Wirtschaft

Krise mit Ansage Der Markt setzt Erdogan zu

Der türkische Präsident Erdogan.

Der türkische Präsident Erdogan.

(Foto: REUTERS)

Der türkische Präsident Erdogan sieht ausländische Mächte am Werk, die seinem Land den Wirtschaftskrieg erklärt haben. Die Krise ist allerdings hausgemacht, und Banker ziehen schon den Vergleich mit Venezuela.

Schlechte Politik und schlechte Rahmenbedingungen sind keine gute Verbindung. Das zeigt sich gerade eindrucksvoll in der Türkei. Die Wirtschaft des Landes steckt in erheblichen Schwierigkeiten und Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgt nicht dafür, dass sich die Lage verbessert. Im Gegenteil.

US-Dollar / Türkische Lira
US-Dollar / Türkische Lira 32,53

Erdogan macht für die Krise türkeifeindliche Kräfte verantwortlich, die einen Wirtschaftskrieg gegen sein Land führten - mittels Zinsen, Devisenkursen und Inflation. Die Ursachen der Krise sind allerdings hausgemacht, auch wenn die US-Notenbank durchaus eine Rolle spielt. Vor zehn Jahren hatte die Fed wie die Europäische Zentralbank die Zinsen auf nahe Null gesenkt. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise sollte die Konjunktur in den USA und der Eurozone durch billiges Geld belebt werden.

Das hatte allerdings den Nebeneffekt, dass viel Geld in Schwellenländer wie die Türkei floss, weil dort die Zinsen höher waren. Infolge dessen stiegen die Lira und die Aktienkurse der Börse in Istanbul. Und sowohl der Staat als auch die Unternehmen konnten sich vergleichsweise günstig im Ausland verschulden. Am Bosporus fuhr man damit so lange gut, bis die US-Notenbank die Zinswende einleitete. Mit jeder Zinserhöhung wird der Dollar-Raum attraktiver, Geld fließt aus den Schwellenländern zurück.

All das setzt deren Währungen unter Druck. Betroffen ist besonders die Lira, in geringerem Maße bekommen das etwa auch der südafrikanische Rand oder der argentinische Peso zu spüren.

Kräftiges Wachstum

Nun rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Die Türkei hatte die günstige Gelegenheit genutzt, um auf Pump für ein hohes Wirtschaftswachstum zu sorgen. Für Erdogan hatten billige Kredite und eine Konjunktur auf Hochtouren absolute Priorität. Auf den ersten Blick mit Erfolg: Die türkische Konjunktur ist in den vergangenen fünf Jahren um fast 30 Prozent gewachsen. Diese Tatsache trägt maßgeblich zu Erdogans Popularität bei und sicherte ihm den Sieg bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen.

Der kreditfinanzierte Boom heizte jedoch die Inflation an, sie liegt derzeit bei mehr als 15 Prozent. Zusammen mit dem Kursrutsch macht das Investitionen in Lira nicht sonderlich attraktiv. Schließlich müssen Anleger dadurch eine schnelle Entwertung ihres Geldes fürchten.

Zugleich vergrößerten sich das Leistungsbilanz- und das Haushaltsdefizit massiv. Um den Fehlbetrag zu finanzieren, ist die Türkei auf das Geld ausländischer Investoren angewiesen. Doch dieses Kapital fließt nicht mehr so kräftig wie vorher.

Ein Grund dafür sind die von US-Präsident Donald Trump verhängten Sanktionen und seine Drohung, im Streit um den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor nachzulegen. Zugleich trägt Erdogan durch seine autokratische Politik dazu bei, dass das Vertrauen von Investoren in die Türkei sinkt. So installierte der Präsident seinen Schwiegersohn als Finanzminister und gab der offiziell unabhängigen Zentralbank zu verstehen, auf seine "Signale" zu achten.

Vor diesem Hintergrund stuften die Rating-Agenturen Moody's und S&P vergangenen Freitag die Kreditwürdigkeit des Landes noch tiefer in die Ramschzone. Mit anderen Worten: Die Zweifel wachsen, ob Anleger ihr Geld zurückbekommen werden. Zugleich treiben Spekulationen auf Zahlungsausfälle in der Türkei die Kosten für Kreditausfall-Versicherungen auf den höchsten Stand seit neun Jahren - also auf ein Niveau, als die Wirtschafts- und Finanzkrise auf ihrem Höhepunkt war.

Notenbanker fürchten Erdogan

Normalerweise müsste eine Notenbank in dieser Situation die Zinsen erhöhen. Die Leitzinsen liegen in der Türkei bei knapp 18 Prozent, doch das ist offensichtlich nicht hoch genug, um Währungsverfall und Inflation entgegenzutreten. Die Logik dahinter: Die Aussicht auf hohe Zinsen zieht Kapital an, zugleich steigt deshalb die Lira. Eine stärkere Währung wirkt zudem inflationshemmend. Denn im Ausland gekaufte und in die Türkei eingeführte Güter werden damit billiger.

Außerdem wirken auch hohe Zinsen tendenziell preisdämpfend, weil sie Kredite verteuern. Zudem lohnt sich sparen mehr. Das heißt, Unternehmen investieren weniger, Verbraucher konsumieren weniger - das bremst das Wirtschaftswachstum. Genau das will Erdogan aber nicht.

Die Notenbank schreckt deshalb vor Zinserhöhungen zurück, auch da Erdogan ein selbsterklärter Feind von Zinsen ist und in ihnen "Mutter und Vater allen Übels" sieht. Zudem ist der Präsident entgegen der ökonomischen Lehre davon überzeugt, dass hohe Zinsen für hohe Inflation und niedrige Zinsen für niedrige Inflation sorgen.

Zu all dem kommt hinzu, dass sich Regierung und Unternehmen zu einem Großteil in ausländischer Währung verschuldet haben. Durch die drastische Abwertung der Lira wird es für sie nun teurer, diese Kredite zu bedienen. Für Dollar-Verbindlichkeiten müssen rund 60 Prozent mehr Lira aufgebracht werden als noch zu Jahresbeginn. Staat und Unternehmen drücken kurzfristige Verbindlichkeiten bei ausländischen Gläubigern von 180 Milliarden Dollar, wie Kalkulationen der französischen Bank Société Générale ergeben. Allein im Oktober müssen demnach nahezu 3,8 Milliarden Dollar zurückgezahlt werden.

Die gesamten Auslandsschulden werden auf 460 Milliarden Dollar geschätzt, was die höchsten aller Schwellenländer wären. Die Commerzbank beziffert den fälligen Schuldendienst in diesem Jahr auf insgesamt 41 Milliarden Dollar, für 2019 auf 44 Milliarden.

Wer glaube, "dass die Abwertung der Lira um 24 Prozent in diesem Monat und um 60 Prozent seit Jahresbeginn extrem ist", soll den französischen Bankern zufolge in Richtung Südamerika blicken. Der venezolanische Bolívar habe an diesem Wochenende um 95 Prozent abgewertet. Das sei ein Lehrstück dafür, was passieren könne, wenn eine Regierung eine "heterodoxe", also von der herrschenden Lehre abweichende, Wirtschaftspolitik betreibe.

Quelle: ntv.de

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