Wirtschaft

10 Jahre nach der Lehman-Pleite Das sind die nächsten Crash-Kandidaten

Zehn Jahre nach der Finanzkrise schlummern im globalen Finanzsystem immer noch reichlich Risiken.

Zehn Jahre nach der Finanzkrise schlummern im globalen Finanzsystem immer noch reichlich Risiken.

(Foto: REUTERS)

Vor zehn Jahren brachten toxische US-Immobilienpapiere erst die Lehman-Bank und dann die Börsen zum Einsturz. Die Krise wird sich so nicht wiederholen. Denn inzwischen gibt es anderswo viel größeres Crash-Potenzial.

Jeder Zusammenbruch beginnt mit einem Exzess. Mit einer Blase. Mit einer Schuldenorgie. Mit einem Hype. Irgendwann kommt ein Schock, der den Übermut der Spekulanten entlarvt. Auf ihn folgt der Crash. Und dann kommen die Pleiten.

Bei der Finanzkrise, die die Welt vor einem Jahrzehnt nahezu ruinierte, lief die Geschichte so: Über Jahre pumpten Investmentbanken Milliarden in den US-Häusermarkt. Viel Geld floss dabei auch in Schrottkredite. Die Banken zerstückelten diese Ramschhypotheken erst, schnürten sie dann zu neuen Paketen zusammen und verkauften sie scheibchenweise in alle Welt. Ratingagenturen und Finanzmathematiker bescheinigten ihnen, dass die Risiken dadurch schrumpften und nicht wuchsen. So verteilten sie sich im globalen Finanzsystem.

Die Banken verdienten sich mit dieser Verwurstung von Hauskrediten eine goldene Nase. Solange sich das Geldkarussell drehte, sah niemand genauer hin: "I'll be gone, you'll be gone" hieß es damals an der Wall Street - ich und du werden weg sein, wenn das Kartenhaus zusammenfällt. Als ab 2007 die ersten Hypothekenfirmen pleite gingen und Investoren merkten, dass ein Großteil der obskuren Papiere faul war, verloren sie das Vertrauen in die Banken und ihre zusammengerührten Finanzinnovationen. Sie wetteten gegen einen der schlimmsten Händler der Schrottanleihen: Lehman Brothers. Am 15. September 2008 trieben sie die Bank in den Bankrott. Die Panik, die folgte, ließ die Märkte gefrieren. Die Börsen stürzten ab. Und Millionen Menschen verloren ihre Jobs.

Der nächste Crash wird nicht wie der letzte sein. Das System wird wohl nicht wieder an der gleichen Stelle versagen. Doch das Schema dürfte sich wiederholen. Ein Jahrzehnt nach der Lehman-Pleite sind die globalen Finanzmärkte zwar sicherer. Milliardenschwere Strafen wurden verhängt. Regeln wurden verschärft. Rettungsfonds wurden geschaffen. Doch die Risiken sind mindestens genauso groß wie vor der Krise von 2008. Sie lauern nur anderswo.

Schuldenknall im Euro-Raum

Eine der größten Gefahren für die Finanzstabilität ist heute der Schuldenexzess vieler Staaten. Einerseits ist er eine Spätfolge der großen Krise von 2008: Zur Bankenrettung mussten viele Regierungen gigantische Hilfsprogramme auflegen, gegen die explodierende Arbeitslosigkeit riesige Konjunkturpakete schnüren. Andererseits ist er ein fatales Zeichen politischen Versagens: Besonders in der Eurozone leben viele Länder seit Jahren über ihre Verhältnisse.

Griechenland musste mit fast 290 Milliarden Euro dreimal von den anderen Euro-Ländern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gerettet werden. Inzwischen kann sich das Land zwar wieder allein finanzieren. Doch trotz harter Reformen liegt die Schuldenlast immer noch bei rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mehr als 40 Jahre soll Athen noch eisern weitersparen, um sie abzutragen - kein Land der Welt hat das je geschafft.

In Italien sieht es kaum besser aus: Dort beläuft sich der Schuldenstand auf 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Populisten-Regierung schickt sich an, die Haushaltslöcher durch Mindesteinkommen, Rentenerhöhungen und Steuersenkungen noch zu vergrößern. Sollten die Märkte Rom den Geldhahn zudrehen, wird der Euro-Rettungsschirm nicht groß genug sein, um Italien aufzufangen.

Die gesamte Eurozone schlingert deshalb längst am Rande eines Finanzbebens. Denn ihre Banken sind auf eine Staatspleite nicht vorbereitet. Sie dürfen Staatsanleihen weiter als ausfallsicher behandeln und müssen keinerlei Eigenkapital für sie hinterlegen. Jede Haushaltskrise in Europa wird dadurch zwangsläufig zur Finanzkrise: Mit den Staaten würden auch die Banken untergehen, die ihnen Geld geliehen haben.

