Wirtschaft

Digitalsteuer für Internetriesen "Die Kanzlerin benutzt gerne Buzzwords"

Eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft bis Ende 2018? Fachleute halten das für ambitioniert.

Eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft bis Ende 2018? Fachleute halten das für ambitioniert.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die EU-Kommission will Google, Facebook und Co. stärker zur Kasse bitten. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Warnungen vor Schnellschüssen werden laut. Exportweltmeister Deutschland könnte zum Verlierer des Plans werden.

Das Überraschungsmoment hatte Kanzlerin Angela Merkel auf ihrer Seite, als sie eine radikale Reform der Unternehmensbesteuerung vorschlug, die das Einsammeln digitaler Informationen berücksichtigt. "Die Bepreisung von Daten, besonders die der Konsumenten, ist aus meiner Sicht das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft", sagte sie Ende Mai. Denn schließlich hinterließen Milliarden Internetnutzer kostenlos Spuren im Netz, mit denen Unternehmen viel Geld verdienten.

Gemeint sind damit vor allem die Web-Giganten Google, Amazon, Facebook und andere US-Konzerne, die aus Sicht der meisten EU-Staaten viel zu wenig Steuern in Europa zahlen. Das will die EU-Kommission ändern: Zunächst will sie eine pauschale "Ausgleichssteuer" von drei Prozent auf Umsätze für Unternehmen erheben, wenn sie weltweit jährlich mehr als 750 Millionen Euro Ertrag erwirtschaften und davon mindestens 50 Millionen auf den europäischen Binnenmarkt entfallen. Gedacht ist sie als Übergangslösung, bis die EU-Länder eine rechtlich einwandfreie Lösung gefunden haben, Google und Co. zu "digitalen Betriebsstätten" erklären und sie dann wie Unternehmen mit "physischer Präsenz" auf dem Kontinent besteuern zu können.

Vor allem Frankreich macht Druck. Gemeinsam mit Deutschland erklärte es Mitte Juni, "eine EU-Einigung über eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft bis Ende 2018 herbeizuführen". Fachleute aus Wissenschaft, Verbänden und Politik halten dieses Ziel für sportlich und warnen vor Schnellschüssen. Denn die Materie ist hochkompliziert, schon allein deshalb, weil die Abgrenzung zwischen Umsatz und Ertrag - etwa auf Vermittlerplattformen - teils enorm schwierig ist.

Der Teufel steckt im Detail

"Eine unüberlegte Hauruck-Aktion wird neue internationale Tendenzen zur Doppelbesteuerung auslösen", warnt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", meint Hessens Finanzminister und CDU-Politiker Thomas Schäfer. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben mahnt, Deutschland und Frankreich sollten nichts überstürzen.

Die Kanzlerin hat es angesichts der massiven Widerstände aus den Wirtschaftsverbänden allerdings auch gar nicht eilig. Die Risiken für Deutschland sind im Finanzministerium bekannt. Merkel will offenbar nicht, dass ihre Regierung die Vorreiterrolle übernimmt. Sie appellierte an die Experten an Hochschulen und Instituten, sich über ein taugliches Modell Gedanken zu machen.

Doch in den Einrichtungen wird - quer durch die Bundesrepublik - betont, dass die Entwicklung eines rundum schlüssigen Konzepts alles andere als einfach sei und Zeit brauche. Zumal internationale, gar weltweite Abkommen im Zeitalter des Donald Trump schwieriger denn je zu realisieren seien. Fachleute halten es zwar für richtig zu prüfen, wie aus Datenerhebungen zu besteuernde Profite entstehen. Zugleich aber warnen sie im Einklang mit dem Bundesfinanzministerium, das Prinzip aufzugeben, den Gewinn im Land seiner Entstehung zu besteuern. Nur, wo fällt der bei Amazon und Google genau an?

Im Finanzministerium heißt es, zunächst müsse Klarheit darüber bestehen, was das politische Ziel sei: "Wollen wir erreichen, dass die IT-Konzerne insgesamt mehr Steuern zahlen?" Wenn sichergestellt wäre, dass sie in den USA 20 Prozent statt Steuern im einstelligen Prozentbereich dem Fiskus überwiesen, wäre die Frage beantwortet. Dieser schließe sich jedoch eine weitere an. "Wollen wir, dass diese Konzerne auch Steuern bei uns abführen?" Eine Umverteilung von Steuereinnahmen würde bedeuten, "dass ein Land dem anderen etwas wegnimmt. Denn eine Doppelbesteuerung will niemand".

