Wirtschaft

Wer wird nächster EZB-Chef? Weidmanns wundersame Wandlung

Jens Weidmann hat sich erstmals zu den EZB-Anleihekäufen bekannt. Ist das Überzeugung oder Taktik?

Jens Weidmann hat sich erstmals zu den EZB-Anleihekäufen bekannt. Ist das Überzeugung oder Taktik?

(Foto: picture alliance / Patricio Murp)

Jens Weidmann gilt vielen als letzte Bastion gegen die Niedrigzinspolitik. Im Rennen um die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi hat der Bundesbank-Chef eine bemerkenswerte Kehrtwende gemacht: Die Ära des billigen Geldes könnte deshalb noch lange weitergehen.

Seine Wandlung vom geldpolitischen Falken zur Taube kleidet Jens Weidmann in dürre, unprätentiöse Worte. "Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof mit dem OMT befasst und festgestellt, dass es rechtens ist. Im Übrigen ist das OMT geltende Beschlusslage", verkündete Weidmann in dieser Woche lapidar "Zeit Online". Erstmals hat sich der Bundesbankchef damit zur umstrittensten Waffe im Arsenal der Euro-Retter bekannt: Outright Monetary Transactions (OMT), das Programm, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen will, um den Schulden-Kollaps einzelner Euro-Länder und ein Zerbrechen der Gemeinschaftswährung zu verhindern.

Der Umgang mit der geldpolitischen Bazooka, die EZB-Chef Mario Draghi 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise scharf gemacht hat, entzweit schon seit Jahren die prinzipientreuen und stabilitätsorientierten Notenbanker aus Deutschland und Nordeuropa einerseits und die Währungshüter aus dem Süden andererseits, denen Wachstum und der Euro-Erhalt wichtiger sind als abstrakte EZB-Satzungsregeln. Bislang musste das OMT-Programm zwar nicht aktiviert werden. Aber für orthodoxe Geldpolitiker wie Weidmann ist seine bloße Existenz der Beweis, dass die EZB ihre Kompetenzen überschreitet.

Als einziger Notenbanker im EZB-Rat stimmte Weidmann gegen das Anleihe-Kaufprogramm. Er sehe dabei "beträchtliche stabilitätspolitische Probleme", warnte der oberste Bundesbanker vor dem Bundesverfassungsgericht. Die EZB verteile damit "in beträchtlichem Umfang Solvenzrisiken zwischen den Steuerzahlern der Währungsunion um". Und gefährde letztlich den Euro selbst: Geld- und Finanzpolitik zu verwischen, indem die Notenbank Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder kaufe, berge "ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für die Glaubwürdigkeit der Notenbanken."

Vom Anti-Draghi zum Euro-Retter?

Wegen seiner Kritik an den Anleihekäufen gilt Weidmann als Anti-Draghi der EZB, als Überzeugungstäter, als einsamer Kämpfer gegen die für viele Kritiker außer Kontrolle geratene Billiggeld-Politik, mit der die Notenbank seit nun schon fast einem Jahrzehnt die Eurokrise bekämpft. Doch diese Zeiten sind nun offenbar vorbei. "Verrät Jens Weidmann für den EZB-Chefposten seine Ideale?" fragte die "Welt" in dieser Woche.

Jedenfalls hat der Bundesbankchef die strategische Kehrtwende eingeleitet. Denn die bisherige Ablehnung der Anleihekäufe minderte seine Chancen, Draghi im Oktober als neuen EZB-Chef zu beerben. Weidmanns Haltung zur EZB-Bazooka ist für Italien, Griechenland und andere ausgabenfreudige Euro-Südländer, die über die Vergabe des Spitzenpostens mitentscheiden, der Lackmustest: Würde der Deutsche in einer weiteren Existenzkrise des Euro notfalls auch "alles tun" ("whatever it takes"), um Athen, Rom, Lissabon oder Madrid zu retten, wie Draghi es einst versprochen hat? Weidmann hat dazu nun erstmals klar ja gesagt - um sich wählbar zu machen.

Inzwischen gilt er neben dem Finnen Olli Rehn, dem französischen Notenbankchef François Villeroy de Galhau und EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré als aussichtsreichster Kandidat für die Draghi-Nachfolge. Und Weidmanns Chancen, den Italiener als erster Deutscher auf dem EZB-Chefsessel zu beerben, sind diese Woche deutlich gestiegen: Die Suche nach dem neuen EU-Spitzenpersonal haben die Staats- und Regierungschefs ergebnislos vertagt. Da Angela Merkels Favorit Manfred Weber faktisch kaum noch Chancen hat, EU-Kommissionschef zu werden, dürfte sich die Kanzlerin nun umso mehr für Weidmann als EZB-Chef einsetzen.

Berlin will dem Vernehmen nach beim historischen Machtpoker um die EU-Spitzenposten diesmal unbedingt einen Kandidaten durchbringen. Die komplizierten Personalentscheidungen hängen als Gesamtpaket voneinander ab. Weidmann hätte seine Kehrtwende in Sachen Anleihekäufe wohl kaum hingelegt, wenn er nicht zuvor das Signal bekommen hätte, dass Merkel ihn bei der EZB durchboxen will.

Die Kanzlerin bekäme ihren Wunschkandidaten

Schließlich hat er sich damit angreifbar gemacht. Man kann Weidmann nun mit gutem Recht mangelnde Prinzipientreue vorwerfen: Noch im Herbst verkündete er im "Handelsblatt" fast euphorisch, die EZB-Geldpolitik stehe vor der Normalisierung, Staaten sollten sich auf wieder steigende Zinsen einstellen. Die Staatsanleihekäufe der Notenbank dürften die Fähigkeit der Märkte, verschuldete Regierungen durch höhere Finanzierungskosten zu disziplinieren, "nicht vollends aushebeln". Weidmann forderte von Italien einen "nachhaltigen Haushalt" und von allen Euro-Ländern "solide öffentliche Finanzen". Eine "weitere Vergemeinschaftung von Risiken" und "Haftung ohne Kontrolle" lehnte er ab.

All das ist nun erstmal passé. Mit seinem Bekenntnis zur bedingungslosen Euro-Rettung fügt sich der Bundesbanker offenbar dem Zeitgeist. Auch wenn eine weitere Rolle rückwärts nicht ausgeschlossen ist: Ob Weidmann es wirklich ernst meint mit der Euro-Rettung um jeden Preis, oder ob seine wundersame Wandlung nur ein wahltaktisches Manöver war, wird sich erst in der nächsten Krise zeigen.

Der scheidende EZB-Chef Draghi öffnete jedenfalls wie Weidmann erst diese Woche die Tür für neue, weitreichende Geldspritzen: Falls die Inflation nicht anziehe, könnte die EZB über weitere Anleihekäufe und Zinssenkungen noch mehr billiges Geld in die Wirtschaft pumpen, kündigte Draghi plötzlich an. Einige Währungshüter hätten sich dadurch vollkommen überrumpelt gefühlt, berichten Insider aus der Notenbank. Auch Weidmann dürfte dazu gehören. Aber ihm bleibt kaum etwas Anderes übrig, als die Richtung zu akzeptieren, die Draghi auf seinen letzten Metern vorgibt. Jedenfalls dann, wenn er sein Nachfolger werden will.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen