Wirtschaft

Draghi handelt EZB senkt Leitzins auf Rekordtief

Energische Markteingriffe: Mario Draghi verantwortet ein Paket an teils nie dagewesenen Maßnahmen.

Energische Markteingriffe: Mario Draghi verantwortet ein Paket an teils nie dagewesenen Maßnahmen.

(Foto: REUTERS)

EZB-Chef Mario Draghi lässt Worten Taten folgen: Die Zentralbank senkt die ohnehin schon niedrigen Zinsen noch weiter. Banken müssen künftig einen Strafzins bezahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Aber das ist noch nicht alles.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins im Euroraum wie erwartet nochmals abgesenkt. Der für alle Geldgeschäfte im Euroraum maßgebliche Zinssatz sinkt von seinem bisher ohnehin schon außergewöhnlichen niedrigen Niveau von 0,25 Prozent auf 0,15 Prozent. Gleichzeitig beschloss der EZB-Rat, erstmals einen Strafzins von minus 0,1 Prozent für Bankeinlagen. Zudem kündigte die Notenbank weitere unkonventionelle Schritte an.

Mit der Umsetzung eines umfangreichen Pakets an teils noch nie dagewesenen Maßnahmen verfolgen die Währungshüter zum einen das Ziel, die Kreditvergabe im gesamten Euroraum anzukurbeln. Zum anderen wollen die Notenbanker um EZB-Chef Mario Draghi verhindern, dass die europäische Wirtschaft in eine kaum mehr zu bremsende Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und sinkenden Investitionen von Firmen und Haushalten abgleitet. Dieses Szenario wäre für eine Notenbank im Gegensatz zu einer Inflation, bei der sie die Zinsen einfach hochsetzen müsste, kaum mehr beherrschbar.

Mit dem Maßnahmenpaket reagieren die Währungshüter auf die seit Monaten sehr niedrige Inflation. Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und können so die Wirtschaft antreiben. Das stärkt in der Regel auch den Preisauftrieb. Auch der negative Einlagenzins soll die Inflation beflügeln: Er soll den Euro schwächen und so Importe verteuern. Zudem sollen Banken dazu gebracht werden, überschüssiges Geld nicht bei der EZB zu parken, sondern Verbrauchern und Unternehmen Kredite zu geben. Diese könnten investieren und so der Konjunktur auf die Sprünge helfen.

Im Mai war die aufs Jahr hochgerechnete Teuerungsrate im Euroraum auf 0,5 Prozent gesunken. Sie liegt damit deutlich unterhalb der Zielmarke der EZB von knapp unter 2,0 Prozent. "Wir werden nicht zulassen, dass die Inflation zu lange auf zu niedrigem Niveau bleibt", hatte Draghi erst in der vergangenen Woche betont. Denn der geringe Preisauftrieb schürt Sorgen vor einer Deflation, also einer Abwärtsspirale der Preise quer durch alle Warengruppen. Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen und Anschaffungen in Erwartung weiter sinkender Preise hinauszögern. Das würde die ohnehin fragile Konjunkturerholung in Europa abwürgen.

Stellschraube Leitzins

In normalen Zeiten ist der Leitzins eigentlich die schärfste Waffe einer Notenbank. Mit ihr steuert sie den Preis des Geldes, das sie ausgibt. Steigende Zinsen dämpfen tendenziell die Preise und verhindern eine Überhitzung der Wirtschaft. Senkt die Zentralbank die Zinsen, kann sie das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Da die meisten großen Notenbanken nach fast sieben Jahren Krise mit ihren Zinsen ganz nah an der Nulllinie angekommen sind, wirkt das Werkzeug des Zinses nicht mehr so stark wie früher. Experten rechnen deshalb nicht damit, dass die Zinssenkung der EZB größeren Einfluss auf die Konjunktur haben wird. Allerdings sorgt der niedrigere Leitzins dafür, dass sich Banken billiger refinanzieren können - auch wenn der Zinsvorteil immer geringer wird.

Neu: "Strafzinsen" für Banken

Mit dem Einsatz des bislang vollkommen unüblichen Instruments Minuszinsen will die EZB erreichen, dass Banken ihr Geld lieber als Kredite an Unternehmen und Haushalte geben, als es bei der Zentralbank zu parken. Der Minuszins gilt nur für Übernachteinlagen der Banken bei der EZB. Private Sparer sind davon also nur indirekt betroffen. Ob die Rechnung der Notenbanker aufgeht, ist allerdings völlig unklar.

Die dänische Notenbank hat in den vergangenen Jahren mit solchen Strafzinsen experimentiert und musste feststellen, dass Banken diese zum Teil an ihre Kunden weitergaben - als höhere Kreditzinsen, höhere Kontoführungsgebühren oder, indem sie ihnen weniger Zinsen auf Guthaben zahlten. Kritiker der EZB vor allem aus Deutschland befürchten genau diese unerwünschten Nebenwirkungen.

Doch der EZB geht es wie den Notenbankkollegen in Kopenhagen nicht nur darum, dass die Banken mehr Kredite ausreichen. Sie will mit der Maßnahme auch den Kurs der eigenen Währung unter Druck setzen, indem sie Investoren abschreckt, noch mehr Kapital in die Eurozone zu verschieben. Der starke Euro ist der EZB ein Dorn im Auge, da er über niedrigere Importpreise das Preisniveau in den 18 Euro-Ländern drückt. Doch genau das wollen die Währungshüter verhindern, da so die Gefahr einer kaum mehr zu stoppenden Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und fallenden Investitionen zunimmt.

Zusätzlich: Milliardenspritze

Wie Draghi bekannt gab, will die EZB den Banken dieses Jahr zunächst 400 Milliarden Euro unter besonderen Auflagen zur Verfügung stellen, damit diese das Geld an Unternehmen weiterreichen und die Kredite dann die Wirtschaft beleben. Vor allem in vielen von der Krise hart gebeutelten Ländern in Südeuropa stockt derzeit nämlich die Kreditvergabe.

In Staaten wie Italien und Portugal herrscht eine echte Kreditklemme, weil Banken Angst haben, Risiken einzugehen und die maue Konjunktur gleichzeitig einer größeren Kreditnachfrage entgegen steht. Gegen das Nachfrageproblem kann die EZB nichts tun. Wohl aber kann sie Banken helfen, die gerne Kredite vergeben würden, sich aber nicht trauen. Die größte Angst der Notenbanker ist es, dass der Aufschwung an Fahrt gewinnen könnte und dann gleich wieder an mangelnder Kreditversorgung scheitert.

Quelle: ntv.de, mmo/jga/dpa/rts

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