Eine ungeordnete Pleite in Griechenland oder Italien könnte daher die Eurozone zertrümmern und eine globale Finanzpanik auslösen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat versprochen "alles zu tun, was nötig ist", um das zu verhindern. Noch haben die Märkte nicht getestet, wie ernst die Währungshüter ihr Versprechen meinen.

Bringt die Zinswende den Immobiliencrash?

Womöglich ist es kein plötzlicher Schuldenknall, sondern der langsame Ausstieg aus der Krisenpolitik selbst, der den nächsten Crash auslöst. Denn nach einem Jahrzehnt der Rettungspakete und Nullzinsen haben Banken, Sparer und Hauskäufer sich an das permanente Geld-Doping der Notenbanken gewöhnt. Sobald sie ihre Schleusen schließen, drohen verheerende Entzugserscheinungen.

Dank der Niedrigzinsen sind weltweit Billionen in Häuser und Wohnungen geflossen. Die Bundesbank warnte deshalb schon 2017 vor einer Immobilienblase: "Die Ampel steht auf gelb", sagte Vorstand Andreas Dombret. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht dafür auf Bundesebene zwar keine Anhaltspunkte, jedoch "spekulative Überbewertungen" in einzelnen Städten. Und auch der IWF sieht in München, Hannover, Hamburg und Frankfurt übertriebene Preise, "die eine genaue Beobachtung verdienen".

Eigentlich gilt Deutschland als immun gegen Immobilienkrisen. Denn hierzulande bringen Käufer traditionell viel eigenes Geld mit und verschulden sich relativ wenig. Womöglich ändert sich das aber gerade. Offizielle Daten zu Kreditsummen und Schuldenquoten gibt es nicht. Nach Zahlen des Finanzierungsvermittlers Dr. Klein, die der "Spiegel" ausgewertet hat, wachsen die Risiken, weil die Käufer durch explodierende Preise beim Kauf immer höhere Kredite aufnehmen müssen.

Die Regierung wappnet sich schon: Künftig darf die Bankenaufsicht Bafin mit Mindeststandards die Kreditvergabe drosseln. Notfalls dürfen die Aufseher Obergrenzen für den Schuldenanteil an der Immobilienfinanzierung und einen Zeitraum festlegen, in dem ein bestimmter Teil der Darlehen zurückgezahlt werden muss.

Die beginnende Zinswende könnte die Blase zum Platzen bringen. Denn wenn die Zinsen steigen, wächst die Gefahr, dass Hauskäufer ihre Anschlussfinanzierung nicht mehr stemmen können. Auch Banken könnten dann kippen: "Steigen die Zinsen abrupt, kann es zu erheblichen Verlusten bei marktbewerteten Aktiva und einem Anstieg der Refinanzierungskosten kommen", warnt der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) in seinem Jahresbericht.

Besonders Sparkassen und Volksbanken sind gefährdet. Und Finanzriesen wie die Deutsche Bank verschlafen das Problem womöglich: Wegen der anhaltenden Niedrigzinsen und der guten Konjunktur unterschätzen die Risikomodelle systemrelevanter Großbanken womöglich die systemischen Kreditrisiken, warnt der AFS. Im Extremfall drohen Pleiten, weil "mögliche Verluste eventuell nicht ausreichend durch Eigenkapital abgedeckt" wären.

Das Ende des Börsenbooms

An den Börsen birgt die kommende Zinswende ähnliche Probleme wie am Immobilienmarkt. Auch hier mündete der Crash von 2008 dank der Geldflut der Notenbanken in einen der längsten Booms der Geschichte. Seit fast zehn Jahren klettern die Kurse. Der Dax hat sich seit seinem Krisentiefstand von etwa 3700 Punkten im März 2009 bis heute mehr als verdreifacht. Auch der S&P-500 hat in der gleichen Zeit um mehr als 200 Prozent zugelegt. Doch jeder Bullenmarkt endet irgendwann. Die Frage ist nur, wann.

Historisch gesehen gingen großen Aktiencrashs oft Zinserhöhungen voraus. Die zeichnen sich nun deutlich ab: Die US-Notenbank erhöht die Zinsen schon seit Ende 2015, in Europa will die EZB ab Mitte 2019 damit anfangen. Bei einem Kurssturz wäre der Fall tief. Denn die Märkte sind heute noch stärker überbewertet als vor der Finanzkrise.

Kurz vor den größten Crashs des Jahrhunderts - 1929, 1937, 1973, 2000 und 2007 - wurden die Firmen im S&P-500 laut dem US-Forscher Robert Shiller im Schnitt mit dem 29-Fachen ihrer Gewinne der letzten zehn Jahre gehandelt. Heute liegt dieses Kurs-Gewinn-Verhältnis bei mehr als dem 33-Fachen. Donald Trumps Steuerreform heizt den überhitzten Mark noch zusätzlich an. Fragt sich, wie lange das noch gut geht.

