Wirtschaft

"Flottenverbund" Siemens "Admiral" Kaeser riskiert Machtverlust

Joe Kaeser bastelt an der "Vision 2020+".

Joe Kaeser bastelt an der "Vision 2020+".

(Foto: picture alliance / Tobias Hase/d)

Eine neue Struktur soll das Dax-Schwergewicht Siemens reaktionsschneller machen. Vorstandschef Kaeser arbeitet deshalb an der "Vision 2020+". Er will aus Siemens ein neuartiges Konglomerat machen - und wird wohl dabei Macht abgeben.

Konglomerate sind out. Der Konzern, der auf mehreren Fundamenten steht, die sich in der Not gegenseitig stützen, hat im Börsen- und Konjunkturhoch ausgedient. "Mischkonzerne alter Prägung, die vielfach von Mittelmäßigkeit dominiert werden, wird es bald nicht mehr geben", sagte Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser schon im November. Das einstige Vorbild, der Erzrivale General Electric, der an der Börse im vergangenen Jahr einen regelrechten Absturz erlebt hat, ist ihm ein warnendes Beispiel. Deshalb ist der 60-jährige dabei, Siemens umzubauen - zu einem neuartigen Konglomerat. Doch das bedeutet für den Niederbayern auch: Machtverlust.

Große, schwer steuerbare Konzerne auf die eine oder andere Weise zu zerlegen, sei ein Modetrend, sagt Volkmar Schott, Partner der Unternehmensberatung EY Parthenon in München. "Aber es hat auch damit zu tun, dass die Geschwindigkeit, mit der sich Konzerne auf neue Marktgegebenheiten einstellen müssen, immer höher wird." Grund dafür sei die Digitalisierung, sagt Kaeser.

Zusammengehalten werde ein Unternehmen wie Siemens eigentlich nur von der gemeinsamen Marke. Denn was darin steckt, ändert sich mit der Zeit. Schon heute hat Siemens mit dem Unternehmen zu Beginn des Jahrtausends nur noch 50 Prozent gemein.

Den "Flottenverbund" gibt es nicht

Für seine "Vision 2020+", mit der er den Münchner Konzern ins nächste Jahrzehnt führen will, hat Kaeser sogar ein neues Wort kreiert. Als "Flottenverbund" solle Siemens auftreten, mit vielen wendigen Beibooten neben dem schwerfälligen Tanker. Erst hatte er militärisch korrekt vom "Flottenverband" gesprochen - musste aber einsehen, dass eine "Gruppe von Kriegsschiffen mit gemeinsamer Aufgabe" (Duden) nicht das war, was er sagen wollte. Denn die einzelnen Sparten sollen ihre Aufgaben künftig selbst finden und selbstständig durch die Wellen steuern. "Sie müssen mit den Spezialisten der Branche mithalten können und mindestens so gut sein wie deren stärkster Wettbewerber", forderte er.

Auf der Hauptversammlung am Mittwoch wird "Admiral" Kaeser nicht viel konkreter werden. Erst im April soll die "Vision 2020+" stehen. Dabei hat die Zukunft längst begonnen: Spätestens Ende des Jahres dürfte es vier börsennotierte Unternehmen geben, die den Namen Siemens tragen. Im vorigen Jahr begann es mit der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa, die an der Börse in Madrid gelistet ist. Die Medizintechnik-Sparte Siemens Healthineers - die Ertragsperle - steht in den Startlöchern für einen Börsengang in Frankfurt. Und die Zugsparte soll nach der geplanten Fusion mit der französischen Alstom in Paris gelistet sein.

Auf dem falschen Fuß erwischt

Aus Siemens-Spartenchefs werden damit Vorstandsvorsitzende - das klingt nicht nur auf der Visitenkarte besser. "Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat in Deutschland umfassende Macht", erklärt Berater Schott. Aus der Konzernzentrale durchzuregieren sei damit deutlich schwerer. Das hat Siemens bei Gamesa in Spanien schon schmerzhaft erleben müssen. Kurz nach der Fusion kam es zum Krach mit dem zweiten Großaktionär Iberdrola, der im Aufsichtsrat Streit anzettelte. Und die Gewinnwarnung aus dem Baskenland traf die Zentrale in München völlig überraschend. "Gerade große Spin-offs entwickeln relativ schnell - und auch zurecht - ein Eigenleben und Begehrlichkeiten", weiß Lutz Krämer, der für die Anwaltskanzlei White & Case schon viele Transaktionen begleitet hat. "Reibungsflächen und Fliehkräfte bleiben nicht aus."

Und das will sich Kaeser künftig gleich mehrfach antun? Mit Healthineers, Alstom und Gamesa ist es annähernd die Hälfte des Umsatzes, bei der er nur noch über den Aufsichtsrat eingreifen darf. "Keinen unmittelbaren Einfluss mehr zu haben, muss man auch aushalten können", sagt Berater Schott. Kaeser tut solche Bedenken ab: "Immer diese Vorstellung, dass man über alles die absolute Kontrolle haben muss", sagte er dem "Manager Magazin" kürzlich. "Ein wenig freieres Denken kann nicht schaden."

Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass die Einzelteile mehr wert sind als der Konzern als Ganzes. "Auch wir haben Teile, die von der Börse mit denselben Multiplikatoren bewertet werden wie Apple oder Google", sagte Kaeser der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zum Jahreswechsel. "Die digitale Fabrik und die Gesundheitstechnik etwa, beides supercool." Größere Transparenz birgt aber auch Gefahren - etwa wenn es gerade nicht so gut läuft: "Das kann auch für aktivistische Aktionäre ein Spielfeld sein", sagt Anwalt Krämer.

Alles schon mal dagewesen

Dabei wollte Kaeser deren Begehrlichkeiten mit der neuen Struktur eigentlich zuvorkommen. Noch beteuert er, dass alle börsennotierten Töchter auch künftig mehrheitlich zu Siemens gehören würden. Am Kapitalmarkt glauben nicht alle daran. "Ich würde wetten, dass es bei Healthineers nicht bei einer 75-Prozent-Mehrheit bleibt", sagt ein erfahrener Berater. "Siemens wird sich auf Dauer vielleicht sogar mit der Hauptversammlungs-Mehrheit begnügen." Von Infineon, Epcos und Osram hat sich Siemens über die Zeit komplett getrennt.

Ganz neu sind solche Strukturen für Siemens ohnehin nicht: Bis 1966 waren Siemens & Halske, die Siemens-Schuckertwerke und die Siemens-Reinigerwerke getrennt an der Börse notiert. Hinter der Fusion zur heutigen Siemens AG steckte kein strategischer Plan, sondern schlicht: ein Steuervorteil.

Quelle: ntv.de, Alexander Hübner, rts

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