, die sich im Dezember mit Zentralbankgeld eindeckten, seien nicht dieselben, die derzeit hohe Summen bei der Notenbank parkten. Aktuell liegen die eintägigen Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB mit bis zu 485 Milliarden Euro auf Rekordhöhe. Beobachter werten das als Beleg für anhaltendes Misstrauen der Banken untereinander.

Draghi bekräftigte, alle Sondermaßnahmen der EZB seien zeitlich begrenzt. Er befand aber zugleich, ohne das Eingreifen der EZB wäre die Gefahr einer Kreditklemme größer gewesen. Die Notenbank selbst hatte im Dezember festgestellt, die Finanzstabilität im Euroraum sei so stark gefährdet wie nie seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008.

Analysten greifen zur Goldwaage

In ersten Reaktionen suchten Analysten in den Erläuterungen Draghis bei der monatlichen EZB-Pressekonferenz wie üblich nach neuen Hinweisen auf die mögliche geldpolitische Kursänderungen. "Er hat sich sehr eng an das gehalten, was er auch bei der letzten Pressekonferenz gesagt hat", kommentierte zum Beispiel Commerzbank-Ökonom Michael Schubert Draghis Aussagen. "Im Großen und Ganzen sieht die EZB ihre Einschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung bestätigt. Deshalb klingt es auch nicht so, dass sie kurzfristig weitere Maßnahmen ergreifen wollen. Sie wollen erst einmal abwarten, wie sich die Situation entwickelt", schätzte Schubert.

Zugleich jedoch halte sich Draghi jedoch alle Optionen offen, erklärte Schubert. "Schließlich sprach er auch von beträchtlichen konjunkturellen Abwärtsrisiken. Wir erwarten jedoch keine Zinssenkung mehr. Zuletzt haben die nach vorne gerichteten Konjunkturindikatoren ja eher positiv überrascht. Die erste Zinserhöhung wird aber noch mehrere Jahre auf sich warten lassen."

Freie Hand für Februar?

Thomas Amend von HSBC Trinkaus bewertete die EZB-Pressekonferenz ähnlich. "Das ist alles recht unspektakulär. Das hat sich abgezeichnet, nachdem die EZB schon im Dezember ihren Zins gesenkt und die Finanzmärkte mit Geld geflutet hat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in den kommenden Monaten weitere Zinssenkungen sehen werden. Ob es dazu kommt, hängt maßgeblich vom Konjunkturverlauf ab."

Die Frage sei, so Amend weiter, wie stark die Schuldenkrise auf die Konjunktur durchschlage. "Die EZB hat freie Hand, weil die Inflation im Jahresverlauf unter die Zielmarke von zwei Prozent sinken dürfte. Draghi lässt nicht erkennen, ob eine Zinssenkung schon im Februar ansteht. Er hält sich alle Optionen offen", meinte Amend mit Blick auf die Entscheidungen Draghis. "Der Spielraum ist begrenzt, weil der Zins schon auf einem Rekordtief liegt. Ob er nun bei 1,0 oder 0,75 Prozent liegt, macht für die Banken keinen großen Unterschied. Die Frage ist: Wird das billige Geld an die Realwirtschaft weitergereicht?"

Draghi wartet auf die Politik

"Konjunkturell ist die EZB noch immer sehr pessimistisch gestimmt, obwohl Draghi immerhin von Anzeichen für eine Bodenbildung spricht", ergänzte Ulrich Kater von der Dekabank. "Die Risiken sind jedoch aus Sicht der EZB weiter nach unten gerichtet. Insgesamt liefert die EZB damit eine sehr zurückhaltende Bewertung der konjunkturellen Lichtblicke seit Jahresanfang."

Mit Blick auf die Schuldenkrise sei Draghi auch auf das Verhalten der anderen "Spieler" eingegangen, gab Deka-Analyst Kater mit Blick auf die politischen Akteure zu bedenken. Draghi habe zwar deren Beschlüsse gelobt, aber gleichzeitig auch angemahnt, dass noch viel umzusetzen sei. Insbesondere habe Draghi gefordert, dass die "Umsetzung einer nachhaltigen Haushaltspolitik - etwa in Form der Schuldenbremsen - so schnell wie möglich abgeschlossen werden" müsse.

"Die weiteren Reaktionen der Zentralbank werden davon abhängen", fasste der Analyst der Dekabank zusammen. "Draghi hat die Tür für Zinssenkung nicht geschlossen. Die EZB ist grundsätzlich bereit, die konjunkturellen Bremseffekte der Haushaltskonsolidierung durch ihre Politik abzumildern. Deshalb rechnen wir noch mit einer weiteren Reduzierung des Leitzinses, die abhängig von der Entwicklung auch bereits im kommenden Monat erfolgen könnte."

Quelle: ntv.de, nne/dpa/rts

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