Geld-Flucht aus den Schwellenländern

Nicht nur in den USA und Europa, auch im Rest der Welt droht die Zinswende Opfer zu fordern. Denn mit den steigenden Zinsen lohnt es sich für Anleger wieder verstärkt in westlichen Ländern zu investieren und dafür ihr Geld aus den Schwellenländern abzuziehen, wo sie es während der Nullzinsjahre geparkt haben. Die kommende Kapitalflucht "könnte Länder mit schwachen Fundamentaldaten gefährden", warnte der IWF erst im April.

Die Türkei steckt bereits mitten in dieser Krise. Anleger flüchten vor der galoppierenden Inflation, dem schwächelndem Wachstum und dem autoritären Klima unter der Erdogan-Regierung aus dem Land und reißen die Lira in den Abgrund. Allein seit Beginn des Jahres hat sie 40 Prozent ihres Wertes zum Dollar verloren. Verstärkt wird die massive Währungskrise durch die hohen Auslandsschulden: 40 Prozent lauten auf fremde Währungen, vor allem Dollar, und werden von Ausländern gehalten.

In Argentinien sieht es nicht besser aus. Dort hat der Peso seit Januar über die Hälfte seines Werts zum Dollar verloren. Anders als in Ankara hat die Regierung zwar ein drakonisches Sparpaket aufgelegt und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Finanzhilfen von über 50 Milliarden Dollar gebeten. Die Zentralbank hat die Zinsen auf horrende 60 Prozent katapultiert. Doch den Peso-Crash hat das bisher nicht gestoppt.

Und auch in anderen Ländern gibt es Krisen nach dem gleichen Muster: In Indonesien ist die Rupie auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren abgeschmiert. Die Zentralbank griff ein, um den Absturz einzudämmen. In Brasilien hat der Real rund 20 Prozent verloren. Und in Indien ist die Rupie über zehn Prozent abgestürzt.

Verstärkt wird das Problem dadurch, dass einige Zentralbanken vergleichsweise geringe Währungsreserven haben, um den Absturz aufzuhalten. Auch Malaysia, Südafrika und Chile haben laut IWF das gleiche Gefährdungsprofil wie die Türkei (hohe Auslandsschulden, geringe Reserven) und sind damit weitere Kandidaten für einen Crash.

Kredit-Kollaps in China

Und dann ist da noch die Mutter aller Blasen: China. Im Reich der Mitte türmen sich seit Jahren gigantische Risiken auf. Denn die chinesischen Staatsbanken machen dank der politischen Direktiven aus Peking die gleichen Fehler wie die Wall-Street-Banken vor der letzten Finanzkrise - nur schlimmer. Die Parteiführung hat den Finanzinstituten befohlen, die Wirtschaft mit einer Flut von Billigkrediten anzukurbeln. Das Ergebnis ist die wohl größte Schuldenorgie der modernen Wirtschaftsgeschichte.

Inzwischen liegt die Gesamtverschuldung aller chinesischen Firmen außerhalb des Finanzsektors bei schwindelerregenden 160 Prozent der Wirtschaftsleistung. In den USA sind es nur 74 Prozent, in Deutschland gerade mal 55 Prozent. Ein Großteil der Papiere ist Schrott. Chinas Staatsbanken sitzen auf einem Berg fauler Kredite. Viele Zombie-Konzerne werden nur noch durch politisch motivierte Kredite am Leben gehalten. Zudem frisiert die Regierung die Wachstumszahlen, um Investoren und das Ausland in Sicherheit zu wiegen.

Hinzu kommt, dass ein Großteil des Geldes durch dunkle Kanäle fließt: In obskure Investmentvehikel, die sich kurzfristig von den Banken Geld leihen, um sich über Wasser zu halten, und von denen keiner so genau weiß, in was sie eigentlich investiert haben. Inzwischen sind diese dubiosen Fonds laut IWF die größten Kreditnehmer im chinesischen Finanzsystem und kaufen den Löwenanteil der Schrottpapiere, die chinesische Firmen und Banken ausgeben. "Obwohl die Aufseher Schritte unternommen haben, um die Risiken anzugehen, die sich aus der Vernetzung der Banken und des Schattenbankensektors ergeben, bleibt die Verwundbarkeit hoch", mahnt der IWF.

Westliche Banken sind mit diesem Schuldensumpf zwar kaum direkt verflochten. Dafür ist der Rest der westlichen Wirtschaft vom Wachstum in China abhängig. Autokonzerne, Chemieriesen und Maschinenbauer machen einen Großteil ihrer Gewinne dort. Wenn die Kreditblase platzt und das chinesische Wachstum einbricht, werden das Europas Börsen zu spüren bekommen. Im Sommer 2015 gab es bereits ein zweites großes China-Beben an den Märkten, schon 2013 waren die Kurse in Shanghai dramatisch eingebrochen. Zehn Jahre nach dem Crash am US-Immobilienmarkt ist nicht auszuschließen, dass die nächste Finanzkrise vom anderen Ende der Welt kommt: aus Fernost.

Quelle: ntv.de

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