Wirtschaft

Peso, Lira, Real & Rupie crashen Was hinter der Schwellenländer-Krise steckt

Hinter dem Absturz der türkische Liran und anderer Schwellenland-Währungen steckt eine globale Trendwende.

Hinter dem Absturz der türkische Liran und anderer Schwellenland-Währungen steckt eine globale Trendwende.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Währungscrashs in der Türkei, Argentinien, Indien, Indonesien und Brasilien haben viel mit den Wirtschaftproblemen dieser Länder zu tun. Aber auch mit einer globalen Korrektur, die schlimmstenfalls eine neue Finanzkrise auslösen könnte.

Wer derzeit in den Aktien- und Devisenmärkten der Schwellenländer unterwegs ist, braucht starke Nerven. An den Börsen von Buenos Aires bis Jakarta purzeln die Kurse. Notenbanker stemmen sich seit Wochen mit aller Macht gegen den Sinkflug ihrer Landeswährungen.

Begonnen hat der Crash in der Türkei: Dort ist die Lira seit Jahresbeginn über 40 Prozent zum Dollar abgerutscht. Die Zentralbank hat nun zwar endlich eine Zinserhöhung angekündigt. Aber der erhoffte Befreiungsschlag ist wirkungslos verpufft, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Weil sich Präsident Erdogan immer mehr zum Alleinherrscher aufschwingt, glauben die Märkte nicht länger, dass seine Währungshüter unabhängig auf die Krise reagieren können. Der starke Mann am Bosporus stempelt den Absturz als Verschwörung des Westens ab. Statt auf Reformen setzt Erdogan auf Glaubensbekenntnisse: "Sie haben ihren Dollar, wir haben unseren Gott."

In Argentinien sieht es nicht besser aus. Dort hat der Peso seit Januar über die Hälfte seines Werts zum Dollar verloren. Anders als in Ankara hat die Regierung zwar ein drakonisches Sparpaket aufgelegt und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Finanzhilfen von über 50 Milliarden Dollar gebeten. Die Zentralbank hat die Zinsen auf horrende 60 Prozent katapultiert. Doch den Peso-Crash hat das bisher nicht gestoppt.

Und auch in anderen Ländern gibt es Krisen nach dem gleichen Muster: In Indonesien ist die Rupie auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren abgeschmiert. Die Zentralbank griff ein, um den Absturz einzudämmen. In Brasilien hat der Real rund 20 Prozent verloren. Und in Indien ist die Rupie über zehn Prozent abgestürzt.

Geldflucht aus den Schwellenländern

Die Ursachen für den Crash sind überall ähnlich. In vielen Schwellenländern vermischen sich hohe Schulden, steigende Inflation und maues Wachstum zu brisanten Wirtschaftsproblemen, die durch den Reformunwillen vieler Regierungen noch verschlimmert wird. Spekulanten wittern ihre Chance und wetten gegen sie. Besonders anfällig für ihre Attacken sind Länder mit großen Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten, die sich stark im Ausland und in fremden Währungen verschuldet haben. Ihre Gläubiger haben die besten Chancen, ihr Geld nicht wiederzusehen.

Umso schneller fliehen die Investoren dann aus Angst vor der Pleite aus dem Land und reißen dabei dessen Währung in den Abgrund. Der Wert der Auslandsschulden steigt dadurch noch mehr. Das macht es der Regierung noch schwerer, sich zu finanzieren. Besonders gefährlich ist dieser Teufelskreis für Staaten mit vergleichsweise geringen Devisenreserven, die sie auf den Markt werfen können, um die eigene Landeswährung zu stützen. Die Türkei und Argentinien passen perfekt in dieses Schema. Indien, Indonesien und Brasilien sind etwas weniger gefährdet, weil sie höhere Bestände haben. Weitere Kandidaten für einen plötzlichen Währungscrash sind laut IWF Malaysia, Südafrika und Chile.

Doch Finanzbeamte in Brasilia oder Neu-Delhi sind längst nicht die einzigen Verantwortlichen für das Beben in den Schwellenländern. Die Krise ist auch das Ergebnis einer lange überfälligen globalen Anpassung, die von Washington ausgeht: Die US-Notenbank beendet ihre Rettungspolitik nach der Finanzkrise und erhöht schon seit zweieinhalb Jahren die Zinsen. Damit lohnt es sich für Anleger wieder mehr in den USA zu investieren und ihr Geld aus den Schwellenländern abzuziehen, wo sie es während der Nullzinsjahre geparkt haben.

Der IWF warnte schon im April in seinem jährlichen Bericht zur Finanzstabilität, dass durch die beginnende Geldflucht einiges ins Rutschen geraten könnte. Schwellenländer "könnten anfällig für eine plötzliche Verschärfung globaler Finanzierungsbedingungen oder der Normalisierung der Geldpolitik in den Industriestaaten sein". Gefährdet seien Länder mit schwachen Fundamentaldaten.

Ansteckungsgefahr für das Finanzsystem

Hinter dem derzeitigen Sinkflug der Währungen stecken aber nicht nur die Zinswende und schlechte Wirtschaftspolitik. Hinzu kommt noch ein unkontrollierbares Element jeder Finanzkrise: Panik. Wie stark der Herdentrieb noch wird, weiß niemand.

Indonesiens Wirtschaftsminister Darmin Nasution vermutet hinter dem Kursrutsch schon jetzt eine Spekulanten-Attacke statt berechtigte Sorgen um Wirtschaftsprobleme. "Es gab Dinge, die die Abwertung weiter vorantrieben, was wir für unlogisch halten", sagte der frühere Zentralbankchef. Sie spiegele nicht den Zustand der heimischen Wirtschaft wider.

Brandherd Nummer eins ist weiterhin der Bosporus: "Die Gefahr, dass die Türkei-Krise zu einer globalen Emerging-Markets-Krise wird, wird immer größer", sagt Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners. Laut JP Morgan muss die Türkei allein bis Mitte 2019 umgerechnet 153 Milliarden Euro an Auslandsschulden begleichen - fast ein Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Die Schuldenlast regt die Phantasie an, was schlimmstenfalls passieren könnte: Zahlungsausfälle in der Türkei könnte auch westliche Banken in Schieflage bringen. Damit droht die Krise auf westliche Märkte überzugreifen. Besonders italienische, spanische und französische Banken haben stark in die Türkei investiert. Etwaige Ausfälle dürften die Geldhäuser zwar eigentlich nicht umhauen. Aber die Angst wächst.

Selbst die Finanzaufsicht Bafin lässt sich inzwischen offenbar wöchentlich die Türkei-Risiken deutscher Banken berichten - vorsichtshalber. Genau in dieser Ungewissheit liegt die größte Gefahr der Schwellenländer-Krise. Sie ist der Nährboden für eine unkontrollierte Ansteckung, die im Extremfall das globale Finanzsystem erfassen könnte. Erinnerungen an die Asienkrise von 1998 werden wach. Auch damals führten die Probleme thailändischer Banken erst zum Zusammenbruch der Landeswährung Baht und mündeten dann in ein Finanzbeben, das weite Teile der Börsenwelt infizierte. Wie es diesmal kommt, hängt davon ab, wie sich die Entscheider in Ankara, Buenos Aires und an der Wall Street verhalten.

Quelle: ntv.de

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