Gut Ding will Weile haben

Mittlerweile ist auch umstritten, ob die Brüsseler Angaben zu den Steuerzahlungen der US-Giganten überhaupt stimmten. Sie seien „zum einen hypothetischer Natur und zum anderen von der Kommission ins rechte Licht gerückt worden“, sagt der Ökonom Matthias Bauer vom Europäischen Zentrum für internationale Politische Wirtschaft (ECIPE), einem Think Tank in Brüssel, der als neoliberal gilt. Die effektiven Steuersätze seien ähnlich hoch wie die traditioneller Unternehmen.

In Brüssel kursiert hartnäckig das Gerücht, die EU-Staaten wollten die Digitalsteuer auf die lange Bank schieben, um US-Präsident Trump im Handelskrieg nicht zu reizen. Im Bundesfinanzministerium wird darauf hingewiesen, dass die EU Steuerbeschlüsse einstimmig fällen müsse. "Einige Mitgliedsstaaten wollen das Ganze gar nicht", heißt es. Und das bedeutet so viel wie: Auch ohne die angebliche Rücksicht auf Trump braucht eine Einigung ihre Zeit. 

Den Spekulationen Nahrung gegeben hatte Hessens Finanzminister Schäfer, als er  Ende Mai im Kreise seiner Amtskollegen riet zu beachten, "was das im Umkehrschluss heißen kann, wenn wir beschließen, die Internetgiganten Amerikas bei uns stärker zu besteuern". Das könne ein Bumerang werden. "Das tut einer Exportnation wie Deutschland richtig weh." Die Bundesrepublik tue also gut daran, in Abstimmung mit den EU-Partnern abzuwägen, was zu tun sei. Einen Monat später unterstreicht der CDU-Politiker auf Anfrage von n-tv.de, er hätte zwar eine vernünftige Lösung "lieber heute als morgen". Jedoch: "Aktionismus bringt uns hier nicht weiter." Über die Vorschläge der EU-Kommission werde in Brüssel intensiv diskutiert. Von einem Scheitern des Vorhabens könne nicht gesprochen werden.

Keine "vernünftige Lösung" in Sicht

In der Wissenschaft herrscht Skepsis, ob es – wie in Brüssel geplant – reicht, an Stellschrauben des bestehenden Systems zu drehen. Die Steuerexpertin Pola Schneemelcher vom Berliner Jacques-Delors-Institut erklärt: "Die zwei Ansätze der EU-Kommission sind noch nicht die optimale Lösung." Zunächst müsse einmal geklärt werden, wie und wo genau die großen Internetplayer Erträge erzielten. “Die Idee, eine Steuer nur für den digitalen Markt zu kreieren, ist zu kurz gedacht. Denn sehr gut möglich ist, dass Geschäftsmodelle aus der Steuer rausfallen zu dem Zeitpunkt, an dem sie in Kraft tritt.“ Dann beginne der Prozess von vorne.

Aus Sicht von Viktor Mayer-Schönberger, Professor für die digitale Wirtschaft mit Schwerpunkt Regulierung an der Uni Oxford, greift der Ansatz der EU-Kommission viel zu kurz. Von der Schaffung "digitaler Betriebsstätten" hält er nichts. Wenn fairer Wettbewerb erzeugt werden solle, müssten die US-Konzerne verpflichtet werden, ihre Daten mit kleinen und mittleren Konkurrenten zu teilen. Insofern sei Merkels Ansatz richtig, erklärt der Österreicher auf Anfrage.

"Eine vernünftige Lösung hat momentan niemand", sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er vergleicht soziale Marktwirtschaft und faire Besteuerung mit zwei ungleichen Geschwistern: "Sie mögen sich nicht und hassen sich sogar mitunter. Aber sie sind aufeinander angewiesen."

Die große Koalition ist jedenfalls fest entschlossen, das Geschwisterpaar friedlich zu vereinen. "Die Kanzlerin benutzt gerne Buzzwords, um den Anschein zu wecken, sie kümmere sich um alles“, sagt der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Lothar Binding. Auf die Daten zu verweisen, sei nachvollziehbar. Er hätte es aber klüger gefunden, wenn Merkel "ausgereifte Gedanken entwickelt und sich dann geäußert hätte". Ihre Äußerungen seien so rübergekommen, als solle jeder Bürger besteuert werden, der bei Google etwas suche. "Das ist aber nicht gemeint und schon gar nicht geplant."   

Quelle: ntv.de

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